Faserbündel sind Räume, die lokal wie ein Produkt aussehen. Über jedem Punkt eines Basisraums B hat man eine (dieselbe) Faser F, die Fasern setzen sich zu einem Totalraum E zusammen, und lokal kann man zu jedem Basispunkt eine Umgebung U finden, deren Urbild in E mit dem Produkt identifiziert werden kann. So ist etwa das Möbius-Band der Totalraum eines Faserbündels, dessen Basis ein Kreis und dessen Faser das Intervall ist.
In der Physik kamen Faserbündel erstmals in den 1920er Jahren in der Kaluza-Klein-Theorie vor, die aus dem erfolglosen Versuch entstand, die Maxwell-Gleichungen des Elektromagnetismus in der Raum-Zeit der Relativitätstheorie zu formulieren. Weil das nicht möglich war, betrachtete man statt der Raum-Zeit ein Kreisbündel über der Raum-Zeit, wo sich die Maxwell-Gleichungen dann formulieren ließen.
Seit den 1940er Jahren eroberten Faserbündel die Mathematik. In der algebraischen Geometrie übernahmen Linienbündel die Rolle der Divisoren. (Einen Divisor erhält man als Nullschnitt eines Linienbündels und unter den richtigen Annahmen und mit den richtigen Begriffen ist das eine 1:1-Korrespondenz.) In der algebraischen Topologie stellte die Leray-Spektralsequenz eines Faserbündels F–>E–>B einen Zusammenhang zwischen den Homologie- und Kohomologiegruppen der verschiedenen Räume her und ermöglichte damit Berechnungen, die anders unzugänglich waren.
Man interessierte sich damals für die von Eilenberg und Mac Lane eingeführten CW-Komplexe K(G,n), deren n-te Homotopiegruppe G und deren andere Homotopiegruppen trivial sind. Insbesondere wollte man ihre Homologie berechnen. Beispielsweise ist K(Z,2) der unendlich-dimensionale komplex-projektive Raum, dessen Homologie leicht zu berechnen ist. (Er hat eine CW-Zerlegung, in der nur gerade-dimensionale Zellen vorkommen, eine in jeder Dimension. Dementsprechend sind die Homologiegruppen abwechselnd Z und 0.)
Dieser K(Z,2) ist die Basis eines S1-Bündels mit kontrahierbarem Totalraum. Weil S1 ein K(Z,1) ist, fragte sich Serre dann, ob sukzessive K(G,n)’s immer auf diese Weise durch eine Faserbündel verbunden sind, und allgemeiner, ob es über jedem Raum X ein Faserbündel mit kontrahierbarem Totalraum gibt. Tatsächlich fand er einen Kandidaten dafür, die Wegeraumkonstruktion: man betrachtet zu einem festen Basispunkt * den Raum PX aller in * startenden Wege. Dieser Raum ist kontrahierbar und man hat die Endpunkt-Projektion , die jedem in * startenden Weg seinen Endpunkt zuordnet. Die Faser in * ist der Schleifenraum
. Allerdings sind die Fasern unterschiedlicher Punkte (selbst bei wegzusammenhängender Basis) a priori nur homotopie-äquivalent, es handelt bei der Abbildung
nicht um ein Faserbündel.
Es gab unter den Mathematikern verschiedene Ideen, wie man allgemeinere Faserungen definieren sollte und das Problem war immer, dass man Hochhebungen von Homotopien benötigte und deren Existenz also beweisen mußte. Serre umging dieses Problem dann einfach, indem er den allgemeinen Begriff “Faserung” eben durch die Homotopiehebungseigenschaft definierte. Die Wegeraumkonstruktion war zwar kein Faserbündel, aber in Serres Sinn eine Faserung. Wenn ein Raum Y ein K(G,n) ist, dann ist der Schleifenraum ΩY ein K(G,n-1). Allgemeiner kann man für einen Raum X beginnend mit der klassifizierenden Abbildung eine Folge von Abbildungen
konstruieren, so dass
eine Faserung mit Faser
ist. Man kann dann versuchen, Spektralsequenzen dieser Faserungen aufzustellen und damit Homologiegruppen zu berechnen versuchen.
Populär wurden Spektralsequenzen vor allem durch Arbeiten von Armand Borel, der mit ihnen die Kohomologie und (mit Hirzebruch) die charakteristischen Klassen homogener Räume berechnete. Zum Beispiel verstand er die Kohomologie von BU(n) mittels der Faserung U(n)/T—>BT—>BU(n), auf der die symmetrische Gruppe Sn wirkt. Die charakteristischen Klassen von BU(n) erhält man als die elementarsymmetrischen Funktionen in den Erzeugern des Kohomologierings von BT.
Serre hatte viele neue Ideen für die Untersuchung von Eilenberg-MacLane-Räumen und Homotopiegruppen von Sphären, die aber alle daran hingen, dass man Spektralsequenzen im allgemeinen Kontext von Faserungen (statt nur Faserbündeln) benötigt. Außerdem waren bei Leray Spektralsequenzen nur für lokalkompakte Räume anwendbar gewesen, obwohl sein Ziel ja eigentlich die Betrachtung möglichst allgemeiner Räume statt nur Simplizialkomplexen gewesen war. Serre überwand diese Einschränkung. Um die von Leray nur für Faserbündel aufgestellte Spektralsequenz auch für seinen Faserungsbegriff zu beweisen, mußte er – mit Hilfe von Cartan und Koszul – die richtige Filtrierung finden und viele nichttriviale Details ausarbeiten. Nach einigen Monaten war er damit fertig und es war frappierend, wie mühelos – nachdem diese Arbeit erledigt war – manche topologischen Beweise dann wurden. Ein instruktives Beispiel ist der Satz von Hurewicz über den Zusammenhang zwischen Homotopie- und Homologiegruppen: wenn für q≤n-1, dann ist
. Der Beweis dieses seit 1936 bekannten Satzes wurde nun sehr kurz (und sehr ungeometrisch): in der Spektralsequenz der Wegefaserung
ist
und
.
Weil die dazwischenstehenden Terme Null sind, kann nur von
getötet werden. Weil
kontrahierbar ist, muß aber
irgendwann Null werden. Also ist
. Durch vollständige Induktion mit Anwenden der Induktionsvoraussetzung auf
bekommt man
, also den Satz von Hurewicz..
Höhere Homotopiegruppen waren bisher völlig unberechenbar. Noch auf dem ICM in Massachusetts 1950 hatte Hopf gesagt: “Die gegenwärtige Situation in diesem Gebiet ist sehr unübersichtlich, und es ist verständlich und erfreulich, dass sich viele Geometer bemühen, hier Klarheit zu schaffen und ein Gesetz zu erkennen.”
Als allgemeine Philosophie für die Berechnung der Homotopieklassen von Abbildungen von X nach Y ergab sich die folgende: man zerlegt X als iterierte Kofaserung, deren Faktoren kohomologisch elementar sind, und Y als iterierte Faserung, deren Faktoren homotopisch elementar sind. Man hat immer genug Faserungen, die aber im allgemeinen als Funktionenräume definiert werden und deshalb nicht direkt zugänglich sind. Man kann aber Spektralsequenzen für kohomologische Berechnungen verwenden. Mit diesen Methoden zeigte Serre beispielsweise, dass unter vernünftigen Voraussetzungen die Homotopieklassen eine endlich erzeugte Gruppe bilden.
Mit Serres Methode hatte man nun einen Ansatz, aber jeder Schritt war viel Arbeit. Für die Berechnung einer zu bestimmenden Homotopiegruppe G=πqSn betrachtet man eine Faserung, deren Faser ein K(G,n) ist. Nach dem Satz von Hurewicz ist die erste nichttriviale Homologiegruppe von K(G,n) gerade Hn(K(G,n))=πn(K(G,n))=G und man kann dann mit Spektralsequenzen versuchen, diese Homologiegruppe der Faser zu berechnen.
So kann man beispielsweise aus der Faserung ΩK(Z,3)–>PK(Z,3)–>K(Z,3) und der Kenntnis der Kohomologie von K(Z,2)=ΩK(Z,3) die ersten Homologiegruppen von K(Z,3) berechnen und das dann induktiv fortsetzen. Um G=π4S3 zu bestimmen, betrachtet man den Raum Y, der aus der S3 entsteht indem durch Ankleben von Zellen sukzessive alle Homotopiegruppen ab der fünften getötet werden. Man kann dann eine Faserung K(G,4)–>Y–>K(Z,3) konstruieren und bekommt eine Spektralsequenz, in der E20,4=G von E25,0=H5(K(Z,3))=Z/2Z getötet werden muss. Also ist π4S3=Z/2Z. Etwas schwieriger ist dann schon die Berechnung von π5S3 und wirklich schwer wird die Berechnung von π6S3.
Auch wenn die Berechnung der Homotopiegruppen von Sphären sich nicht beliebig weit fortsetzen ließ, gelang Serre mit seinen Methoden doch ein allgemeiner Satz über diese Gruppen: bis auf die schon von Hopf bekannten Beispiele πnSn=Z und π4n-1S2n=Z sind die Homotopiegruppen der Sphären stets endlich. Für diesen Satz aus seiner 1953 in Annals of Mathematics veröffentlichten Arbeit „Groupes d’homotopie et classes de groupes abéliens“ erhielt er ein Jahr später die Fields-Medaille.
Bild: https://mathshistory.st-andrews.ac.uk/Biographies/Serre/pictdisplay/
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