Das 19. Jahrhundert war in der Mathematik das Jahrhundert der Funktionentheorie gewesen, vor allem der elliptischen Funktionen (Umkehrfunktionen elliptischer Integrale) und dann ihrer Verallgemeinerungen in mehreren Variablen, den abelschen Funktionen.
Elliptische Funktionen sind doppelt-periodisch, also periodisch bezüglich eines Gitters L in C. Alle solchen Funktionen lassen sich als Polynom in der Weierstraßschen p-Funktion des jeweiligen Gitters schreiben. Die p-Funktion wiederum parametrisiert durch die Zuordnung z—>(p(z),p‘(z)) die dem Gitter entsprechende elliptische Kurve y2=4x3-g2x-g3, deren Koeffizienten g2=60G4 und g3=140G6 aus den durch definierten Eisensteinreihen gebildet werden.
Die Diskriminante einer elliptischen Kurve y2=x3+ax+b ist Δ=-16(4a3+27b2)≠0. Für die einem Gitter entsprechende elliptische Kurve kann Δ also durch G43 und G62 ausgedrückt werden.
Den Modulraum elliptischer Kurven kann man als Quotienten der oberen Halbebene H2 unter der Wirkung von SL(2,Z) durch gebrochen-lineare Transformationen parametrisieren: jede elliptische Kurve entspricht einem Gitter, das o.B.d.A. von 1 und einem Punkt z der oberen Halbebene erzeugt wird. Der SL(2,Z)-Orbit von z entspricht äquivalenten Gittern und damit Äquivalenten elliptischen Kurven.
Unter dieser Identifikation entsprechen die Eisensteinreihen und die Diskriminante dann Funktionen auf der oberen Halbebene bzw. nach dem Variablenwechsel q=e2πiz auf dem Inneren des Einheitskreises. (Das Bild oben zeigt den Realteil von Δ.) Die Eisensteinreihen G2k sind Modulformen vom Gewicht k, die Diskriminante - für die man nach der Ersetzung E2k(z)=G2k(z)/2ζ(2k) die schöne Formel Δ=((60E4)3-(140E6)2)/1728 hat - also eine Modulform vom Gewicht 12.
Modulformen, genauer elliptische Modulformen für SL(2,Z), vom Gewicht k sind definiert als holomorphe Funktionen f:H2—->C, die der Funktionalgleichung genügen und in i∞ - und damit in allen Spitzen iQ von SL(2,Z) - holomorph sind. Wenn der Wert in den Spitzen 0 ist, heißt f eine Spitzenform.
Mit dem Satz von Riemann-Roch läßt sich die Dimension des Vektorraums Mk der Modulformen vom Gewicht k berechnen, zum Beispiel ist dim(M12)=2. Die Diskriminante Δ ist die (bis auf Multiplikation mit Skalaren einzige) Spitzenform vom Gewicht 12 und man kann beweisen, dass Multiplikation mit Δ einen Isomorphismus zwischen Mk und dem Raum der Spitzenformen vom Gewicht k+12 induziert. Damit läßt sich letztlich zeigen, dass alle Modulformen Polynome in den Eisensteinreihen G4 und G6 sind.
Modulformen sind oft nützlich in der Zahlentheorie, insbesondere haben die Koeffizienten ihrer Fourier-Entwicklung , oft eine zahlentheoretische Bedeutung. Jacobi hatte Theta-Funktionen benutzt, um die Anzahl der Möglichkeiten, eine Zahl als Summe von vier Quadraten zu zerlegen, zu berechnen. Das Ergebnis war 8σ1(n) für die allgemein durch
definierte Divisorfunktion.
Allgemeiner hat man zu jeder quadratischen Form Q eine Modulform, deren Fourier-Koeffizienten an gerade die Anzahlen der ganzzahligen Lösungen von Q(x)=n sind.
G. H. Hardy, damals der führende britische Mathematiker, erhielt 1913 einen Brief von Ramanujan, Buchhalter in der Hafenverwaltung von Madras, mit unzähligen erstaunlichen Formeln. Der Schreiber meinte, die negativen Werte der Gammafunktion erklären und den Primzahlsatz verbessern zu können. Auf der letzten Seite fand sich eine Behauptung über Kettenbrüche, für die man später zehnseitige Beweise mittels Thetafunktionen finden würde. Es gelang Hardy, Ramanujan mit einem Stipendium der Universität Madras nach Cambridge zu holen. Die Art, wie er arbeitete, blieb ein Rätsel: er behauptete, seine Ideen im Traum von seiner Familiengöttin zu erhalten.
Eines ihrer Hauptthemen war die Partitionsfunktion p(n). Deren Eigenschaften haben auffallende Ähnlichkeiten mit denen der Fourierkoeffizienten τ(n) der Diskriminante . (Die Produktdarstellung für Δ ist ein von Jacobi in der Theorie der elliptischen Funktionen bewiesener Satz. Die 24-te Wurzel dieser Produktdarstellung ist die Dedekindsche Eta-Funktion.) Ramanujan hatte schon in seinem ersten Brief Entdeckungen über die Asymptotik dieser Funktion formuliert.
1916 fand Ramanujan einige erstaunliche Kongruenzen für die Tau-Funktion, beispielsweise , und er formulierte drei Vermutungen:
- die Tau-Funktion ist multiplikativ: τ(mn)= τ(m) τ(n) für teilerfremde m,n
- τ(pr+1)= τ(p) τ(pr)-p11 τ(pr-1) für Primzahlen p
- für Primzahlen p ist der Absolutbetrag von τ(p) durch p11/2 nach oben beschränkt.
Ein Jahr später bewies Louis Mordell, von Hardy auf das Problem aufmerksam gemacht, die ersten beiden Vermutungen mit Methoden aus der Theorie der Modulformen, die Ramanujan nicht kannte.
Mordells Beweis war ein Sonderfall eines zwanzig Jahre später von Erich Hecke entwickelten allgemeinen Ansatzes, der Modulformen als Eigenfunktionen gewisser Operatoren interpretiert. In heutiger Sprache betrachtet man die auf den Modulformen vom Gewicht k wirkenden Hecke-Operatoren . (Hier bezeichnet
die Menge der Matrizen der Determinante m, auf der SL(2,Z) von links wirkt.) Die Diskriminante Δ ist eine gemeinsame Eigenfunktion der Operatoren Tm zum jeweiligen Eigenwert τ(m). (Das folgt im Wesentlichen daraus, dass der Raum der Spitzenformen des Gewichts 12 ein 1-dimensionaler Vektorraum ist. Mordell hatte ein anderes Argument: er zeigte, dass TmΔ/Δ eine beschränkte, holomorphe Funktion und damit nach dem Satz von Liouville konstant ist.) Für die Operatoren hat man die Beziehungen
, woraus die entsprechenden Beziehungen für die Eigenwerte zur Eigenfunktion Δ folgen. Man erhält also Ramanujans erste beide Behauptungen.
Die Multiplikativität einer zahlentheoretischen Funktion τ ist unter anderem deshalb eine nützliche Eigenschaft, weil aus ihr unmittelbar folgt, dass die Dirichlet-Reihe in ihrem Konvergenzbereich mit dem über alle Primzahlen gebildeten Produkt
übereinstimmt. (Für die multiplikative Funktion
erhält man das Euler-Produkt der Riemannschen Zeta-Funktion, allgemeiner für Dirichlet-Charaktere die Euler-Produkte der zugehörigen L-Reihen.)
Die τ-Funktion ist von der Ordnung τ(n)=O(n6), so dass die Konvergenz der Dirichlet-Reihe nicht offensichtlich ist. Jedoch bewies Erich Hecke (ebenfalls 1917) mit Hilfe der Mellin-Transformation, dass die Reihe auf der gesamten komplexen Ebene konvergiert. Sein Beweis war eine technisch schwierige Verschmelzung der Methoden von Riemann und Landau (der die Konvergenz der Dedekindschen Zeta-Funktion für Re(s)>1-ε bewiesen hatte). Tatsächlich bewies Hecke ein sehr viel allgemeineres Resultat. Er betrachtete sogenannte L-Reihen mit Größencharakteren - dazu gehören beispielsweise die Dedekindschen Zetafunktionen von Zahlkörpern wie auch die L-Reihen von Dirichlet-Charakteren - und bewies für diese ganz allgemein die Konvergenz auf der gesamten komplexen Ebene, sowie die Euler-Produktzerlegung und eine Funktionalgleichung. Im Fall von Körpererweiterungen L/K mit abelscher Galois-Gruppe konnte er mit Hilfe der Funktionalgleichung die Zetafunktion der Körpererweiterung als Produkt von L-Funktionen gewisser Charaktere zerlegen und damit die Beweise einiger Sätze der Klassenkörpertheorie grundlegend vereinfachen.
Hecke verallgemeinerte dann auch in den 20er Jahren die Theorie der Modulformen auf allgemeinere Kongruenzgruppen als nur SL(2,Z). Mordell selbst kam nie wieder zum Thema der Modulformen zurück, offensichtlich war ihm nicht bewußt, dass er auf einen allgemeinen Ansatz auch zur Lösung anderer, ähnlicher Probleme gestoßen war. Die von Mordell betrachteten Operatoren wurden ein Spezialfall der in den 30er Jahren im allgemeinen Kontext entwickelten Hecke-Operatoren.
Die dritte Vermutung Ramanujans wurde erst in den 70er Jahren von Deligne bewiesen.
Bildquelle: https://www3.nd.edu/~dnguye15/mathematicians.html
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