André Weil war 1941 in die USA geflohen, nach dem Auslaufen seiner Stipendien mußte er an pennsylvanischen Colleges unterrichten. Einer seiner Kollegen am Haverford College war Carl Allendoerfer, der 1939 einen Beweis der von Hopf gesuchten Formel für den Zusammenhang zwischen Euler-Charakteristik und Krümmung gefunden hatte. Dieser Beweis hatte noch (ebenso wie ein 1940 von Fenchel gefundener Beweis) angenommen, dass die Mannigfaltigkeit isometrisch in einen Rn eingebettet ist. Man wußte damals noch nicht, ob dies für jede Riemannsche Mannigfaltigkeit möglich ist.
Allendoerfers Beweis benutzte eine Tubenumgebung der eingebetteten Mannigfaltigkeit. Der Rand der Tubenumgebung ist eine Hyperfläche, auf die sich Hopfs Beweis anwenden läßt. Mittels einer von Hermann Weyl entwickelten Tubenformel und umfangreicher Rechnungen konnte Allendoerfer die zu beweisende Formel auf die für den Rand der Tubenumgebung zurückführen.
Gemeinsam mit Weil gelang Allendoerfer 1943 dann ein intrinsischer Beweis, der keine Einbettung in den Rn mehr benutzte. Sie verwendeten Triangulierungen und lokale Einbettungen und dementsprechend Weyls Tubenmethode für im euklidischen Raum eingebettete Zellen. Die bewiesene Formel drückte χ(M) als Integral einer Funktion des Riemannschen Krümmungstensors aus. Hopfs ursprüngliche Frage nach dem Vorzeichen von χ(M) konnten sie allerdings nur in Dimensionen 2 und 4 beantworten.
Shiing-shen Chern war Anfang der 30er Jahre der einzige Mathematik-Doktorand an der Universität Peking gewesen, sein Betreuer der einzige Forschungsarbeiten veröffentlichende Mathematiker in China. Chern hatte zunächst einige Arbeiten über projektive Differentialgeometrie geschrieben. Gegen Ende seiner Doktorandenzeit begann er unter dem Einfluß der Bücher von Wilhelm Blaschke – der in Peking eine Vortragsreihe über “Topologische Fragen in der Differentialgeometrie” gehalten hatte – die Beschäftigung mit globaler Differentialgeometrie. Er promovierte dann auch nicht in China, sondern 1936 bei Blaschke in Hamburg. Nach einem Aufenthalt in Paris ging er zurück nach China, wo seine Universität wegen der japanischen Besatzung zunächst nach Changsha und dann bis Kriegsende nach Kunming verlegt wurde. Er war dort sehr abgeschnitten, verbrachte aber viel Zeit mit der Lektüre von Cartans Arbeiten. André Weil hatte eine von Cherns Arbeiten für die Math Reviews referiert und trotz einiger Schwächen der Arbeit bemerkt, dass diese auf einem sehr viel höheren Niveau war als die Arbeiten von Blaschkes Schule. Mit Weils Empfehlung wurde Chern an das Institute for Advanced Study in Princeton eingeladen, wo die Experten sehr beeindruckt von ihm waren. Die Atmosphäre dort war recht ruhig, weil viele Leute für den Krieg arbeiteten. Er erhielt Anstöße von Weyl und lernte bald danach Weil kennen, mit dem er schnell über dessen kürzlichen Beweis mit Allendoerfer ins Gespräch kam.
Chern hatte damals einen weiteren neuen Beweis für den 2-dimensionalen Satz von Gauß-Bonnet gefunden, in dem er Hopfs Interpretation der Euler-Charakteristik durch Nullstellen von Vektorfeldern benutzte. Für ein Vektorfeld auf der Fläche S schnitt er Umgebungen der Nullstellen aus und betrachtete die entstehende Fläche mit Rand und das über ihr liegende Einheitstangentialbündel. Die zu integrierende 2-Form K.dvolS zog er auf das Einheitstangentialbündel zurück, wo sie – nach einer lokalen Berechnung – das Differential einer 1-Form ist. Nach dem Satz von Stokes kann man also das Integral von K.dvol als Integral dieser 1-Form über den Rand berechnen und dieses geht, wenn man den Rand auf die Nullstellen zusammenschrumpfen läßt, gegen die Summe der Indizes der Nullstellen, also χ(S).
Es gibt zahlreiche Beweise der 2-dimensionalen Gauß-Bonnet-Formel, aber dieser Beweis ließ sich auf höhere Dimensionen verallgemeinern. Die wesentliche aus dem 2-dimensionalen Fall stammende neue Idee war das, was man später „Transgression“ nannte: eine geschlossene n-Form auf das Rahmenbündel zurückzuziehen, wo sie zu einer exakten Form wird. Um zu beweisen, dass sich die Euler-Charakteristik durch eine gewisse n-Form Pf ausdrücken läßt, mußte er also eine n-1-Form auf dem Einheitstangentialbündel finden, deren Differential zu Pf projiziert. Das war im allgemeinen Fall schwieriger als im 2-dimensionalen, gelang ihm aber in seiner 1944 in Annals of Mathematics veröffentlichten Arbeit „A simple intrinsic proof of the Gauss-Bonnet formula for closed Riemannian manifolds“. Damit hatte er einen sehr viel klareren Beweis der von Weil und Allendoerfer gefundenen Formel, er sah das später als seine beste Arbeit an. (Die Verwendung der Transgression fand in den 70er Jahren eine weitergehende Anwendung in der Chern-Simons-Theorie. Dort benutzt man, dass für flache Zusammenhänge auch die von Chern verwendete n-1-Form eine Kohomologieklasse definiert.)
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