Schwedische Medien berichten über die Dissertation “Philosophy of Mathematics for the Masses – Extending the scope of the philosophy of mathematics”, die der 20-jährige Niederländer Stefan Buijsman an der Universität Stockholm erstellt hat.

Thema der Dissertation ist, wie der Titel sagt, eine “Mathematik-Philosophie für die Massen” und davon ist auch in den verschiedenen Presseberichten die Rede. Dagens Nyheter etwa zitierte wie folgt:

Als ich mich für mathematische Philosophie zu interessieren begann, entdeckte ich , dass der Fokus ausschließlich auf professioneller Mathematik liegt, es gibt keine Forschung, wo es darum geht zu verstehen wie die Mathematik von gewöhnlichen Menschen im Alltag verwendet wird. Ich behaupte in meiner Dissertation, dass auch eine solche Mathematik studiert und verstanden werden muss und ich will Theorien für diese Art von Mathematik schaffen.

Man kann die Dissertation hier anschauen, inhaltlich geht es im Wesentlichen um die unterschiedlichen Ansätze, die natürlichen Zahlen einzuführen. Die Schlußfolgerungen am Ende der Arbeit (Seite 254-255) lesen sich dann wie folgt:

The basic conclusion of my thesis is, thus, that there is a need for a new kind of research into the philosophy of mathematics. As matters stand, we have very little understanding of the mathematical practices of ordinary people. Specifically, it is unclear how they can manage to do mathematics, in a fairly autonomous way, with the limited resources that they have. Answering that question will hopefully give us an even better understanding of mathematics, as it is certain to give us a more complete picture of the kinds of mathematical practices that are possible. Another, related, question is to what extent the mathematical practices of ordinary people differ from the mathematical practices of professional mathematicians. These may be completely different, but it doesn’t seem as thought this is necessarily the case. An answer to this question will determine how important this work will be for understanding the mathematical practices of professional mathematicians. It may not be important for that study at all, such that the current theories are all that we need to understand what professional mathematicians are doing. Yet, it may also be that professional mathematicians make do with less than the current theories say they do, in which case we also need to look at their mathematical practices in a different way. These are both big questions, which will undoubtedly take a lot of further research to answer. Answering these questions will no doubt help in figuring out how we should account for the mathematical practices of ordinary people. I have not tried to say anything positive with respect to how we should account for these practices, and so this is another thing to be left to future research. Maybe we need a theory that offers several ways in which one might arrive at justified mathematical beliefs, and maybe we need a strong split between the description of practices of ordinary people and the description of practices of professional mathematicians. Currently, I have no idea, and so this is not why this dissertation is important. I take this dissertation, instead, to be important mainly in that it manages to establish all these questions as important, and unanswered. The aim is thus the relatively modest one of setting up a new research field, as compared to the much less modest aim of arguing against everything that has been done within an already existing research field. Hopefully, that is exactly the way in which these arguments are taken; as attempting to extend the field, instead of as undermining or radically changing it. For the former is something I may have managed to do, whereas the latter is something that has in no way been established here.

Ich kann dazu nur sagen, dass die allermeisten Mathematiker zu natürlichen Zahlen keineswegs einen anderen Zugang haben als “ordinary people”. Wer in der mathematischen Forschung aktiv ist, der befaßt sich in aller Regel nicht mit den Grundlagenfragen nach einer formalen Grundlegung des Zahlensystems, sondern er nimmt die natürlichen Zahlen einfach als gegegeben hin wie jeder Anwender außerhalb der Mathematik auch. Insofern geht es bei diesen Fragen (etwa Benacerrafs Dilemma, das in der Dissertation eine zentrale Rolle spielt) nicht um einen Gegensatz zwischen professioneller und Alltagsmathematik, sondern eher um einen Gegensatz zwischen der philosophischen Frage nach Klärung der letzten Grundlage und der eher psychologischen nach dem Zahlenverständnis der “gewöhnlichen Menschen”, seien sie Mathematiker oder nicht.

Kommentare (12)

  1. #1 tomtoo
    2. August 2016

    da traut sich keiner mathematik und philosophie ? für mich und dich ?

  2. #2 Laie
    2. August 2016

    Es wird viel zuviel heisse Luft produziert und publiziert. Dafür sind die Leute heute auch viel gebildeter als früher! 🙂

    Ist Einbildung auch Bildung?

  3. #3 rank zero
    2. August 2016

    Man denkt es sich ja schon, aber der Sicherheit halber sei hinzugefügt, dass diese Dissertation natürlich am Institut für Philosophie, nicht an dem für Mathematik, verursacht wurde. Eine intellektuelle Beschäftigung mit dem Gegenstand der Untersuchung oder realen Gegebenheiten hätte die Thesen nur gestört. Dafür wird aber erfolgreich ein Popanz der “nur auf professionelle Mathematik ausgerichteten Philosophie” errichtet, der umgehend siegreich bekämpft wird.

    Aus Sicht eines modernen Universitätspräsidenten ist die Lage hinsichtlich des Vergleichs beider Fachgebiete natürlich klar:

    Breites Medienecho und deutlich niedrigeres Promotionsalter, womöglich die Aussicht auf reichen Drittmittelsegen aus Bildungsreformprogrammen, die den jetzt aber nun wirklich richtigen, weil philosophisch begründeten Zugang für Kinder zu den natürlichen Zahlen ohne die bisherigen autoritären Deformationen an den Schulen etablieren sollte – das muss doch die Streichung einiger mathematischer Professuren zugunsten der Neuschaffung eines Instituts für Massenmathematik, mit dem jüngsten Professor Schwedens an der Spitze wert sein. Zumal auch die Bestehensquote auf dem neuen Gebiet vermutlich so bei 99,8 % liegen dürfte, im Gegensatz zu den oft weniger als 50% in der Mathematik (was ja schon allein zeigt, dass die Mathematiker offensichtlich inkompetent lehren).

    Immerhin gibt es vergleichbare Erfolgsgeschichten, etwa als die Erkundung der eigenen individuellen sexuellen Präferenzen unter revolutionärer Ablehnung autoritärer wissenschaftlicher Methoden in der institutionellen wie politischen Etablierung der Genderologie triumphierte.

  4. #4 christian groschke
    2. August 2016

    @rank zero
    nicht auszuhalten diese akademische Neidgesellschaften.
    Immer nur die eigene Fachrichtung sehen und die andern als “unwissenschaftlich” diffamieren. Bei der Philosophie wird das ja besonders gern betrieben, zumeist von Leuten die von Philosophie nur wenig verstehen , aber meist glauben zu wissen worum es sich bei Philosophie handelt, so nach dem Motto das kann ja eh ein jeder und jeder Besoffene sei ja quasí ein Philosoph. Da stecken derart viel Vorurteile gegenüber der Philosophie drin, dass ich sie bitten muss sich da mal ein bisserl selbst mit zu reflektieren und ja von Gender Studies scheinen sie auch nur die Vorurteile zu kennen.

  5. #5 Laie
    3. August 2016

    Da ich auch zur Masse gehöre, gebe ich gerne Auskunft über meine Mathematik 🙂

    1 Trottel + 1 Trottel = 2 Trotteln
    1 Trottel + 1 Banane = 1 Trottel mit Banane

    Vielleicht kann diese bahn-brechende Gleichungen meiner Mathematik der Herr Dr.Dagens Nyheter in seinen wissenschaftlichen Forschungen einbauen? 🙂

    Ich hätte noch ähnliches mit Äpfel und Birnen zur Hand.

  6. #6 tomtoo
    6. August 2016

    reale zahlen ?
    https://www.youtube.com/watch?v=w-I6XTVZXww
    na was ist jetzt 1+2+3+4…. ?
    reale zahlen ?

  7. #7 Thilo
    6. August 2016

    @tomtoo: Das Video hatten wir hier schon mal diskutiert: https://scienceblogs.de/mathlog/2014/01/19/123456-112/

  8. #8 tomtoo
    6. August 2016

    @thilo klasse ! vielen dank !

  9. #9 Manfred Mader
    Delmenhorst
    8. August 2016

    Das ist das ärgerliche an solchen Kommentar-Threads: Nur Miesmacher und Meckerer (jedenfalls fast …). Immer die schnelle Antwort parat, und zum Bilden einer eigenen Meinung braucht’s gerade mal 3 Minuten.
    Ach übrigens, da hatte mal ein Physiker die vollkommen bescheuerte Idee, “Massen können den Raum krümmen”. Da sagt einem doch der “gesunde” Menschenverstand, dass … na ja, usw. Ob Einstein damit den Fluß von Forschungsgeldern erhöht hat, weiss ich nicht. Aber vermutlich wäre das die Erklärung für eine solch “absurde” Theorie gewesen – jedenfalls aus Sicht dieser “Schnell- und Sofort-Wisser”, und wenn es 1920 bereits das Internet gegeben hätte. Aber ok, es genügt ja, einen solchen Artikel zu lesen und zu sagen, interessanter Ansatz, darüber denk ich mal nach, informiere mich ggf. weitergehend, und dann – DANN! – bilde ich mir evtl. eine Meinung (oder erkenne, dass ich da nicht tief genug drin stecke …)

  10. #10 tomtoo
    9. August 2016

    @christian
    philosophie ist halt fŭr den einfachen menschen wie mich proplematisch.
    es fehlt einfach das experiment. denken kann ich viel. ich will nicht wissen wieviele physiker,chemiker exact durch dieses entäuscht wurden. aber wo ist das experiment bei den philosophen ?
    ich bin wirklich offen ist also nur eine frage ?

  11. #11 Laie
    11. August 2016

    Haushaltsmethematik – Philosophie:

    Ich fühle heute so 19,99 bzw. 9.99, ob das am Werbeprospekt liegt? 🙂

    Ich hätte noch 199,99 oder 249,00 anzubieten, wer bietet mehr?

  12. #12 tomtoo
    12. August 2016

    @laie
    geh mal mit deiner frau einkaufen. ohne rechner (only the brain). und schätz einfach nur den korb 😉