Die Poissonsche Summenformel für schnell fallende
-Funktionen f hat zahlreiche Anwendungen in Zahlentheorie und Analysis, beispielsweise beim Beweis der Transformationsformel der Theta-Funktion oder für gewisse Reihenentwicklungen.
Man kann sie geometrisch interpretieren, indem man sieht, dass auf dem Kreis S1=R/Z die natürlichen Zahlen die Längen der geschlossenen Geodäten sind und die Zahlen -(2πk)2 die Eigenwerte des Laplace-Operators d2/dx2. Die Summenformel setzt also die Längen geschlossener Geodäten mit den Eigenwerten des Laplace-Operators in Beziehung.
Der Kreis und die Sphäre sind die einfachsten Beispiele kompakter symmetrischer Räume. Für den Kreis kennt man die Eigenfunktionen des Laplace-Operators, es sind die Funktionen eikx. Auch für die Sphären kennt man die Eigenfunktionen des Laplace-Operators – es sind die Kugelflächenfunktionen – und für die Eigenwerte hat man eine ähnliche Summenformel , wobei sich der auf der rechten Seite vorkommende Term
als Länge geschlossener Geodäten auf der Sphäre interpretieren läßt.
Schwieriger, aber für viele Anwendungen in der Mathematik von Interesse, ist der Laplace-Operator auf hyperbolischen Flächen H2/Γ, wobei H2 die hyperbolische Ebene und Γ ein Gitter ist, d.h. H2/Γ ist entweder kompakt oder zumindest wie beim für zahlentheoretische Anwendungen wichtigen Beispiel Γ=SL(2,Z) von endlichem Volumen.
Die Suche nach einer Summenformel für die Eigenwerte des hyperbolischen Laplace-Operators ist ein Spezialfall der folgenden allgemeinen Konstruktion. Sei G die Isometriegruppe eines symmetrischen Raumes X und Γ ein Gitter in G. Der Quotient X/Γ ist dann ein lokal symmetrischer Raum endlichen Volumens. Man hat eine Linkswirkung von G auf X/Γ und damit eine unitäre Darstellung der Lie-Gruppe G auf L2(X/Γ), die sogenannte reguläre Darstellung. Ein grundlegendes Problem in der Darstellunstheorie von Lie-Gruppen ist es, diese Darstellung in irreduzible Summanden ρk mit Charakteren σk zu zerlegen und die Vielfachheiten Nk der einzelnen Charaktere zu bestimmen.
Wegen der Unendlichdimensionalität der regulären Darstellung kann man für die Bilder der einzelnen Gruppenelemente zunächst keine Spur definieren. Man betrachtet deshalb für eine Darstellung
und eine fest gewählte Funktion mit kompaktem Träger
den auf
wirkenden Konvolutionsoperator
, der ein Spurklasseoperator ist. Für seine Spur gibt es die Identität
, wobei auf der rechten Seite über die Konjugationsklassen in Γ summiert wird, Γγ und Gγ die Zentralisatoren von γ in Γ bzw. G sind, und das Orbitintegral Oγ(f) durch
definiert ist. Der linke Ausdruck wird als die spektrale Seite der Spurformel bezeichnet, der rechte Ausdruck als die geometrische Seite der Spurformel. Das Ziel ist, diese Ausdrücke direkt zu beschreiben.
Für hyperbolische Flächen und dann allgemeiner lokal symmetrischer Räume vom Rang 1 fand Selberg explizite Spurformeln. Auf der rechten Seite stehen Summen über Konjugationsklassen, auf der linken Summen über Eigenwerte des Laplace-Operators Δ. Für kompakte hyperbolische Flächen bewies er beispielsweise 1956 die Formel , wobei L(γ) die Länge der γ entsprechenden geschlossenen Geodäten ist.
Eine der ersten Anwendungen dieser Gleichung war ein neuer Beweis von Weyls Gesetz über die asymptotische Verteilung der Eigenwerte des Laplace-Operators.
Selberg selbst war über die Zahlentheorie zur Beschäftigung mit der Spurformel gekommen. Der Zusammenhang zwischen den Längen geschlossener Geodäten und den Eigenwerten des Laplace-Operators hat einige Ähnlichkeit mit dem Zusammenhang zwischen Primzahlen und den Nullstellen der Riemannschen Zetafunktion. (Bemerkenswerterweise hatte Selberg 1948 einen elementaren Beweis für den Primzahlsatz gefunden, in dem die Riemannsche Zetafunktion eben nicht verwendet wurde, und für den er 1950 die Fields-Medaille erhielt. Abgesehen davon war er aber ein führender Experte der Riemannschen Zetafunktion, und er führte in seiner Arbeit zur Spurformel eine analoge Zetafunktion für hyperbolische Flächen ein, in der Primzahlen durch Längen geschlossener Geodäten ersetzt wurden.)
Eine wichtige Anwendung fand die Spurformel bei der Berechung der Dimension von Räumen automorpher Formen, die sie (jedenfalls im kompakten Fall) auf die Berechnung gewisser Integrale zurückführt.
Eine Summenformel, auf deren rechter Seite eine Summe über Eigenwerte steht, kann es natürlich nur geben, wenn das Spektrum diskret ist. Auf kompakten Mannigfaltigkeiten ist der Konvolutionsoperator kompakt und hat deswegen diskretes Spektrum. Für hyperbolische Flächen mit Spitzen führen die Spitzen zu einem kontinuierlichen Spektrum. Man kann aber sogenannte Spitzenformen definieren, die in den Spitzen verschwinden, und Gelfand, Graev und Piatetski-Shapiro bewiesen, dass die Einschränkung des Konvolutionsoperators auf den Raum der Spitzenformen L02(G/Γ) kompakt ist und also diskretes Spektrum hat. Das kontinuierliche Spektrum ist dann das orthogonale Komplement von L02(G/Γ) in L2(G/Γ).
Hans Maaß hatte Ende der 40er Jahre sogenannte Wellenformen betrachtet, das sind (nicht notwendig holomorphe) SL(2,Z)-invariante Funktionen auf der hyperbolischen Ebene, die einer gewissen Wachstumsbedingung in den Spitzen von SL(2,Z) genügen und Eigenfunktionen des hyperbolischen Laplace-Operators sind. Entsprechend kann man Maaß-Formen vom Gewicht k betrachten, die Eigenfunktionen des “Laplace-Operators vom Gewicht k” sind. Sie sind ein nicht-holomorphes Gegenstück zu den Modulformen vom Gewicht k, zu denen insbesondere die aus der Theorie der elliptischen Funktionen bekannten Eisenstein-Reihen Ek(z) gehören. Dies führte später zur allgemeineren Definition der automorphen Formen, die nicht holomorph sein müssen, sonst aber die selben Eigenschaften wie Modulformen haben.
Selberg realisierte als erster, dass das Klassifikationsproblem automorpher Formen im Wesentlichen das Eigenfunktionsproblem des Laplace-Operators ist. Er zeigte, dass das Komplement des Raums der Spitzenformen L02(G/Γ) in L2(G/Γ) im Fall Γ=SL(2,Z) von sogenannten nicht-holomorphen Eisenstein-Reihen Es(z) gebildet wird, die von einem komplexen Parameter s abhängen. Den komplexen Parameter s kann man als Charakter einer Borel-Untergruppe interpretieren. Selberg definierte für andere diskrete Untergruppen von SL(2,R) ähnliche von Charakteren parametrisierte Funktionen, die ebenfalls als Eisenstein-Reihen bezeichnet werden. (Die Eisenstein-Reihen selbst sind keine L2-Funktionen, sie sollen aber in der Spektralzerlegung von L2-Funktionen vorkommen ähnlich wie für G=R die nicht zu L2 gehörenden Funktionen eikx in der Spektralzerlegung von L2-Funktionen vorkommen.) Roelcke hatte 1954 den Spektralsatz für den hyperbolischen Laplace-Operator bewiesen modulo der analytischen Fortsetzbarkeit der Eisenstein-Reihen, die dann einige Jahre später von Selberg bewiesen wurde. Das kontinuierliche Spektrum ist das Intervall mit Vielfachheit die Anzahl der Spitzen von Γ, und es kann ziemlich explizit durch die Eisensteinreihen beschrieben werden. Das diskrete Spektrum besteht aus Eigenwerten endlicher Vielfachheit, ohne Häufungspunkte, es entspricht (neben den konstanten Funktionen) den Spitzenformen und ist schwer zu verstehen. Selberg ging das diskrete Spektrum mit seiner Spurformel an und konnte so letztlich alle quadratisch integrierbaren automorphen Formen auf SL(2,R), also die Spektralbasis für Δ, bestimmen. Man hatte sich gefragt, ob die mit sehr unterschiedlichen Methoden von Siegel und Maaß konstruierten Eigenfunktionen nur Anomalien oder bereits alle Eigenfunktionen waren. Selberg beantwortete das positiv mit seiner Spurformel. Später bewies er, dass die Eigenwerte zu Spitzenformen mindestens 3/16 sind und vermutete, dass sie mindestens 1/4 sein müssen.
Bild: https://wolffund.org.il/2018/12/09/atle-selberg/
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