Eine (komplexe) ebene Kurve kann man auf zwei Arten beschreiben: implizit durch eine Gleichung F(x,y)=0 oder explizit als Bild einer parametrisierten Kurve c:C–>C2. Kegelschnitte und auch singuläre Kubiken lassen sich durch rationale Funktionen parametrisieren, nichtsinguläre Kubiken (elliptische Kurven) aber nicht: für ihre Parametrisierung benötigt man die unten abgebildete Weierstraßsche ℘-Funktion eines Gitters L. Die elliptische Kurve ist (nach Hinzunahme des Punktes im Unendlichen) äquivalent zu einem Torus C/L für ein Gitter L, und die Parametrisierung der Kurve im C2 erfolgt dann durch (℘,℘’).
Das Problem, beliebige komplexe algebraische Kurven zu parametrisieren, wurde im 19. Jahrhundert als Uniformisierungsproblem bezeichnet. Felix Klein hatte 1878 entdeckt, dass die Quartik x3y+y3z+z3x=0 (in homogenen Koordinaten der projektiven Ebene) als Kompaktifizierung eines Quotienten H/Γ der hyperbolischen Ebene H parametrisiert werden kann: die Gruppe Γ ist eine Untergruppe der durch gebrochen-lineare Transformationen auf H wirkenden Matrixgruppe SL(2,R), nämlich die Hauptkongruenzgruppe zum Ideal (2cos(2π/7)-2), einem der Primfaktoren von (7). Das Bild zeigt einen Fundamentalbereich in der hyperbolischen Ebene, Kanten mit gleichen Ziffern werden identifiziert; der Quotient ist eine Fläche vom Geschlecht 3.
Solche Parametrisierungen galten zunächst als exotische Beispiele. 1880 hatte Henri Poincaré dann den Einfall, dass die Monodromien gewisser Differentialgleichungen gerade Isometrien der hyperbolischen Ebene sind, die Lösungen der Differentialgleichungen also wie Kleins Quartik als H/Γ für gewisse Monodromiegruppen Γ parametrisiert werden können. Felix Klein vermutete darauf, dass man mit Poincarés Konstruktion die Uniformisierung aller komplexen Kurven erhalten könne. Er bezeichnete das als Grenzkreistheorem, weil die Uniformisierung die universelle Überlagerung mit einem Grenkreis ausstattet. Beweisen wollte er das durch die Identifizierung der 6g-6 Moduli algebraischer Kurven vom Geschlecht g mit der Anzahl der Parameter der möglichen Fundamentalpolygone für diskrete Isometriegruppen der hyperbolischen Ebene. Sein Beweis war fehlerhaft, er diente aber immerhin Hermann Schwarz als Anlaß für die Entwicklung der Überlagerungstheorie, mit der das Problem auf den Beweis des (damals ebenfalls noch nicht bewiesenen) Abbildungssatzes zurückgeführt werden kann. Poincaré bewies dann mittels eines “Stetigkeitsarguments”, dass jede algebraische Kurve uniformisierbar ist und dass jede lineare Differentialgleichung mit algebraischen Koeffizienten durch Fuchssche Funktionen integriert werden kann. (Das Stetigkeitsargument besagt, dass injektive, stetige Abbildungen zwischen Mannigfaltigkeiten derselben Dimension surjektiv sein müssen. Das wurde später von Brouwer bewiesen.)
Aus dem Uniformisierungssatz folgt, dass jede Fläche geometrisiert werden kann: die Sphäre durch ihre runde Metrik, der Torus durch eine flache Metrik, die Flächen höheren Geschlechts durch hyperbolische Metriken. Niemand vermutete, dass es eine solche Uniformisierung auch für 3-Mannigfaltigkeiten geben könnte, erst Thurston brachte in den 70er Jahren diese Idee auf.
Thurston litt unter Strabismus, er hatte von Geburt an Schwierigkeiten mit dem dreidimensionalen Sehen. Als Kleinkind hatte seine Mutter mit ihm immer wieder bunte Muster angeschaut und er hatte ein ungewöhnliches Vorstellungsvermögen für dreidimensionale Geometrie entwickelt. In Vorträgen stand er manchmal einfach auf und malte komplizierte Bilder an die Tafel, mit denen er ein Beispiel oder Gegenbeispiel für eine mathematische Behauptung illustrieren wollte.
Schon während seiner Doktorarbeit über Blätterungen hatte er darüber nachgedacht, ob es eine Geometrisierung wie für Flächen auch im Dreidimensionalen geben könnte. Bekannt wurde er dann aber zunächst mit seinen Arbeiten über Blätterungen; er bewies 1974, dass jede Mannigfaltigkeit der Euler-Charakteristik Null eine Blätterung der Kodimension 1 besitzt.
Über die Jahre hatte er eine gewisse Intuition für hyperbolische 3-Mannigfaltigkeiten aufgebaut und schließlich vermutete oder spekulierte er, dass jede irreduzible 3-Mannigfaltigkeit ohne eingebettete inkompressible Tori eine von acht geometrischen Strukturen haben könnte, wobei die hyperbolischen Strukturen die häufigsten sein sollten, nämlich die auf irreduziblen, atoroidalen (d.h. ohne immersierte inkompressible Tori) 3-Mannigfaltigkeiten. Zu dieser Zeit bewiesen Waldhausens Student Johannson sowie unabhängig davon Jaco und Shalen gerade, dass man irreduzible 3-Mannigfaltigkeiten entlang Tori in Stücke schneiden kann (und die Stücke entweder atoroidal oder Seifert-Faserungen sind). Außerdem war schon länger bekannt, dass man jede 3-Mannigfaltigkeit als zusammenhängende Summe irreduzibler (oder S1xS2)-Stücke zerlegen kann. Damit behauptete seine Vermutung, dass man jede 3-Mannigfaltigkeit in geometrisierbare Stücke zerlegen kann.
Die Geometrisierungsvermutung subsumierte viele ältere Vermutungen, wie die berühmte Poincaré-Vermutung über einfach zusammenhängende 3-Mannigfaltigkeiten (diese sollen homöomorph zur S3 sein), allgemeiner das sphärische Raumformproblem (eine von Hopf aufgestellte Vermutung über endliche Gruppenwirkungen auf S3, die konjugiert zu einer Untergruppe von SO(4) sein sollen), die Smith-Vermutung (Fixpunktmengen von Diffeomorphismen der S3 sind unverknotet), die Endlichkeit der Abbildungsklassengruppe, die Frage nach der residuellen Endlichkeit der Fundamentalgruppen von 3-Mannigfaltigkeiten, oder die Frage nach der Klassifikation der möglichen universellen Überlagerungen von 3-Mannigfaltigkeiten.
Kommentare (9)