Der Abelpreis (mit gut 106$ der höchstdotierte Mathematikpreis) geht dieses Jahr an John Nash und Louis Nirenberg für ihre Arbeiten zu partiellen Differentialgleichungen.
Der Abelpreis wird jährlich von der Norwegischen Akademie der Wissenschaften vergeben. Er gilt als eine Art Ersatz dafür, daß es keinen Nobelpreis für Mathematik gibt. Über die Gründe, warum Nobel keinen Mathematik-Nobelpreis stiftete, gibt es viele anekdotische Erklärungen, die aber nach allgemeiner Meinung alle in das Reich der Fabel gehören. In diesem Jahr gab es übrigens mit John Nash zum ersten Mal einen ehemaligen Nobelpreisträger (in Wirtschaftswissenschaften) als Preisträger des Abelpreises.

Die Verleihung findet Ende Mai in Oslo statt.


Außerhalb der Mathematik ist John Nash vor allem durch den Hollywood-Film “A beautiful mind” und durch den Wirtschaftsnobelpreis für seine instabilen Gleichgewichte bekannt.

Den Abelpreis erhält er aber für seine Arbeiten zu partiellen Differentialgleichungen und isometrischen Einbettungen, die von Mathematikern auch meist als anspruchsvoller angesehen werden als seine Arbeiten zur Spieltheorie. Als sein schwerster Satz gilt unter Mathematikern wohl der Satz von de Giorgi-Nash, eine Abschätzung für die Lösungen parabolischer Differentiagleichungen.

Ein wichtiges Resultat der Differentialgeometrie ist die (auch in “A Beautiful Mind” erwähnte) ‘Einbettung der Mannigfaltigkeiten’: während in der klassischen Differentialgeometrie, z.B. bei Gauss, Flächen im euklidischen Raum untersucht wurden, ging man seit Riemann dazu über, einen abstrakten Begriff Riemannscher Mannigfaltigkeiten zu untersuchen (siehe TvF 52). Erst Nash bewies, dass die beiden Zugänge äquivalent sind, also dass man jede Riemannsche Mannigfaltigkeit als Teilmenge eines euklidischen Raumes auffassen kann.

Nash’s Einbettungssatz besagt aber noch mehr und völlig kontra-intuitives: man kann Mannigfaltigkeiten nicht nur isometrisch in den Rn einbetten, sondern sogar in eine beliebig kleine ε-Kugel. Das ist anscheinend absurd, denn für eine solche Einbettung wäre dann (in den Extrempunkten) die Kr¨mmung grösser als 1/ε2 und da die Kr¨mmung nach Gauss’ Theorema Egregium von der Metrik bestimmt wird, erhielte man so einen Widerspruch. Der Punkt ist aber, dass man Krümmung nur für 2-mal stetig differenzierbare Einbettungen definieren kann, während Nash’s Einbettungen nicht zweimal stetig differenzierbar sind und demzufolge dieser Widerspruch nicht auftritt. Trotzdem ist diese isometrische Einbettung in beliebig kleine Kugeln natürlich etwas der Intuition völlig zuwiderlaufendes. (Ich hatte in Tvf 230 mal darüber geschrieben, auch mit Bildern einer numerischen Realisierung.)

Aus Mathematiker-Sicht gilt übrigens der unintuitive Teil von Nash’s Theorem (also die 1-mal differenzierbare Einbettung in beliebig kleine Kugeln) als nicht ganz so schwierig, während der weniger überraschende Teil (die 2-mal und dann beliebig oft differenzierbare Einbettung, zwar nicht in beliebig kleine Kugeln, aber in den Rn) als analytisch sehr anspruchsvoll gilt.

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Nirenberg hat ebenfalls über Analysis und Differentialgeometrie gearbeitet.
In der Geometrie kennt man vor allem das Newlander-Nirenberg-Theorem über Integrierbarkeit fast-komplexer Strukturen. Eine fast-komplexe Struktur ist eine “punktweise Multiplikation mit i” (also eine Drehung um 90 Grad, formal: eine fastkomplexe Struktur J) auf einer Mannigfaltigkeit. Die Frage ist dann, ob es auf der Mannigfaltigkeit komplexe Koordinaten gibt, in denen die gegebene Multiplikation mit i tatsächlich der von den Koordinaten kommenden Multiplikation mit i entspricht. Der Satz von Newlander-Nirenberg besagt, dass das genau dann möglich ist, wenn der oben abgebildete Tensor NJ (der “Nijenhuis-Tensor”) Null ist.

Es gibt aber viele schwierigere und tiefere Beiträge Nirenbergs zur Theorie der partiellen Differentialgleichungen, etwa zu Singularitäten der Navier-Stokes-Gleichung und zu Funktionen beschränkter mittlerer Oszillation. Viele seiner wichtigen Sätze sind (wie bei Nash) Abschätzungen für die Lösungen partieller Differentialgleichungen, deren Bedeutung sich anschaulich nicht so ohne weiteres erklären lässt. Die Abelpreis-Laudatio erwähnt “regularity estimates for solutions of linear elliptic equations with Lp data, which extend the classical Schauder theory and are extremely useful in applications where such integrability conditions on the data are available.” Aus der Differentialgeometrie kennt man seinen Satz über die Einbettung von Sphären in den R3 mit vorgegebener Krümmungsfunktion, ein auf Gauss und Minkowski zurückgehendes Problem.

Einen Text zu Nirenberg (mit Video) findet man bei der Simons Foundation.

Die Begründung des Abelpreis-Komittees.

Populärwissenschaftliche Erklärungen zu den Arbeiten der beiden Preisträger findet man auf der Webseite des Abelpreises.

Informationen zur Vorgeschichte des Abelpreises findet man hier. Die bisherigen Preisträger seit 2003 sind:
2003 Jean-Pierre Serre (Frankreich): Homotopietheorie, Algebraische Geometrie
2004 Michael Atiyah (GB), Isadore Singer (USA): Globale Analysis
2005 Peter Lax (USA): Partielle Differentialgleichungen, Streutheorie
2006 Lennart Carleson (Schweden): Harmonische Analysis, Dynamische Systeme
2007 Srinivasa Varadan (Indien): Wahrscheinlichkeitstheorie, Große Abweichungen
2008 Jacques Tits (Belgien), John Thompson (USA): Gruppentheorie
2009 Michael Gromov (Frankreich): Riemannsche und Symplektische Geometrie, Geometrische Gruppentheorie
2010 John Tate (USA): Algebraische Zahlentheorie, Elliptische Kurven
2011 John Milnor (USA): Differentialtopologie
2012 Endre Szemeredi (Ungarn): Graphentheorie
2013 Pierre Deligne (Belgien): Algebraische Geometrie
2014 Yakov Sinai (Russland): Dynamische Systeme

Kommentare (2)

  1. #1 der eine Andreas
    27. März 2015

    “mit gut 106$ der höchstdotierte Mathematikpreis” 🙂

    Da wird sich John freuen, dass im Artikel die Hochstellung gelungen ist…

  2. #2 Thilo
    24. Mai 2015