Aus Delignes Vermutung würde folgen, dass die l-adische Kohomologie Hi(X,Zl) einer glatten projektiven Varietät als Modul über der absoluten Galois-Gruppe eine reine Hodge-Struktur vom Gewicht i haben sollte. Aufgrund gewisser Analogien erwartete Deligne, dass man für beliebige Schemata endlichen Typs über C eine gemischte Hodge-Struktur haben sollte. Das bewies er zunächst für glatte Schemata. Die Konstruktion war algebraisch, aber er benötigte die klassische Theorie harmonischer Formen auf komplexen Mannigfaltigkeiten um zu beweisen, dass sie funktioniert. Die Hauptidee war, die Varietät so in eine vollständige Varietät einzubetten, dass das Komplement ein Divisor mit Normalkreuzungen ist. Die Gewichtsfiltrierung ergab sich dann aus der Spektralsequenz. Die andere Filtrierung erhält man aus einer Filtrierung der logarithmischen Differentialformen. Als Anwendung erhielt er beispielsweise, dass für eine glatte projektive Abbildung f:X—>Y das Bild von H*(X,Q) in H*(f-1(y),Q) gerade der monodromie-invariante Unterraum ist.
Weil veröffentlichte 1974 einen Artikel in L’Enseignement Mathématique, in dem er darstellte, was seiner Meinung nach analytische Zahlentheorie als Analysis klassifiziere – genauer als Analysis angewandt auf eine spezielle Art von Problemen, wo arithmetische Begriffe wie “Primzahl” häufig vorkommen: es handele sich bei der analytischen Zahlentheorie hauptsächlich um Ungleichungen und asymptotischen Auswertungen. Als Beispiel nannte er die Ramanujan-Vermutung über die Diskriminante aus der Theorie der Modulfunktionen. Man kann die Diskriminante in eine Potenzreihe entwickeln und mit denselben Koeffizienten die Dirichlet-Reihe Σann-s betrachten. Diese Reihe hatte Ramanujan (bewiesen von Mordell) als ein gewisses Euler-Produkt über Primzahlen p zerlegt und dann vermutet, dass für jedes p die Nullstellen des im Produkt vorkommenden quadratischen Polynoms Pp den Betrag p11/2 haben. Das ist auf offensichtliche Weise äquivalent zu einer Ungleichung für die Koeffizienten. “We seem to have drifted into one of the back-waters of mathematics” hatte Hardy damals kommentiert. Für Weil war das nun ausdrücklich nur eine weitere Ungleichung und er fand es kurios, dass sich jemand dafür interessieren könnte.
Die Weil-Vermutungen wurden 1974 von Deligne bewiesen. Er benutzte aber statt der Standardvermutungen explizitere Methoden der Zahlentheorie (Modulformen), mit denen sich Grothendieck nicht im Geringsten auskannte. (Er benutzte die Weil-Vermutungen später aber, um immerhin eine der Standardvermutungen daraus herzuleiten, nämlich die Zerlegbarkeit der Kohomologie.) Grothendieck beschwerte sich später bitter darüber, dass seine Arbeit von seinen Schülern nicht fortgesetzt worden sei und diese die Schwierigkeiten einfach “umgangen” hätten.
Delignes Arbeit benutzte durchaus die Methoden aus Grothendiecks Eléments de Géométrie Algébrique, aber noch eine Reihe weiterer Ingredienzien, darunter einen von Kazhdan und Margulis bewiesenen Satz über die Monodromiegruppen von Lefschetz-Büscheln, eine Methode Rankins für Abschätzungen von Ramanujans Tau-Funktion, Arbeiten Grothendiecks über gewisse L-Funktionen, die klassische Invariantentheorie der symplektischen Gruppen, Spektralsequenzen und einen Trick, der mit Tensorpotenzen Abschätzungen beweist.
Aus dem Beweis erhielt Deligne auch die von Ramanujan vermutete Ungleichung für die Tau-Funktion, also ebenjenes Problem, das Weil ein Jahr zuvor als völlig uninteressant bewertet hatte. (Weil konnte noch rechtzeitig vor Drucklegung eine Fußnote in seinem Text unterbringen.) Tatsächlich bewies Deligne, dass für jede holomorphe Spitzenform vom Gewicht k für eine Kongruenzuntergruppe von Γ(N) – Ramanujans Vermutung betraf den Fall N=1 – die Koeffizienten in einer beliebigen Spitze von der Ordnung für alle ε>0 sind. Für N=2 gibt das eine sehr genaue Approximation für die Anzahl rn der Darstellungen von n als Summe von k Quadraten, den Koeffizienten der Thetareihe in einer Spitze von Γ(2). Deligne selbst meinte, dass ein Beweis dieser scheinbar elementaren Ungleichung, aufgeschrieben für einen Nicht-Experten in algebraischer Geometrie, zweitausend Seiten lang wäre.
Deligne fand für die Weil-Vermutungen später noch einen anderen Beweis – mit dem er auch eine der Standardvermutungen bewies – mit Methoden ähnlich denen in den klassischen Beweisen des Primzahlsatzes. Ein elementarer Beweis, wie ihn der Moskauer Zahlentheoretiker Stepanov in einigen Spezialfällen von Kurven gefunden hatte, wurde für die Weil-Vermutungen aber nicht gefunden.
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