Die Euler-Gleichungen

\frac{\partial \vec{v}}{\partial t}  + (\vec{v}\cdot\nabla)\vec{v}  + \frac{1}{\rho} \cdot\nabla p = \vec{k}

beschreiben die Strömung von reibungsfreien, elastischen Flüssigkeiten und Gasen. Sie sind der Grenzfall für Viskosität 0 der Navier-Stokes-Gleichungen

\rho\left(\frac{\partial\vec{v}}{\partial t}+(\vec{v}\cdot\nabla)\vec{v}\right)  =-\nabla p+\mu\Delta\vec{v}+(\lambda+\mu)\nabla (\nabla\cdot\vec{v})+\vec{f}.

Olga Ladyzhenskaya bewies 1959 die globale eindeutige Lösbarkeit und die Glattheit der Lösungen für die Navier-Stokes-Gleichungen auf dem R2 und dem 2-dimensionalen Torus, und auch für die schwierigeren Euler-Gleichungen. Dieselbe Frage für die 3-dimensionalen Navier-Stokes-Gleichungen ist bis heute offen und ist eines der vom Clay-Institut aufgestellten Milleniumprobleme. Numerische Simulationen sind oft sehr instabil und Terence Tao bewies 2014, dass jedenfalls die Lösungen einer gemittelten Navier-Stokes-Gleichung explodieren. Das zeigte insbesondere, dass verschiedene bis dahin verfolgte Ansätze zum Beweis der Regularität der Lösungen von vornherein nicht funktionieren können, weil sie auch Regularität der Lösungen für die gemittelte Gleichung geben würden.

Ein Ansatz zur Bearbeitung unhandlicher Differentialgleichungen ist die Addition zusätzlicher stochastischer Terme und Behandlung der so entstandenen stochastischen Differentialgleichungen. Zum Beispiel konnten Hairer und Mattingly für die 2-dimensionalen Navier-Stokes-Gleichungen auf dem Torus diejenigen Störungen klassifizieren für die die Gleichungen ergodisch. Hairer entwickelte dann eine allgemeine Theorie von “Regularitätsstrukturen”, mit der man Gleichungen wie die KPZ-Gleichung oder die Navier-Stokes-Gleichungen auch bei Anfangswerten oder Störtermen niedriger Regularität als stochastische Differentialgleichungen behandeln konnte.

Für die Navier-Stokes-Gleichungen hat Kolmogorow 1941 eine statistische Theorie der Turbulenz vorgeschlagen. Für die kinetische Gesamtenergie E(t)=\frac{1}{2}\int\vert v(x,t)\vert^2 würde man erwarten, dass für Viskosität ν>0 die Dissipation dE/dt verschwindet. Das widersprach aber physikalischen und numerischen Experimenten. Gemäß Kolmogorows Theorie sollte für ν>0 die Dissipation konstant (und positiv) sein, was durch einen stetigen Fluß von Energie von niedrigen zu hohen Frequenzen (sogenannten Kaskaden) bewirkt werden sollte.
Lars Onsager, ein bekannter Physikochemiker hatte 1949 auf eine Konsequenz aus Kolmogorows Theorie hingewiesen. Weil man im Grenzfall für ν gegen 0 die Euler-Gleichung für reibungsfreie Flüssigkeiten und Gase die vieluntersuchten Gleichungen bekommt, sollte Kolmogorows Theorie und sein 5/3-Gesetz eine gewisse Regularität und insbesondere anormale Dissipation für die schwachen Lösungen der Euler-Gleichung implizieren. Während Kolmogorows Theorie eine statistische, mathematisch schwer zu fassende war, handelte es sich bei der Onsager-Vermutung um ein mathematisches Problem für partielle Differentialgleichungen, das sich beweisen oder widerlegen ließ.

Michail Gromov hatte 1969 in seiner Dissertation ein sogenanntes h-Prinzip entwickelt: einen allgemeinen Ansatz, mit dem man für eine Reihe in der Geometrie vorkommender partieller Differential(un)gleichungen ihre Lösbarkeit entscheiden kann. Als Spezialfall seines h-Prinzips ergab sich auch ein bekannter Satz von Nash und Kuiper über die Existenz 1-mal differenzierbarer, isometrischer Einbettungen des flachen Torus in den euklidischen R3 – im Gegensatz zur mit Gauß’ Theorema Egregium leicht zu beweisenden Unmöglichkeit 2-mal differenzierbarer, isometrischer Einbettungen. Eine der von Gromov entwickelten Methoden zum Beweis von h-Prinzipien war die sogenannte “konvexe Integration”, die im Prinzip auch ein iteratives Verfahren zur Konstruktion der Lösungen liefert. Trotzdem hatte wohl 40 Jahre lang niemand versucht, eine 1-mal differenzierbare Einbettung des Torus in den R3 auch explizit zu konstruieren. Erst 2012 wurde von Borrelli-Jabrane-Lazarus-Thibert mittels konvexer Integration ein Algorithmus zu ihrer expliziten Konstruktion entwickelt. So sahen die ersten vier Iterationsschritte der Konstruktion aus:

Weil der eingebettete Torus nur einmal, nicht zweimal differenzierbar sein darf, sehen die Bilder zwangsweise etwas ‘fraktal’ aus. Die Autoren schrieben, dass in einem präziseren Sinne die Normalvektoren des Torus fraktales Verhalten zeigen.

Jean Leray wird nachgesagt, er habe manche Zeit damit verbracht, Strudel und Wirbel in der Seine an den Pfeilern des Pont Neuf zu beobachten, und sei so zur Suche nach nichtglatten Lösungen der die Strömung linear-viskoser Flüssigkeiten beschreibenden Navier-Stokes-Gleichungen motiviert worden. Eine schwache Lösung der Navier-Stokes-Gleichungen ist eine L2-Funktion, deren schwache Ableitung (im Sinne der später von Schwartz definierten Distributionen) wieder L2 ist und die die schwache Version der Gleichungen erfüllt, also
\int(u\cdot\frac{\partial \phi}{\partial t}+\langle u\otimes u,\nabla\phi\rangle+\phi\cdot f)dxdt=0
für alle C^\infty-Funktionen \phi mit kompaktem Träger und verschwindender Divergenz. (Für differenzierbare f läßt sich diese schwächere Gleichung mittels partieller Integration aus der “richtigen” Gleichung herleiten.) Aus dieser Gleichung folgt die Energiegleichung \frac{1}{2}\Vert u(t)\Vert_2^2+\nu \int_0^t\Vert \nabla u\Vert_2^2d\tau=\frac{1}{2}\Vert u(0)\Vert_2^2 und daraus wiederum, dass die Summanden auf der linken Seite (die kinetische Energie und die Dissipationsenergie) für alle Zeiten beschränkt bleiben. Die Energiegleichung wurde zum entscheidenden Argument für die Konstruktion globaler schwacher Lösungen.
Leray konstruierte schwache Lösungen der Navier-Stokes-Gleichungen in einer 1934 veröffentlichten Arbeit. Er dachte sich diese schwachen Lösungen als Fortsetzung der glatten Lösung über die Singularitäten hinaus und bezeichnete sie als “turbulente Lösungen”: ihre Singularitäten sollten die Turbulenz beschreiben.

Mittels des 1938 bewiesenen Einbettungssatzes von Sobolew kann man für viele Differentialgleichungen beweisen, dass schwache Lösungen tatsächlich reguläre (differenzierbare) Lösungen sind. Mit einem ähnlichen Ansatz bewies Morrey 1938 die Analytizität der Lösungen elliptischer Differentialgleichungen, was sich aber nicht auf Differentialgleichungssysteme übertragen läßt. In den 50er Jahren hatten de Giorgi, Nash und Moser gezeigt, dass Elliptizität die richtige Bedingung für eine Regularitätstheorie skalarer Differentialgleichungen in Divergenzform ist. Insbesondere hatte man daraus die Regularität für Minimierer konvexer Integrale herleiten können, was später noch partiell auf quasikonvexe Integrale verallgemeinert worden war. Für Systeme -div σ(Dv)=0 gab es Regularitätssätze für monotone und allgemeiner quasimonotone σ und man erwartete, dass Regularität auch in anderen Situationen gelten sollte. In den 90er Jahren hatten dann aber S. Müller und Šverák mittels konvexer Integration überraschende 2-dimensionale Lösungen von -div σ(Dv)=0 gefunden, die zwar Lipschitz-stetig sind und kompakten Träger haben, aber nirgends stetig differenzierbar sind. Diese konnten sie als Variationsgleichung eines Integrals ∫f(Dv)dx bekommen, in dem f glatt und in einem von Morrey eingeführten Sinne sogar gleichmäßig quasikonvex ist. Anders als frühere Gegenbeispiele zu Regularitätssätzen versuchten sie nicht, punktweise Singularitäten zu finden, sondern benutzten, dass die Gleichung mit gewissen großen Oszillationen von Dv kompatibel ist, während kleine Oszillationen glatt sein müssen.
Von de Lellis und Székelyhidi wurden diese Methoden zur Konstruktion unerwarteter Lösungen mittels konvexer Integration auf die Euler-Gleichung der Hydrodynamik angewendet. Sie schrieben die Gleichung in eine Differentialinklusion um und entwickelten eine Iterationsprozedur zur Konstruktion stetiger dissipativer Lösungen.

Die von Scheffer und Schnirelman in den 90er Jahren bewiesene Existenz schwacher Lösungen der Euler-Gleichung, welche sich plötzlich ohne äußere Anregung aus einem Zustand der Ruhe zu turbulentem Verhalten hochschaukeln können (entgegen aller physikalischer Erfahrung und den Energieerhaltungssatz verletzend), hatte man bisher als Beispiel für das Auftreten unphysikalischer Lösungen bei zu schwachen Lösungsbegriffen gesehen. Mit ihren Arbeiten konnten de Lellis und Székelyhidi diese Lösungen in eine allgemeine Theorie einordnen, die sich auch auf andere Gleichungen anwenden ließ. Man hatte bei den unphysikalischen Lösungen dieselbe Nichteindeutigkeit (oder Flexibilität) wie bei den von Gromov und anderen behandelten geometrischen Problemen, sobald dort die Regularitätsbedingungen hinreichend abgeschwächt werden.

Die Arbeiten zur Euler-Gleichung von de Lellis und Székelyhidi mit verschiedenen Koautoren, insbesondere Buckmaster und Isett, kulminierten in einem Resultat, dass der vor mehr als sechzig Jahren von Onsager vorhergesagten anormalen Dissipation schwacher Lösungen als Konsequenz einer Energiekaskade eine mathematisch präzise Form gab. Für schwache Lösungen, die die Hölder-Stetigkeitsbedingung Iv(x,t)-v(y,t)I<CIx-yIθ mit θ>1/3 erfüllen, ist die Energie E(t) konstant – das war schon lange bekannt. Das neue Resultat, welches Isett in der 2018 in den Annals of Mathematics veröffentlichten Arbeit „A proof of Onsager’s conjecture“ dann mit der richtigen Skalierung bewies, besagte: wenn die Bedingung mit θ<1/3 erfüllt ist, dann gibt es Lösungen, für die E(t) nicht konstant ist. Sein Beweis kombinierte die von de Lellis und Székelyhidi entwickelte konvexe Integration mit neuen Verklebetechniken für Lösungen. Für Isetts Lösungen war die kinetische Energie E(t) nicht konstant, aber auf beliebig kleinen Zeitintervallen nicht monoton. Offen blieb, ob es Lösungen gibt, für die die Energie dissipativ ist, d.h. E(t) streng monoton fallend. Das beantworteten Buckmaster, de Lellis, Székelyhidi und Vicol dann in der 2019 in Communications in Pure and Applied Mathematics veröffentlichten Arbeit „Onsager’s conjecture for admissible weak solutions“. Mit einer Modifikation von Isetts Ansatz fanden sie eine allgemeine Konstruktion schwacher Lösungen und ein h-Prinzip, womit man sah, dass die dissipativen Lösungen keine isolierten Beispiele, sondern in gewisser Weise typisch sind.

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