Das war eine Verallgemeinerung der Čech-Kohomologie und insoweit nicht so beeindruckend. Leray ging es aber vor allem um die Untersuchung stetiger Abbildungen mittels der Topologie ihrer Fasern F=f-1(y). Weil die Topologie der Fasern sich von Punkt zu Punkt ändern kann, hat man hier kein System lokaler Koeffizienten, wie es von Steenrod zur Definition von Kohomologie mit lokalen Koeffizienten verwendet worden war. Lerays Garbenkohomologie war viel allgemeiner als Steenrods Theorie, beispielsweise läßt sie sich auf die Wolkenkratzergarbe anwenden.
Im Fall eines Faserbündels kann man den Kokettenkomplex der Faser oder auch die Kohomologie der Faser als Garbe betrachten. Leray untersuchte allgemein Abbildungen und betrachtete für eine Garbe
dann gewisse Kohomologiegruppen – in heutiger Sprache
, wobei
der abgeleitete Funktor des direkten Bildes
ist – und gab ein kompliziertes Verfahren, wie man aus diesen Gruppen die Kohomologie
von X berechnen kann. Im Fall, dass f ein Faserbündel ist, ist
, die p-te Garbenkohomologie der Garbe, welche in jedem Punkt die q-te Kohomologie der Faser F ist.
Die Formulierung dieses Verfahrens als Spektralsequenz gab ein Jahr später Cartans Student Koszul. Man hat dann Seiten einer Spektralsequenz, deren -Term die oben genannte Gruppe ist. Die folgenden Seiten werden als
für auf komplizierte Weise auf der
-Seite definierte Differentiale berechnet. Sie „konvergieren“ letztlich gegen
, woraus man die Kohomologie von X berechnen kann. (Konvergenz heißt hier, dass sich die Terme irgendwann nicht mehr ändern, die Differentiale also trivial werden.) Wenn beispielsweise das Faserbündel trivial ist, ist nach der Künneth-Formel
. Die Summanden sind gerade die
-Terme; die Differentiale sind in diesem Fall alle trivial. Für allgemeine Faserbündel sind wegen nichttrivialer Differentiale die
-Terme aber kleiner also die
-Terme. Die Spektralsequenz gibt also einen komplizierten algebraischen Zusammenhang der Homologiegruppen, der im einfachsten Fall von Produkten der Künneth-Formel entspricht.
Gleichzeitig mit Leray gab auch MacLanes Student Roger Lyndon in seiner Dissertation ein Verfahren zur Berechnung der Gruppenkohomologie für Gruppenerweiterungen an, welches Hochschild und Serre später als Spektralsequenz formulierten.
Lerays Arbeiten müssen für seine Zeitgenossen sehr obskur gewesen sein: ein neues Konzept (Garben) wird in eine neue Kohomologietheorie eingesetzt und dann benutzt, um gewissen Abbildungen eine äußerst komplexe Struktur zuzuordnen. Vor allem in Amerika wurden die Arbeiten schlecht aufgenommen. Henri Cartan übernahm es in den folgenden Jahren, Lerays Arbeiten in eine verständliche Form zu bringen. Er schrieb die Theorie komplett neu, beginnend damit dass er sie auf Basis offener statt abgeschlossener Mengen entwickelte, und erhielt letztlich sehr einfache Formulierungen. Eine Garbe ist nun einfach eine Prägarbe, die eine Verklebebedingung und eine Lokalitätsbedingung erfüllt, beides zusammengefaßt in der Exaktheit von für jede offene Überdeckung einer offenen Teilmenge U durch Ui´s. Die Garbenkohomologie definierte er durch Auflösungen: man betrachtet eine injektive Auflösung der Garbe; die sich ergebende exakte Sequenz ist nicht mehr exakt, wenn man zu globalen Schnitten übergeht; die Kohomologie dieser neuen Sequenz ist per Definition die (nicht von der injektiven Auflösung abhängende) Kohomologie der Garbe. Lerays ursprüngliche Definitionen wurden nicht weiter verwendet.
Die Leray-Spektralsequenz hatte jedoch eine Reihe von Anwendungen für Abbildungen in kompakte Hausdorff-Räume. Einfachstes Beispiel: wenn das Urbild jedes Punktes die Kohomologie eines Punktes hat, dann induziert die Abbildung einen Isomorphismus in Kohomologie. Das war zwar schon Vietoris bekannt gewesen, Leray hatte aber eine Reihe weitergehender Anwendungen, die aus der Kohomologie des Urbildes eines Punktes auf die Zusammenhänge zwischen der Kohomologie der beiden Räume schließen lassen. Auch die von Hopfs Student Werner Gysin gefundene exakte Sequenz die Kohomologie von Sphärenbündeln bekam er mit seinem Ansatz. In einer weiteren Arbeit benutzte Leray seine Spektralsequenz, um die Kohomologie von Fahnenmannigfaltigkeiten und allgemein von Mannigfaltigkeiten G/T für eine kompakte Lie-Gruppe G und einen maximalen Torus T zu berechnen.
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