War die Mengenlehre Georg Cantors zunächst durchaus umstritten gewesen, wurde sie seit Beginn des 20. Jahrhunderts nach und nach von immer mehr Leuten als unentbehrliche Grundlage für die Strukturierung der Mathematik angesehen. Das von Ernst Zermelo in „Untersuchungen über die Grundlage der Mengenlehre“ 1908 eingeführte Axiomensystem bewährte sich in der Praxis und wurde allgemein anerkannt, wobei die meisten Mathematiker natürlich ohnehin einen pragmatischen Ansatz einer konsequenten Axiomatisierung vorzogen.
Hermann Weyls Buch „Die Idee der Riemannsche Fläche“ (1913) definierte Flächen erstmals dadurch, dass jede Umgebung eines Punktes „eine umkehrbar eindeutige Abbildung auf die inneren Punkte eines gewöhnlichen Euklidischen Kreises“ gestatte, und betonte so die Rolle offener Umgebungen.
Offene Umgebungen eines Punktes x0 definiert man allgemein in metrischen Räumen (X,d) dadurch, dass sie zu jedem Punkt x eine offene Kugel (für ein positives ε) enthalten sollen.
Felix Hausdorff hatte sich ursprünglich aus philosophischem Interesse mit Cantors Mengenlehre beschäftigt. Sein vier Monate vor Kriegsbeginn erschienenes Hauptwerk „Grundzüge der Mengenlehre“ war aber kein philosophisches, sondern ein mathematisches Buch. Er ging nicht von einer Metrik aus, sondern von einer durch offene Umgebungen axiomatisch definierten Topologie. Hausdorff verlangte, dass abzählbare Durchschnitte und beliebige Vereinigungen offener Umgebungen wieder offene Umgebungen sein sollen. (Außerdem war das später nach ihm benannte Trennungsaxiom, demzufolge je zwei Punkte disjunkte Umgebungen besitzen, Teil seiner Axiomatik. Dieses auch für die Theorie Riemannscher Flächen benötigte Axiom war bei Weyl nicht explizit erwähnt.) Hausdorff zeigte, dass viele Sätze über metrische Räume auch in den allgemeineren topologischen Räumen richtig sind.
Es gab ältere Texte zur Topologie metrischer Räume, aber Hausdorffs wurde das Lehrbuch, aus dem folgende Mathematikergenerationen – allerdings erst nach dem Krieg – die Elemente der Mengenlehre und Punktmengentopologie lernen würden. Die einfache Axiomatik ermöglichte für viele Sätze überraschend einfache Beweise. Beispielsweise die (schon vor Hausdorff von anderen gegebene, aber erst durch ihn popularisierte) Definition zusammenhängender Räume – ein Raum ist zusammenhängend, wenn er nicht in disjunkte offene Mengen zerlegbar ist – macht Beweise manchmal sehr kurz. Ein elementares, aber typisches Beispiel: auf einem zusammenhängenden Raum ist eine lokal konstante Funktion auch konstant – andernfalls gäben ihre Niveaumengen eine Zerlegung des Raums in disjunkte offene Mengen.
Zur Mengenlehre im damaligen Verständnis zählten auch die Theorie der Punktmengen und die Maß- und Integrationstheorie. Den Übergang von endlicher zu abzählbarer Additivität in der neuen Maß-und Integrationstheorie bezeichnete Hausdorff als einen der größten Fortschritte der Mathematik. In diesem Zusammenhang fand er 1914 das später nach Banach-Tarski benannte Paradoxon: unter Annahme des Auswahlaxioms kann man eine Sphäre in Stücke zerlegen, die anders zusammengesetzt zwei Sphären desselben Radius geben. Insbesondere können die Stücke der Zerlegung nicht meßbar sein, weil man andernfalls ja eine Verdoppelung des Flächeninhalts bewerkstelligt hätte.
Die Kontinuumshypothese, die von Cantor und Bendixson für abgeschlossene Teilmengen der reellen Zahlen gezeigt worden war, bewiesen Hausdorff und der 19-jährige Pawel Alexandroff unabhängig voneinander 1915 für Borel-Mengen: jede Borel-Menge ist entweder höchstens abzählbar oder sie hat die Mächtigkeit des Kontinuums. Dieser Satz wurde ein kräftiger Impuls für die weitere Entwicklung der deskriptiven Mengenlehre. Alexandroffs Doktorvater Lusin betrachtete ihn allerdings nur als Einstieg in eine Dissertation: Alexandroff sollte die Kontinuumshypothese im allgemeinen Fall beweisen. Aus Enttäuschung darüber, dass ihm dies nicht gelingen wollte, verließ Alexandroff die Mathematik und zog einige Jahre mit einer Theatertruppe übers Land. Erst fünf Jahre später kehrte er an die Universität zurück.
Deskriptive Mengenlehre ist ein Teilgebiet der Mengenlehre, das sich mit Eigenschaften definierbarer Mengen befasst: ausgehend von „einfachen“ Mengen werden durch gewisse Bildungsgesetze kompliziertere Mengen konstruiert und deren Eigenschaften untersucht. Das klassische Beispiel sind die in der Maßtheorie wichtigen Borel-Mengen, die aus offenen oder abgeschlossenen Mengen durch wiederholte Bildung abzählbarer Vereinigungen und Durchschnitte sowie Komplementbildung gewonnen werden. Eine allgemeinere Konstruktion sogenannter „analytischer Mengen“ schlug Lusin vor: für eine durch endliche Folgen natürlicher Zahlen indizierte Familie offener (oder abgeschlossener) Mengen bildete er , wobei die Vereinigung über alle unendlichen Folgen (n1,…,nk,…) erfolgt. Alexandroff bewies, dass man mit dieser Konstruktion alle Borel-Mengen erhält und Michail Suslin, ein anderer Doktorand Lusins, sollte beweisen, dass diese Konstruktion nur Borel-Mengen gibt.
Über diese analytischen Mengen bewies Suslin in der 1916 geschriebenen vierseitigen Arbeit Sur un définition des ensembles measurables B sans nombres transfinis dann aber eine Reihe überraschender Eigenschaften. Insbesondere bewies er, dass die analytischen Mengen im Rn genau die Orthogonalprojektionen von Borel-Mengen im Rn+1 sind.
Das war vor allem deshalb überraschend, weil Lebesgue behauptet hatte bewiesen zu haben, dass Orthogonalprojektionen von Borel-Mengen (im R2) wieder Borel-Mengen seien. Suslin konnte jedoch beweisen, dass es analytische Mengen gibt, die keine Borel-Mengen sind, womit er insbesondere Lebesgues Behauptung widerlegte.
Suslins ein Jahr später in den Comptes Rendus de la Academie de Sciences erschienene Arbeit blieb seine einzige Veröffentlichung. Wegen des russischen Bürgerkriegs verließ er Moskau und ging mit Lusin und zwei weiteren Kollegen an das Polytechnische Institut Iwanowo-Wosnessensk. Aus gesundheitlichen Gründen kündigte er dort im Sommer 1919 und ging zurück in sein Heimatdorf, wo er einige Monate später an Typhus starb.
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