Algebraische Zahlentheorie befaßt sich spätestens seit Hilbert mit Körpererweiterungen von Zahlkörpern. So wie sich das quadratische Reziprozitätsgesetz als Satz über Ideale in quadratischen Erweiterungen von Q interpretieren läßt, so sollen auch alle höheren Reziprozitätsgesetze im Kontext abelscher Erweiterungen von Zahlkörpern erklärt werden.
Die Klassifikation abelscher Erweiterungen eines Zahlkörpers benötigt das Studium des sogenannten Klassenkörpers (d.h. der maximalen unverzweigten abelschen Erweiterung des Zahlkörpers, deren Galois-Gruppe ist die Idealklassengruppe des Zahlkörpers), sowie der maximalen abelschen Erweiterung Kab des Zahlkörpers K und ihrer Galois-Gruppe Gal(Kab/K).
Das Artinsche Reziprozitätsgesetz besagt, dass man für endliche, abelsche Erweiterungen L/K einen Isomorphismus einer gewissen Idealklassengruppe (der Strahlklassengruppe) auf die Galois-Gruppe Gal(L/K) hat, der einer Idealklasse p den Frobenius-Automorphismus Frobp zuordnet. Insbesondere bekommt man für die maximale abelsche Erweiterung einen Isomorphismus für die Idealklassengruppe Cl(K) und die Normabildung N:Kab—>K, die einem Element
die Determinante der Multiplikation mit l (als K-linearem Automorphismus von Kab) zuordnet.
Für lokale Körper K wie die p-adischen Zahlen Qp wird diese Theorie deutlich einfacher. Man hat einen Homomorphismus der multiplikativen Gruppe Kx auf die Galois-Gruppe Gal(Kab/K), der ein Element k auf Frobpordp(k) abbildet. Helmut Hasse bewies 1930, dass man für nicht-archimedische lokale Körper wie Qp so einen Isomorphismus bekommt. (Für archimedische lokale Körper wie R oder C hat man einen surjektiven Morphismus, dessen Kern die Einheitskomponente ist.) Der Isomorphismus ist das mit Hilfe des Hilbert-Symbols definierte „lokale Normrestsymbol“, ursprünglich von Hilbert für Kummer-Erweiterungen definiert, aber auf alle endlichen abelschen Erweiterungen lokaler Körper anwendbar.
Claude Chevalley stellte durch die Einführung der Idelegruppe einen Zusammenhang zwischen den beiden Resultaten her. Als Idele bezeichnet man die Einheiten im Adelering, der zu einem Zahlkörper K definiert ist als das restringierte Produkt über alle Vervollständigungen von K, wobei „restringiertes Produkt“ bedeutet, dass die Komponenten der Elemente für fast alle (von R und C verschiedenen) Vervollständigungen in
– den Elementen mit nichtnegativer Bewertung – liegt. Zum Beispiel ist AQ das Produkt von R mit dem eingeschränkten Produkt aller p-adischen Zahlen Qp, wo also fast alle Komponenten zu Zp gehören sollen. Die Idele sind dann einfach das eingeschränkte Produkt der entsprechenden multiplikativen Einheitengruppen. (Chevalley definierte zunächst Idele und stellte erst einige Jahre später fest, dass sie die Einheiten im größeren Adelering sind.) Die Idelklassengruppe – der Anklang an Idealklassengruppe war beabsichtigt, denn sie übernimmt im Reziprozizätsgesetz die Rolle der Idealklassengruppe – ist der Quotient CK=IK/Kx der Idelegruppe nach der diagonal eingebetteten multiplikativen Gruppe Kx.
Mit diesen Definitionen gelang es Chevalley, die lokalen Isomorphismen zusammenzusetzen zu einem globalen Isomorphismus oder allgemeiner
für jede endliche abelsche Erweiterung L/K. (Insbesondere entsprechen die abelschen Erweiterungen von K den offenen Untergruppen der Idelegruppe.) Sein Isomorphismus bildet ein Idel (ap)p auf
ab.
Für K=Q bekommt man den Satz von Kronecker-Weber: die maximale abelsche Erweiterung von Q erhält man durch Adjunktion aller Einheitswurzeln und die Galois-Gruppe ist das Produkt der multiplikativen Gruppen p-adischer Körper über alle Primzahlen: . (In diesem Fall ist jede Erweiterung verzweigt, der Klassenkörper also Q, und die Idealklassengruppe bekanntlich trivial.)
Mit seinem auf Eigenschaften der p-adischen Zahlen beruhenden Beweis des Isomorphismus gelang Chevalley die Algebraisierung der Klassenkörpertheorie, während Artins Beweis Funktionentheorie benutzt und letztlich eine Gleichheit von L-Funktionen bewiesen hatte.
Erich Hecke hatte 1917 eine L-Funktion von sogenannten Größencharakteren definiert, die sowohl die L-Reihen von Dirichlet-Charakteren (mit denen man die Verteilung von Primzahlen in arithmetischen Folgen untersucht) als auch die Dedekindsche Zetafunktion von Zahlkörpern (mit der man die Verteilung von Primidealen in Ganzheitsringen untersucht) verallgemeinerte und für die er mit einem aufwendigen Beweis ihre meromorphe Fortsetzbarkeit und ihre Funktionalgleichung bewies.
John Tate fand in seiner 1950 bei Emil Artin geschriebenen Dissertation “Fourier Analysis in Number Fields and Hecke’s Zeta Functions” einen konzeptuelleren Zugang zu Heckes Theorie und insbesondere zum Beweis der Funktionalgleichung für die L-Funktion im Kontext der Adele.
Statt der Größencharaktere betrachtete Tate stetige Homomorphismen der Idelegruppe nach C*. (Man spricht von Quasicharakteren, weil die Bezeichnung Charaktere für Homomorphismen nach S1 reserviert ist. Jeder Quasicharakter ist das Produkt aus einem Charakter und für eine komplexe Zahl s.) Dieser Begriff umfaßt insbesondere die Dirichlet-Charaktere, die man ja mittels der Projektion
auf die Idelegruppe zurückziehen kann.
Tate definiert für jeden Quasicharakter eine L–Funktion. Für einen Charakter χ kann er insbesondere eine auf der komplexen Ebene definierte Funktion durch definieren. Das ist der lokale L-Faktor. Für diesen hat man eine Funktionalgleichung
.
Diese L-Funktion unterscheidet sich von einer vorher bekannten Λ-Funktion nur um einen von den archimedischen Stellen kommenden Faktor. Insbesondere folgt aus der Funktionalgleichung der Λ-Funktion die Funktionalgleichung der L-Funktion.
Für die Riemannsche Zetafunktion hat man eine Funktionalgleichung mit
. Der Beweis dieser Funktionalgleichung benutzt wesentlich die Poissonsche Summenformel
für schnell fallende C∞-Funktionen (sogenannte Schwartz-Funktionen) f und ihre Fourier-Transformierte
. Man wendet sie auf die Funktion
an, für die
gilt.
In den 30er Jahren hatte Pontrjagin die Theorie der Fourier-Transformation auf beliebige lokalkompakte Gruppen verallgemeinert. Für eine lokalkompakte abelsche Gruppen G mit Haar-Maß μ hat man ihre duale Gruppe von Charakteren, und für jede Funktion f auf G dann ihre „Fourier-Transformierte“ .
Die reellen Zahlen R sind im Sinne der Pontrjagin-Dualität selbstdual, so dass die Fourier-Transformierte wieder auf R definiert ist. Tate bewies in seiner Dissertation, dass auch lokale Körper K (und ihre Produkte) selbstdual sind, so dass die Fourier–Transformierte wieder auf K (oder dem Produkt) definiert ist. Insbesondere kann man das auf die lokalkompakte Gruppe der Idele anwenden.
Weiter bewies Tate dann eine Verallgemeinerung der Poissonschen Summenformel für Adele: für sogenannte Schwartz-Bruhat-Funktionen f. Beim Beweis der Funktonalgleichung wendet man sie auf die Funktion
an.
Der Vorteil von Tate‘s Argument besteht darin, dass er die Funktionalgleichung in Funktionalgleichungen für die lokalen Faktoren zerlegt. Man kann sich am einfachsten Beispiel, der Funktionalgleichung für die Riemannsche Zetafunktion, anschauen, was das konkret bedeutet. Man hat hier eine Produktzerlegung mit
und
. Man hat nun einerseits in R, dass
die Fourier-Transformierte von
ist und andererseits in Qp, dass
die Fourier-Transformierte von
ist, woraus jeweils mit der Poissonschen Summenformel die gewünschte Funktionalgleichung für den lokalen Faktor folgt.
Aus heutiger Sicht geben die Arbeiten von Artin und Tate den GL(1)-Fall des Langlands-Programms.
Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:John_Tate.jpg
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