Viele Differentialgleichungen lassen sich in äquivalente Integralgleichungen umformen.
Beispielsweise führt im Beweis des Existenzsatzes für gewöhnliche Differentialgleichungen (Picard-Lindelöf) die Integration von x’=f(x(t),t) mit Anfangswert x(t0)=x0 auf die Integralgleichung x(t)=x_0+\int_{t_0}^tf(s,x(s))ds .
Auch viele partielle Differentialgleichungen können auf Integralgleichungen zurückgeführt werden. Solche Ansätze waren häufig nützlich gewesen, man hatte aber im 19. Jahrhundert nicht damit gerechnet, dass es eine allgemeine Theorie für Integralgleichungen geben könnte.

Ivar Fredholm, dessen Vater als Geschäftsmann mit der Elektrifizierung Schwedens reich geworden war, interessierte sich vor allem für physikalische Anwendungen der Mathematik und entwickelte seine Ansätze zur Bearbeitung von Integralgleichungen ursprünglich mit Blick auf das Dirichlet-Problem. Dort geht es um die partielle Differentialgleichung Δu=0 auf einem Gebiet D ⊂ R2 mit vorgegebenen Randwerten u=f auf dem Rand von D. (Δ ist der Laplace-Operator d2/dx2+d2/dy2.) Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese partielle Differentialgleichung in eine Integralgleichung zu transformieren. Beispielsweise kann man auf dem Einheitskreis mit der Fundamentallösung \phi(x)=-\frac{1}{2\pi}\log\vert x\vert den Ansatz u(x)=\int_{\partial D}\phi(x-y)\sigma(y)dy wählen. Die partielle Differentialgleichung transformiert sich dann in die Integralgleichung f(x)=\frac{1}{2}\sigma(x)+\int_{\partial D}\frac{{\bf n}(y)\cdot(x-y)}{2\pi\vert x-y\vert^3}\sigma(y)dy in σ, wobei f die gegebenen Randwerte sind und n(y) der Normalenvektor in y ist. Damit hat man insbesondere die Dimension des Problems reduziert, da man diese Integralgleichung ja nur noch auf dem Rand von D betrachtet.

Fredholm hatte sich also zunächst mit dem Dirichlet-Problem beschäftigt und für diesen Zweck eine Theorie von Integralgleichungen entwickelt. Durch Vorträge seines Landmannes Holmgren in Göttingen wurde seine Theorie in Göttingen und dann im Rest Europas bekannt und man stellte bald fast, dass viele andere Lösungen partieller Differentialgleichungen sich einfacher mit Fredholms Theorie erhalten lassen.

In seiner 1903 in Acta Mathematica veröffentlichten Arbeit Sur une classe d'equations fonctionelles entwickelte Fredholm seine Theorie dann für den allgemeinen Fall von linearen Integralgleichungen g(x)=\phi(x)+\lambda\int k(x,y)\phi(y) , bei denen g, λ und der „Integralkern“ k (für die Integration über ein gegebenes kompaktes Gebiet in einem Rn, zum Beispiel ein abgeschlossenes Intervall [a,b] im R1) gegeben sind und die Lösung φ gesucht wird.

Eine ähnliche Klasse von Integralgleichungen hatte zuvor Vito Volterra betrachtet, bei ihm ging es aber um Integrale über einen variablen von x abhängenden Integrationsbereich, also über das Intervall [a,x] statt eines festen Intervalls [a,b]. Der Ansatz bei Volterra wie bei Fredholm war, das Integral durch eine Summe zu ersetzen, das entstehende lineare Gleichungssystem zu betrachten und dann einen Grenzübergang durchzuführen.

Mit unendlichen Gleichungssystemen hatten sich Mathematiker vorher im Zusammenhang mit der Lösung von Differentialgleichungen durch Fourier-Entwicklung beschäftigt. Beispielsweise versuchte man, die Gleichung Δu(x,y)=0 mit dem Ansatz u(x,y)=\sum_m a_me^{-(2m-1)x}\cos(2m-1)y zu lösen, was auf ein unendliches Gleichungssystem in den Variablen am führt. Jedes endliche Teilsystem ließ sich lösen und durch den Grenzübergang bekam man tatsächlich eine korrekte Lösung. Aber es war nicht bewiesen, dass dieser Grenzübergang vom Endlichen zum Unendlichen funktioniert, und natürlich man kann sich leicht unendliche Gleichungssysteme ausdenken, bei denen jedes endliche Teilsystem dieselbe Lösung hat, alle zusammen aber nicht.

Endliche lineare Gleichungssysteme lassen sich lösen, wenn ihre Determinante nicht verschwindet. Um dies auf unendliche lineare Gleichungssystem zu verallgemeinern, konnte Fredholm auf die 1892 geschriebene Dissertation seines Landmannes Helge von Koch über Determinanten unendlicher linearer Gleichungssysteme aufbauen. Bei dem war die Determinante einer abzählbar-unendlichen Matrix einfach definiert als Grenzwert für k gegen Unendlich der endlichen Determinanten der Blöcke zwischen den Indizes -k und k, falls dieser Grenzwert existiert. Natürlich braucht man dann Bedingungen, unter denen der Grenzwert existiert.

Für den Operator \phi(x)\mapsto \phi(x)+\lambda\int k(x,y)\phi(y) definierte Fredholm eine Determinante det=\sum_{n=0}^\infty \frac{\lambda^n}{n!}\int\ldots\int det (k(x_i,x_j)_{1\le i,j\le n}) dx_1\ldots dx_n und bewies dann zunächst, dass die Integralgleichung g(x)=\phi(x)+\lambda\int k(x,y)\phi(y) genau dann durch eine stetige Funktion φ lösbar ist, wenn det≠0 ist. (Heute formuliert man das allgemein, indem man für einen Spurklasseoperator A die Fredholm-Determinante von Id+A durch \det(Id+A)=\sum_n Spur(\Lambda^nA) definiert, was beim obigen Integraloperator auf Fredholms Formel führt.) Diese Determinante bekommt man im Grenzübergang aus von Kochs Determinante, der Beweis benutzt Hadamards Ungleichung.

In der folgenden Arbeit baute Fredholm das dann zu der nach ihm benannten Alternative aus: es gibt zu jedem g eine stetige Lösung φ, wenn die g=0 entsprechende homogene Gleichung außer 0 keine weiteren Lösungen hat (was in der Regel sehr viel einfacher zu beweisen ist). Andernfalls ist die Anzahl linear unabhängiger Lösungen der homogenen Gleichung gleich der Anzahl linear unabhängiger Lösungen der adjungierten Gleichung und die inhomogene Gleichung hat genau dann eine Lösung, wenn g orthogonal zum Kern des adjungierten Operators ist. In der Sprache der linearen Algebra ist der Kern des Operators isomorph zum Kokern des adjungierten Operators.

Sowohl für den Volterraschen Integraloperator als für den Fredholmschen Integraloperator kann man durch einfache Abschätzungen beweisen, dass der Kern verschwindet: aus T φ= -φ/λ für T\phi=\int k(x,y)\phi(y)dy folgt zunächst \vert \phi(y)\vert \le \lambda y\Vert k\Vert_\infty\Vert\phi\Vert_\infty und durch wiederholtes Einsetzen induktiv \vert\phi(y)\vert\le \frac{(\lambda y)n}{n!}\Vert k\Vert_\infty^n\Vert\phi\Vert^n_\infty . Wenn man n gegen unendlich gehen läßt, bekommt man φ =0. Die homogene Gleichung hat also keine nichttriviale Lösung und damit gibt es in diesem Fall nach der Fredholm-Alternative eine eindeutige Lösung der Integralgleichung für jedes g.
Aus seiner Determinantentheorie entwickelte Fredholm dann auch eine explizite Lösungsformel. Für das Dirichletproblem folgt, dass entweder 1/2 ein Eigenwert des Integraloperators ist oder es zu jedem f eine Lösung gibt. Weil man aber durch eine Anwendung der Greenschen Formel 1/2 als Eigenwert ausschließen kann, ist das Dirichlet-Problem stets lösbar.

Aufbauend auf Hilberts Begriff des kompakten Operators wurde Fredholms Theorie dann von Frigyes Riesz zu einer „allgemeinen Fredholm-Theorie“ kompakter Operatoren ausgebaut. Kompakte Operatoren sind Operatoren, die sich durch Operatoren mit endlichdimensonalem Bild approximieren lassen. Insbesondere trifft dies auf Integraloperatoren mit stetigem (oder auch nur quadratisch integrierbarem) Kern zu: die Norm des Integraloperators ist durch die L2-Norm von k beschränkt. Wenn k eine Treppenfunktion wäre, hätte der Operator endlich-dimensionales Bild. Weil k durch Treppenfunktionen approximiert werden kann, ist der Operator kompakt.

In der Sprache der linearen Algebra konnte 1916 Frigyes Riesz die Fredholm-Alternative einfacher formulieren: für den Operator A gilt ker(A)=0 <==> coker(A)=0. Oder, wenn man den Index eines Operators A als ind(A)=dim(ker(A))-dim(koker(A)) definiert (was natürlich nur Sinn macht, wenn beide Dimensionen endlich sind, also für heute so genannte Fredholm-Operatoren), besagt die Fredholm-Alternative ind(A)=0 für Fredholms Gleichungen. Integraloperatoren mit stetigem Kern sind kompakt, Fredholms Operatoren also kompakte Störungen der Identität: A=Id+K. Weil natürlich der Index der Identität Null ist, ist die Fredholm-Alternative aus Riesz’ Perspektive ein Spezialfall des allgemeinen Resultats, dass der Index homotopie-invariant und damit auch invariant unter kompakten Störungen ist: ind(A)=ind(Id+K)=ind(Id)=0.
Der Beweis der Homotopie-Invarianz ist eine Übung in linearer Algebra: wenn zu einem Zeitpunkt der Homotopie die Dimension des Kerns springt, dann springt die Dimension des Kokerns um denselben Betrag. Zu Fredholms Zeit war die Sprache der linearen Algebra aber noch nicht so verbreitet, so dass er diesen einfacheren Beweis nicht hatte finden können.

Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fredholm_2.jpeg

Kommentare (2)

  1. #1 rolak
    5. Dezember 2019

    Immer wieder erstaunlich, wie viele durchaus interessante Dinge in der Mathematik verborgen sind, die mangels täglichen Bedarfs noch nie als fehlend empfunden wurden. Und auch weiterhin unter ‘eigentlich nicht notwendig’ abgelegt bleiben werden – im Gegensatz zu ebenfalls direkt Unnötigem wie zB irgendwelchen wesentlichen Details des Citratzyklus’, die nach dem Durcharbeiten bei ‘prinzipiell notwendig, jedoch nicht für AktualZugriff’ landen, nurmehr das ‘da finden’, nicht das ‘so gehts’ relevant ist.

  2. […] Runge-Kutta-Verfahren Lebesgues Satz über dominierte Konvergenz Fortsetzbarkeit von L-Funktionen Die Fredholm-Alternative Der Wohlordnungssatz Schurs Lemma Der Spektralsatz für beschränkte Operatoren Der Satz von […]