Beim Gaußschen Klassenzahlproblem ging es ursprünglich um die Anzahl der Äquivalenzklassen quadratischer Formen mit gegebener Diskriminante
. Die Koeffizienten a,b,c sollen ganzzahlig sein und zwei quadratische Formen gelten als äquivalent, wenn sie durch einen linearen Basiswechsel mit ganzzahligen Koeffizienten, also eine Basiswechselmatrix aus
auseinander hervorgehen. Gauß hatte in den 1801 veröffentlichten „Disquisitiones Arithmeticae“ für die stärkere Äquivalenzrelation der Basiswechsel mit rationalen (statt ganzzahligen) Koeffizienten bewiesen, dass es nur endlich viele Äquivalenzklassen gibt. Er vermutete, dass es auch bezüglich ganzzahliger Basiswechsel jeweils nur endliche viele Äquivalenzklassen quadratischer Formen gegebener negativer Diskriminante D gibt, dass deren Anzahl h(D) mit -D gegen Unendlich geht, und er hatte für D=-1,-2,-3 Listen quadratischer Formen mit Diskriminante D angegeben, die er als vollständig vermutete. (Dagegen vermutete er für positive Diskriminante D=1, dass es unendlich viele Äquivalenzklassen quadratischer Formen gibt. Diese Frage ist bis heute offen.)
Schon Gauß hatte auf der Menge der Äquivalenzklassen quadratischer Formen mit gegebener Diskriminante eine Verknüpfung (in späterer Sprache: eine Gruppenstruktur) definiert. Mit der Entwicklung der algebraischen Zahlentheorie Ende des 19. Jahrhunderts formulierte man das Klassenzahlproblem dann als Frage über Anzahlen algebraischer Zahlkörper mit gegebener Ordnung der Idealklassengruppe.
Zu einer quadratfreien (positiven oder negativen) Zahl D betrachtet man den Körper K=Q(√D). Dessen Ganzheitsring OK ist entweder Z[√D], falls D kongruent 2 oder 3 modulo 4, oder Z[(1+√D)/2], falls D kongruent 1 modulo 4. Dedekind zeigte, dass die Ideale im Ganzheitsring den quadratischen Formen der Diskriminante D entsprechen: der quadratischen Form ax2+bxy+cy2 entspricht das von a und (-b+√D)/2 erzeugte Ideal. Äquivalente quadratische Formen entsprechen Idealen, die sich durch Multiplikation mit einem Hauptideal ineinander überführen lassen. Man definiert die Idealklassengruppe des Zahlkörpers als Gruppe der Ideale modulo der Äquivalenzrelation I~J für aI=bJ (a,b∈OK), und die Klassenzahl als die Anzahl der Elemente in der Idealklassengruppe. (Zum Beispiel ist die Klassenzahl 1 genau dann, wenn jedes Ideal in OK ein Hauptideal, d.h. die Primfaktorzerlegung in OK eindeutig ist. Dagegen ist Z[√-5] kein Hauptidealring, die Idealklassengruppe besteht aus den Äquivalenzklassen der Ideale (1) und (2,1+√-5) und die Klassenzahl von Q(√-5) ist also 2.) Die Klassenzahl von Q(√D) ist dann also gleich der Anzahl der Äquivalenzklassen quadratischer Formen mit Diskriminante D. Man kann das Gaußsche Klassenzahlproblem also umformulieren als Frage nach der Klassenzahl des quadratischen Zahlkörpers K=Q(√D).
Man kann die Klassenzahl für beliebige Zahlkörper K definieren und Dirichlet hatte (zunächst für quadratische Zahlkörper) 1839 die Klassenzahlformel – in heutigen Bezeichnungen – bewiesen, die die Klassenzahl hK mit dem Residuum der Dirichletschen Zetafunktion ζK in 1 in Beziehung setzt. (In Dirichlets ursprünglicher Formulierung war für imaginär-quadratische Zahlkörper der Wert L(1,χ) der Dirichletschen L-Reihe eines Charakters modulo D verwendet worden.) Die anderen Terme der Klassenzahlformel lassen sich mit Hilfe der natürlichen Einbettung von OK als Gitter in Rr1+r2 bestimmen und insbesondere folgt aus dem 1891 von Minkowski bewiesenen Gitterpunktsatz die Endlichkeit der Klassenzahl.
Gauß‘ Vermutung, dass die Anzahl h(D) der Äquivalenzklassen quadratischer Formen negativer Diskriminante mit -D gegen Unendlich geht, wurde 1934 mit Methoden der analytischen Zahlentheorie von Hans Heilbronn gelöst (der deswegen vom Reichssicherheitshauptamt einige Jahre später auf eine Liste von im Falle einer Invasion der britischen Inseln mit besonderer Priorität ausfindig zu machenden Personen gesetzt wurde). Heilbronns Ansatz war, dass er die Vermutung sowohl für den Fall beweisen konnte, dass die verallgemeinerte Riemannsche Vermutung über Nullstellen von L(s,χ) falsch ist, als auch für den Fall, dass sie richtig ist. Sein Beweis war aber nicht effektiv, weil im ersten Fall alle Konstanten in seinem Beweis von einer zu findenden Nullstelle von L(s,χ) außerhalb Re(s)=1/2 abhingen. Man konnte also zu einem gegebenen Wert h nicht effektiv alle D mit h(D)=h bestimmen. Für h(D)=1 konnte Heilbronn aber jedenfalls in einer Arbeit mit einer Linfoot beweisen, dass es neben den neun schon Gauß bekannten Werten höchstens noch ein zehntes D mit h(D)=1 geben könnte. Siegel bewies dann mit Heilbronns Ansatz ein Jahr später, dass zu jedem ε ein effektiv berechenbares c mit für alle D existiert.
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