Gut zehn Jahre nach Riemann hatte Elwin Christoffel in seinen Arbeiten zur Flächentheorie gewisse lokale “Symbole” (und ihr Transformationsverhalten) beschrieben, aus denen er den Riemannsche Krümmungstensor bestimmen konnte.
Weitere zwanzig Jahre später hatte Gregorio Ricci festgestellt, dass die Transformationsregeln der Christoffel-Symbole einen “absoluten Differentialkalkül” ermöglichten, also die Definition von – die Richtungsableitung von Vektorfeldern verallgemeinernden – kovarianten Ableitungen und mittels derer von Krümmungsbegriffen.
Ricci hatte dann den Tensorkalkül entwickelt und mit seinem vormaligen Studenten Levi-Civita 1901 den Artikel “Methoden des absoluten Differentialkalküls und ihre Anwendungen” verfaßt. Dem Artikel stellten sie ein Zitat Poincarés voraus: “Eine gute Bezeichnungsweise hat dieselbe philosophische Bedeutung wie eine gute Klassifikation in den beschreibenden Naturwissenschaften”. Das Gebiet galt als mehr oder weniger abgeschlossen und nur für Spezialisten von Interesse. Das änderte sich dramatisch mit der Entdeckung der Gravitationsgleichungen in der allgemeinen Relativitätstheorie, laut Hilbert “ein wahrer Triumph der Methoden der allgemeinen Differentialrechnung”.
Wenig später fand Levi-Civita ein geometrisches Verständnis der kovarianten Ableitung und der Krümmungen durch das Konzept des Paralleltransports. (In Raumformen konstanter Krümmung hatte Brouwer schon zehn Jahre zuvor eine ad hoc-Konstruktion gegeben.)
Das Prinzip der Parallelverschiebung ist einfach folgendes. Es sei eine kovariante Ableitung ∇ gegeben. Dann definiert man entlang einer Kurve c parallele Vektorfelder X als diejenigen, welche die Differentialgleichung ∇c‘X=0 erfüllen. Zu einem Vektor X0 in c(0) gibt es mit dem Existenz- und Eindeutigkeitssatz für gewöhnliche Differentialgleichungen ein eindeutiges Vektorfeld entlang der Kurve c, das parallel ist und den Wert X0 in c(0) annimmt. Man kann mit dieser Gleichung also die Parallelverschiebung von Vektoren entlang einer Kurve definieren. Mit dieser (zunächst nur für Hyperflächen im Rn verwendeten) Interpretation wollte Leci-Civita den Formalismus der allgemeinen Relativitätstheorie verbessern und die Symbole bei der Krümmungsberechnung vereinfachen. (Tatsächlich war dies und nicht die geometrische Veranschaulichung seine eigentliche Motivation.)
Hermann Weyl hatte damals dem Begriff der Mannigfaltigkeit die heutige Definition gegeben. Sein wenig später geschriebenes Buch “Raum, Zeit, Materie” sollte den Physikern den Tensorkalkül erklären. Sein Zugang war intrinisch für abstrakte Riemannsche Mannigfaltigkeiten, nicht wie sonst üblich für Hyperflächen im Rn. (Weyl erfand auch den Namen “Zusammenhang” für die kovarianten Ableitungen, weil der Paralleltransport einen Zusammenhang zwischen Tangentialräumen in nahe beeinanderliegenden Punkten herstellen würde.) Es erschienen viele weitere Lehrbücher, die die Relativitätstheorie mathematisch klar und luzide behandelten, mit ihrer mathematischen Darstellung aber unter naturwissenschaftlich und philosophisch orientierten Lesern eher den Eindruck einer völlig unverständlichen neuen Physik verbreiteten. Innerhalb der Mathematik jedoch wurden die Arbeiten Riccis und Levi-Civitas zur Grundlage der Differentialgeometrie.
Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Einstein_Portr_05936.jpg
Kommentare (31)