Bei der Zelltransplantation gibt es verschiedene Probleme, die noch gelöst werden müssen. Eines davon ist, daß man wissen muß: welche Zellen nimmt man? Bestimmt nicht Stammzellen, sondern andere Zellen, vielleicht differenzierte Zellen? Und wo muß man sie hintun? Für manche Krankheiten ist das „straight forward“. Zum Beispiel bei Knochenmarks- und Bluterkrankungen – die Zellen „wissen“, wo sie hin müssen – oder Diabetes Typ I. Die Zellen kann man überall hintun, das weiß man aus klinischen Untersuchungen. Sie können Glucose detektieren und Insulin ausschütten. Oder für die Leber: da kann man sie in die portale Vene einsetzen. Möglicherweise auch Parkinson, da glaube ich aber nicht dran, es ist schließlich nur ein Symptom das man bekämpft: die Bewegungseinschränkung. Es sind ja alle Neuronen beeinflusst.
Das ist das eine Problem – wo kann man die Zellen hintun? Da gibt es manche Krankheiten, bei denen es einfach ist und solche, bei denen es das nicht ist, z.B. Muskeldystrophie. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man das mit Zelltransplantation therapieren kann, oder Alzheimer, oder Zystische Fibrose. Das ist zu kompliziert, da kann man keine Zellen verabreichen; da muß man mit Molekülen arbeiten. Aber mit anderen Krankheiten geht es.
Das andere Problem ist, IPS-Zellen zu reifen, funktionellen Zellen zu differenzieren. Z.B. um reife Beta-Zellen herzustellen. Das kann man noch nicht. Sie sind unreif – bisher. Ein anderes Beispiel wäre die Herstellung hämatopoetischer Stammzellen, die transplantierbar sind. Bisher hat es absolut nicht funktioniert. Eine solche Transplantation ließe sich dann nämlich sehr einfach durchführen. Oder nehmen Sie Leberzellen: man kriegt Leberzellen, die nicht reif sind; also genauso wie bei den Endoderm-Zellen, wie Beta-Zellen. Das muß geklärt werden und ich meine, daß das möglich ist. Aber momentan ist es noch eines der wichtigsten Probleme.
Es gibt aber eine Art von Krankheit, für die es schon jetzt sehr vielversprechend aussieht und das sind Retina-Erkrankungen. Retina-Pigmente, RPE, kann man machen aus ES- und IPS-Zellen: die sehen gut aus und haben sehr ähnliche Eigenschaften. In Tierversuchen kann man sie transplantieren und findet einen Effekt – sie können also in der Tat bei degenerativen Erkrankungen der Retina oder bei Retinitis pigmentosa wirken. Das ist ein sehr gutes System, weil es sehr lokalisiert ist, d.h. man weiß, wo man hinmuß und wenn es schief geht, kann man das Transplantat wieder herausholen. Das ist besser als eine systemische Krankheit.
Ich glaube also, daß es da gute Fortschritte und ich halte es für nicht unwahrscheinlich, daß das vielleicht eine der ersten Anwendungen sein wird. Die anderen sind vielleicht ebenso wichtig, aber ich glaube, da sind noch die Barrieren der Differenzierung zu überwinden.
CC: Wie schätzen Sie die Einsatzmöglichkeiten und die Bedeutung von Next Generation Sequencing und Adaptionen wie der Sequenzierung des gesamten Epigenoms für Ihr Feld ein?
RJ: Sequenzieren und der genomische Ansatz sind wahnsinnig wichtig und erzeugen sehr viele Informationen. Ich denke, das nächste dicke Problem ist, das auf Einzelzellen anzuwenden. Es gibt jetzt relativ robuste Einzelzellen, sodaß man deren Expressionsmuster erhalten kann. Das sind ganz neue Erkenntnisse, die dabei herauskommen. Aber für Epigenetik muß man natürlich eher 100.000 Zellen haben, wenn man da nach dem Chromatin schauen will; vielleicht auch 10.000 – aber das wird schon knapp. Ich denke, das müsste man lösen. Wenn man das mit einer Einzelzelle machen könnte, dann würde ich viele Fragen angehen können, die man jetzt noch nicht gut angehen kann.
CC: Das wird ja in Zukunft erwartet für die „third generation sequencing“-Technologien wie „Nano pore sequencing”. (RJ nickt). Das bringt mich zu der Frage, was derzeit die größten technischen Probleme sind, vor denen Sie stehen.
RJ: (überlegt) Es gibt viele Erkenntnisse diesbezüglich, z.B. die Frage, wie Reprogrammieren funktioniert. Darüber kann man ewig sprechen und das war von großem Interesse für uns. Wenn man jetzt aber bei der Anwendung der Technologie bleibt, um eine Krankheit zu verstehen, dann ist das Wichtigste, einen Phänotypen in der Kulturschale zu bekommen, der robust und relevant ist. Das Problem, welches viele Leute nicht beachten, ist, daß zwei IPS-Zellen verschieden sind, auch wenn sie vom gleichen Patienten kommen. Sie haben verschiedenes Potential bezüglich ihrer Differenzierung und der Richtung der Differenzierung. Auch ES-Zellen sind verschieden voneinander; da ist viel Variation drin. Wenn man jetzt eine Krankheit wie Parkinson untersuchen will, und hat eine Parkinson-Zelle, die man differenziert und findet einen Phänotyp, dann ist das die Kontrolle. Dann nimmt man eine IPS-Zelle eines gesunden Patienten. Die hat natürlich einen völlig verschiedenen genetischen Hintergrund und ist anders entstanden. Durch die Variation taucht ein Problem auf, wenn man einen phänotypischen Unterschied findet: ist dieser dann die systemimmanente Variabilität oder ist er krankheitsrelevant? Das wird oft nicht ernst genommen oder nicht bedacht. Viele Leute publizieren das einfach, ich aber glaube, daß man da vorsichtig sein muß: sind die Phänotypen wirklich krankheitsrelevant, weil so viele Unterschiede bestehen? Wir haben vor ein paar Jahren beschlossen, daß wir das nicht so machen wollen. Wir möchten das genetisch definiert machen und haben daraufhin isogene Zellen (Zellen, die von der selben Vorläuferzelle abstammen; Anm. CC) hergestellt, die nur am krankheitsrelevanten Nukleotid eine Mutation tragen.
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