Dass dieses von Chern noch als Allendoerfer-Weil-Formel bezeichnete Resultat später als Satz von Chern-Gauß-Bonnet bekannt wurde, lag wohl vor allem daran, dass Chern seinen Ansatz in den nächsten Jahren zu einer allgemeinen Theorie charakteristischer Klassen und ihrer Interpretation durch Krümmungsformen ausbaute.

Pontrjagin hatte 1938 bemerkt, dass man die Stiefel-Whitney-Klassen des Tangentialbündels einer Mannigfaltigkeit definieren kann, indem man die Mannigfaltigkeit in die reelle Graßmann-Mannigfaltigkeit Grass(n,2n) – den Raum aller n-dimensionalen Unterräume des R2n – so einbettet, dass das Tangentialbündel in das tautologische Bündel über der Graßmann-Mannigfaltigkeit eingebettet wird, und dann die Erzeuger der Z/2Z-Kohomologie von Grass(n,2n) zurückzieht. (Chern bewies später, dass die Stiefel-Whitney-Klassen des tautologischen Bündels die Z/2Z-Kohomologie der Graßmann-Mannigfaltigkeit erzeugen.)

Eine eigentlich triviale Beobachtung Cherns war, dass für komplexe Vektorbündel die Beweise auch funktionieren und sogar einfacher werden. Die Idee war, Ehresmanns Berechnung der Kohomologie der komplexen Graßmann-Mannigfaltigkeit GrassC(n,2n) auszunutzen – er hatte gezeigt, dass diese von Klassen c_i\in H^{2i}(Grass_{\bf C}(n,2n)) erzeugt wird und dass die Kohomologie dieser Mannigfaltigkeiten keine Torsion hat – und damit dann für komplexe Vektorbündel über einer Mannigfaltigkeit M charakteristische Klassen c_i\in H^{2i}(M) zu definieren. Diese Klassen kann man dank Ehresmanns Theorie durch Differentialformen Chi repräsentieren und von diesen bewies Chern, dass sie sich aus der Krümmungsform Ω eines beliebigen Zusammenhangs (auf dem zum Vektorbündel V assoziierten GL(n,C)-Prinzipalbündel) berechnen lassen. Für Hermitesche Mannigfaltigkeiten bekommt man damit noch einmal das höherdimensionale Gauß-Bonnet-Theorem, da sich in diesem Fall die Euler-Charakteristik durch Integration der höchsten Chern-Klasse des Tangentialbündels über die Mannigfaltigkeit berechnen läßt.
Der Zusammenhang zwischen der Krümmungsform Ω und den die charakteristischen Klassen ck repräsentierenden Formen Chk läßt sich in einer Formel zusammenfassen: det((λ1 – Ω)/2πi) = Σk Chkλk.

Die komplexe Graßmann-Mannigfaltigkeit GrC(n,∞) ist der klassifizierende Raum BU(n). Chern war klar, dass sich seine komplexen charakteristischen Klassen verallgemeinern lassen, wenn man statt der unitären Gruppe U(n) andere Lie-Gruppen G betrachtet. Er erarbeitete in den nächsten Jahren eine Konstruktion, jedem G-Prinzipalbündel einen Homomorphismus H^*(BG)\to H^*(M) und damit charakteristische Klassen in der Kohomologie der Basis M zuzuordnen.
Die Konstruktion benutzt, dass die Kohomologie des klassifizierenden Raumes BG (für kompakte oder halbeinfache Lie-Gruppen G) mit dem Ring der Ad-invarianten Polynome auf der Lie-Algebra übereinstimmt. Andererseits sind die Ad-invarianten Polynome gerade diejenigen, für die man die durch Einsetzen der Krümmungsform eines Prinzipalbündels auf dem Totalraum des Bündels erhaltene Differentialform bereits auf der Basis definieren kann.
Zu einem G-Prinzipalbündel E—->M mit einer Zusammenhangsform der Krümmungsform Ω (die eine 2-Form auf E mit Werten in der Lie-Algebra von G ist) und einem Ad-invarianten Polynom f vom Grad k auf der Lie-Algebra betrachtet er also die 2k-Form f(Ω) auf E. Wegen der Bianchi-Identität ist dΩ=0 und dann auch df(Ω)=0. Wegen der Ad-Invarianz definiert f eine Form auf der Basis M, die ebenfalls geschlossen ist und deren Kohomologieklasse nicht vom gewählten Zusammenhang abhängt. Man bekommt also zu jedem invarianten Polynom eine charakteristische Klasse. So bekommt man für G=SU(n) die Chern-Klassen und für G=O(n) die Pontrjagin-Klassen, sowie für G=SO(2m) zusätzlich die Euler-Klasse.

Chern veröffentlichte dies in den ICM-Proceedings 1950, vorher war seine Konstruktion schon von Cartan in seinen Seminarnotizen aufgeschrieben worden. Für den Beweis der Unabhängigkeit der Kohomologieklasse vom gewählten Zusammenhang benötigte Chern, der mit der Theorie der Lie-Algebren nicht so vertraut war, ein Lemma aus einer unveröffentlichten Arbeit seines Chicagoer Kollegen André Weil, weshalb die Abbildung H^*(BG)\to H^*(M) heute Chern-Weil-Homomorphismus heißt. Die Übereinstimmung dieser Konstruktion mit der homotopietheoretischen wird als Fundamentalsatz bezeichnet.

Mit dem so definierten Chern-Weil-Homomorphismus kann man dann auch den Satz von Chern-Gauß-Bonnet erklären. Das invariante Polynom auf der Lie-ALgebra von SO(2m) ist die Pfaffsche Determinante Pf, eine Quadratwurzel aus der Determinante von Matrizen. Angewandt auf die Krümmungsform des Levi-Civita-Zusammenhangs auf dem Rahmenbündel einer Riemannschen Mannigfaltigkeit M (und zurückgezogen auf die Mannigfaltigkeit) gibt es gerade den unter dem Integral stehenden Ausdruck auf der rechten Seite des Satzes von Chern-Gauß-Bonnet. Anwendung des Chern-Weil-Homomorphismus gibt die Euler-Klasse, deren Integral über die Mannigfaltigkeit die Euler-Charakteristik ist.

1 / 2 / 3 / 4

Kommentare (1)

  1. […] für Funktionenkörper Das Hodge-Theorem Siegel-Scheiben Stetiger Funktionalkalkül Der Satz von Chern-Gauß-Bonnet Der Eilenberg-Steenrod-Eindeutigkeitssatz Die Leray-Spektralsequenz Konditionierung linearer […]