Viele Differentialgleichungen lassen sich mit dem Ansatz lösen, die gesuchte Funktion in Schwingungen (periodische Funktionen) unterschiedlicher Frequenz zu zerlegen. Diese Methode heißt Fourier-Analyse: man schreibt eine 2π-periodische Funktion F(x) als F(x)=f(eix), also als Funktion f:S1—->C, und entwickelt sie in eine Fourier-Reihe f(eix)= Σ aneinx (oder äquivalent in eine Reihe mit Summanden cos(nx) und sin(nx)). Die Koeffizienten kann man berechnen durch . Die Zuordnung n–>an ist eine Folge, also eine Funktion Z—->C. Fourierentwicklung gibt also eine Zuordnung zwischen Funktionen auf S1 und Funktionen auf Z, eine Dualität zwischen Z und S1.
Pontrjagin-Dualität liefert die Verallgemeinerung dieser Theorie auf beliebige lokalkompakte, abelsche Gruppen. Zu einer solchen Gruppe G betrachtet man die duale Gruppe (äquivalent: die Gruppe der irreduziblen Darstellungen) und kann dann jeder Funktion
die Fourier-Transformierte
zuordnen, womit man eine zur Fourier–Analyse analoge Theorie erhält.
Pontrjagin hatte als 14-jähriger bei der Explosion eines Gasofens sein Augenlicht verloren. Dank seiner Mutter, die ihm neben ihrer Arbeit als Näherin mathematische Bücher und topologische Arbeiten vorlas, machte er trotzdem Karriere. Noch als Student bewies er die allgemeine Version der Alexander-Dualität von Homologiegruppen: für eine abgeschlossene Teilmenge hat man einen Isomorphismus
für eine kompakte Gruppe G und ihr (diskretes) Dual, also die Gruppe aller irreduziblen Darstellungen, im abelschen Fall einfach
. (Mit Alexander-Dualität kann man beispielsweise für einen Knoten unmittelbar die Homologiegruppen des Knotenkomplements berechnen, die insbesondere also nicht vom Knoten abhängen. Alexander hatte diesen Dualitätssatz für endliche Polyeder bewiesen, Alexandrow dann auf abgeschlossene Mengen verallgemeinert. Beide hatten aber nur Koeffizienten
betrachtet.)
Pontrjagin formulierte auch als erster ein allgemeines Prinzip, in das alle bekannten topologischen Dualitätssätze paßten: wenn es zu zwei abelschen Gruppen A und B eine Abbildung AxB—->C in eine endliche zyklische Gruppe C oder in die reellen Zahlen gibt, die ein Homomorphismus in beiden Argumenten ist und nicht-ausgeartet ist, d.h. zu jedem von Null verschiedenen Element aus A oder B existiert ein Element aus der anderen Gruppe, so dass das Paar nicht auf Null abgebildet wird, dann ist B dual zu A. (Im Nachhinein liegt das daran, dass Z/mZ und R jeweils zu sich selbst Pontrjagin-Dual sind.)
Damit erhält man zum Beispiel Poincaré-Dualität, indem man für die freien Anteile A von Hk(M;Z) und B von Hn-k(M;Z) die Schnittzahl und für die Torsionsanteile die Torsionsverschlingungszahl betrachtet. Ähnlich bekommt man Lefschetz-Dualität, also die Verallgemeinerung der Poincaré-Dualität auf Mannigfaltigkeiten mit Rand. Die Alexander-Dualität bekommt man, indem man die Verschlingungszahl betrachtet.
Bekannt wurde er aber dann aber für eine andere Dualitätstheorie, die mit den topologischen Dualitätssätzen nur insofern zu tun hatte, dass man für die Koeffizienten der Alexander-Dualität jeweils die in diesem Sinne duale Gruppe braucht. (Was allerdings seine ursprüngliche Motivation zur Entwicklung dieser Dualitätstheorie war.) 1934 entwickelte er die später als Pontrjagin-Dualität bezeichnete abstrakte Theorie der Fourier-Analyse. Diese Theorie funktioniert für lokalkompakte, abelsche Gruppen G und für die mit Homomorphismen nach S1 gebildete duale Gruppe. (Die Homomorphismen nach haben S1 wie Homomorphismen nach R und anders als Homomorphismen nach Z die Eigenschaft, dass sich Homomorphismen einer Untergruppe von G auf ganz G fortsetzen lassen, was für Beweise zentral ist.)
Die duale Gruppe wird mit der schwächsten Topologie versehen, für die die durch
gegebene Transformation
noch stetig ist.
Lokale Kompaktheit der Gruppe G ist notwendig, weil die Konstruktionen und Beweise ein invariantes Maß auf der Gruppe benötigen. Die Existenz und (bis auf Skalierung mit Konstanten) Eindeutigkeit eines invarianten Maßes μG auf einer lokalkompakten Gruppe G hatte Alfréd Haar in einer 1933 zwei Monate vor seinem Tod in Annals of Mathematics erschienenen Arbeit „Der Massbegriff in der Theorie der kontinuierlichen Gruppen“ bewiesen.
Im klassischen Fall ist
, denn jede 1-dimensionale Darstellung ist von der Form
für eine ganze Zahl n.
Allgemein ist das Dual einer kompakten Gruppe eine diskrete Gruppe und umgekehrt.
Pontrjagin bewies den Dualitätssatz, dass das Dual der dualen Gruppe immer G ist.
Beispielsweise ist im Fall der klassischen Fourier–Analyse nicht nur Z die duale Gruppe zu S1, sondern auch S1 die duale Gruppe zu Z.
Man erhält eine analoge Transformationsformel, wie man sie für die Koeffizienten trigonometrischer Reihen kennt, und kann dann die gesamte Fourier-Theorie in diesen Kontext lokalkompakter abelscher Gruppen zu verallgemeinern versuchen.
In der klassischen Fourier-Analyse kann man auf vielerlei Weise zwischen G und wechseln. Zum Beispiel entspricht Konvolution von Funktionen auf G der Multiplikation der transformierten Funktionen auf
. Differentialoperatoren mit konstanten Koeffizienten entsprechen der Multiplikation mit den entsprechenden Polynomen. Die Fourier-Transformierte einer L2-Funktion ist eine L2-Funktion und dies gibt einen Isomorphismus
(Satz von Planchereel). Glattheit von f entspricht einer gewissen Abfallbedingung der Werte der transformierten Funktion (Satz von Paley–Wiener). Pontrjagins Ansatz ermöglichte, nach Verallgemeinerungen dieser Sätze zu suchen.
Als Anwendung seiner Methoden bewies Pontrjagin, dass jede zusammenhängende, das zweite Abzählbarkeitsaxiom erfüllende, lokalkompakte Gruppe das Produkt einer kompakten Gruppe mit einem Rn ist. Weiter konnte er einen Spezialfall eines der Hilbertschen Probleme lösen. Im fünften der auf dem Pariser Weltkongreß 1900 vorgeschlagenen 23 Probleme ging es darum, ob jede lokal euklidische topologische Gruppe eine Mannigfaltigkeit ist. John von Neumann hatte dies – ebenfalls unter Benutzung invarianter Maße – einige Jahre zuvor für kompakte Gruppen bewiesen und Pontrjagin gelang jetzt der Beweis für abelsche Gruppen.
Pontrjagin hatte in seinen Arbeiten noch voraussetzen müssen, dass die Gruppen das zweite Abzählbarkeitsaxiom erfüllen und entweder diskret oder kompakt sind. Die Verallgemeinerung auf beliebige lokalkompakte Gruppen gelang wenig später Egbert van Kampen. Die Dualitätstheorie wurde dann noch von André Weil weiterentwickelt und erhielt eine nichtkommutative Verallgemeinerung in den Arbeiten von Tannaka und Krein über die Rekonstruierbarkeit von Gruppen aus ihrem Charakterring.
Bild: https://de.sodiummedia.com/3907061-lev-semenovich-pontryagin-soviet-mathematician-biography-scientific-career
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