CC: Das wäre auch meine nächste Frage: Sie leben und arbeiten seit 1984 in den USA. Wie empfinden Sie das dortige Wissenschaftsklima und die Berichterstattung über Wissenschaft, auch im Vergleich zur Situation in Deutschland?

RJ: In Deutschland macht man sofort Gesetze, z.B. das Embryonenschutzgesetz. Oder, bekannt von früher: das molekulare Klonieren. Es gibt eine große Kontroverse: darf man Gene „machen“? In Amerika gab es großen Widerstand dagegen, da haben die Wissenschaftler dann eine Konferenz abgehalten und bestimmte Bedingungen vorgeschlagen. Auf diese Weise gab es kein Gesetz, und dann kam molekulare Klonierung. Hier in Deutschland wurde ein Gesetz gemacht und ich glaube, die deutsche Industrie hat darunter jahrzehntelang gelitten. Für die ganze Biotech-Industrie wurde in Amerika alles möglich; in Deutschland war es absurd, was die durchmachen mussten, um ein Gen zu klonieren.

Und jetzt ist es auf dem Forschungsgebiet der Stammzellen genauso. Ich denke, dieses Embryonenschutzgesetz ist Unsinn. Es ist dogmatisch und ideologisch begründet – und durch nichts anderes. Daß man Embryonen schützen muß, ist völlig klar. Ich würde sagen, das Beispiel dafür, wie man es machen muß, haben die Engländer statuiert. So wie die diese Diskussion durchgegangen sind, in den 90er Jahren, und festgelegt haben, unter welchen Bedingungen man mit menschlichen Embryonen experimentieren darf und unter welchen nicht, so daß man nicht auf eine „slippery slope“ gerät und etwa sagt: „In der dritten oder vierten Woche darf man dann nicht mehr“, das wäre eine Slippery Slope. Sie haben unterschieden zwischen vor und nach der Implantation: davor darf man Stammzellen machen, danach nicht. Eine klare Linie, gut begründet und viele Länder haben das nachvollzogen. In Deutschland gibt es diese völlig unsinnige Regelung: wenn man mit Embryonen in der in-vitro-Fertilisation arbeitet, so muß man das noch vor der Kernverschmelzung tun, weil es da noch kein Leben ist – und danach ist es Leben. So etwas Unsinniges!

CC: Während Abtreibung auch nach Wochen noch möglich.

RJ: (schüttelt den Kopf) Das macht alles keinen Sinn! Das hemmt die Forschung erheblich. Und es hat auch Auswirkungen: ich habe viele Deutsche bei mir im Labor, die Studenten waren oder Post-Docs und die wirklich brillant sind. Die haben nicht in Erwägung gezogen, nach Deutschland zurückzugehen.

CC: Zumal sie hier tatsächlich ins Gefängnis kommen können, je nachdem, woran sie gearbeitet haben.

RJ: Es ist völlig unsinnig.

CC: Woran arbeiten Sie derzeit hauptsächlich und welchen Herausforderungen sehen Sie sich jetzt und voraussichtlich in nächster Zeit gegenüber?

RJ: Ich denke, eine wichtige Frage ist zum Beispiel das Thema des Mechanismus, das finde ich schon sehr faszinierend. Ich würde gerne Modelle von komplexen Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer oder Adrenoleukodystrophie bzw. Krankheiten, bei denen Demyelinisierung stattfindet, herstellen und wirklich etwas Neues über sie lernen. Das ist wirklich sehr komplex: kann man bei einer Krankheit mit einer langen Latenzzeit, wie Parkinson, wirklich etwas Sinnvolles in der Gewebekulturschale bekommen? Ich glaube, man kann. Kann man das insbesondere für sporadische Krankheiten bekommen, bei denen ganz viele Gene ein kleines bisschen zur Krankheit beitragen? Das sind wirklich Probleme.

Oder GWAS-Studien, die letztlich deskriptiv sind und auf einen Locus hinweisen, der im Prinzip 5% oder 10% zu einer Krankheit beiträgt. Wenn man von so etwas jetzt IPS-Zellen macht: was heißt das dann eigentlich? Das sind wirklich sehr komplexe Fragen. Kann man da wirklich ein mechanistisches Verständnis bekommen? Ich denke, die IPS-Technologie gibt einem da ein Tool in die Hand.

Aber jetzt kommen die ganzen genetischen Tools. Ich denke, das Wichtigste für mich ist im Moment, daß genetische Manipulation so effizient wie möglich durchgeführt werden können, was die CRISPR-Technologien sofort aufgegriffen haben. Die sind ein Game Changer und aus meiner Sicht genauso wichtig wie die PCR für das Gebiet. Das ist wirklich ein Durchbruch und sie wird die siRNA und die Viren ersetzen; Erstzellen werden obsolet, um Mutationen an Mäusen zu generieren – was wir früher in zwei Jahren gemacht haben, können wir jetzt in drei Wochen erreichen. Ich denke, das hat einen enormen Einfluß.

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Kommentare (13)

  1. #1 Dr. Webbaer
    04/04/2014

    Schönes Interview!, das wichtige Argument mit der Abtreibung kam auch, insgesamt bedenklich die bundesdeutsche rechtliche Lage,
    MFG
    Dr. W

  2. #2 Bloody Mary
    04/04/2014

    Ich habe keine Zeit, das alles zu lesen aber ich finde das sehr effektiv, besonders wenn es gut gemacht ist.

    Ich nehme mir die Zeit, alles von Dir zu lesen und finde das sehr effektiv, besonders, weil es gut gemacht ist.

    Ist das ein spannender, vergnüglicher und vorzüglicher Gesprächspartner gewesen (von dem ich zuvor noch nie gehört hatte, ebenso wenig von der Auszeichnung, die er erhielt). War nicht nur ein ausgesprochenes Lesevergnügen (danke für die Übersetzung ins für Laien verständliche Populärwissenschaftliche), sondern ich weiß jetzt auch viel mehr als zuvor.

  3. #3 Chemiker
    04/04/2014

    RJ: […] Die haben nicht in Erwägung gezogen, nach Deutschland zurückzugehen.

    CC: Zumal sie hier tatsächlich ins Gefängnis kommen können, je nachdem, woran sie gearbeitet haben.

    RJ: Es ist völlig unsinnig.

    Verstehe ich das richtig? Man kann in Deutschland für etwas ins Gefängnis kommen, was man in den USA unter amerikanischem Gesetz legal gemacht hat?

  4. #4 Dr. Webbaer
    04/04/2014

    Verstehe ich das richtig? Man kann in Deutschland für etwas ins Gefängnis kommen, was man in den USA unter amerikanischem Gesetz legal gemacht hat?

    Das geht grundsätzlich [1], es wird dann auf den Pass (!) geschaut, ob jemand die bundesdeutsche Staatsangehörigkeit hat und im Ausland sozusagen nach bundesdeutschem Recht schuldig geworden ist, und bei Rückkehr verhaftet. – Für die Biologen gilt dies hoffentlich (noch) nicht.

    HTH
    Dr. W

    [1] Stichwort: ‘Volksverhetzung’

  5. #5 rolak
    04/04/2014

    Selbstverständlich, Chemiker, falls die Tat auf einen der im StGB schön gelisteten Punkte zutrifft. Allein daß die gesammelten Treffer auf eine Bildschirmseite passen, sollte angesichts der Gesamtmenge Regelungen klar machen, daß es ganz ganz wenige Ausnahmen sind.

    Irgendwas in Richtung Arbeit mit menschlichen embrionalen Stammzellen ist mir auf die Schnelle aber nicht aufgefallen. Bin allerdings auch kein Jurist…

  6. #6 Dr. Webbaer
    04/04/2014

    @ Chemiker, rolak :
    Es geht hier um Rechtsräume (das Fachwort), diese sind im Ausbau begriffen, sind aber noch unzureichend theoretisiert, werden auch schnell sozusagen übergriffig.
    Sie stehen dem Aufklärerischen, das im Sinne der Aufklärung mit Nationalstaaten hantiert, wie bspw. der Liberalismus, direkt entgegen.
    MFG
    Dr. W

  7. #7 Cornelius Courts
    04/04/2014

    @BM: Danke für’s Feedback und das
    “sondern ich weiß jetzt auch viel mehr als zuvor.”
    ging mir nach dem Gespräch auch so 🙂

    @Chemiker: Ich zitiere: “Wer heute als deutscher Forscher mit neuen Stammzell-Linien im Ausland arbeitet, muss mit Gefängnis rechnen.”
    von hier: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/stammzellgesetz-biopolitische-friedensrunde-1434242-p2.html

  8. #8 Chemiker
    05/04/2014

    Ein Zeitungsbericht kann wohl kaum dieselbe Autorität wie der Gesetzes­text haben. Und dort lese ich in § 13

    (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geld­strafe wird bestraft, wer ohne Genehmi­gung nach § 6 Abs. 1
    embryonale Stamm­zellen einführt oder
    embryonale Stamm­zellen, die sich im Inland befinden, verwendet.

    § 2 legt den Gültigkeitsbereich des ganzen Gesetzes eindeutig auf Inland fest.

    Ich glaube einfach, daß die Aussage im Interview eine Fehl­information ist: Was man im Ausland mit Stamm­zellen macht, geht in DE den Staats­anwalt nichts an.

  9. #9 Dr. Webbaer
    05/04/2014

    Offen ist noch die Frage, wer genau bestraft wird, wenn die Einfuhr nach D erfolgt ist. Gab es diesbezüglich schon Urteile?

    MFG
    Dr. W (der den oben verwiesenen FAZ-Artikel als Einschätzung versteht bevor das Gesetz verabschiedet worden ist, d.h. es gab wohl noch Anpassungen nach dem Erscheinen des FAZ-Artikels)

  10. #10 Adent
    05/04/2014

    Schönes interessantes Interview, kleine Anmerkung, es heißt Crispr/Cas nicht Crisper, eigentlich ja sogar CRISPR/Cas9. Eine deutsche Seite dazu wäre klasse.

  11. #11 mackage sale
    https://www.rcmpcc.ca/web/mackage.asp
    28/11/2016

    Interview mit Rudolf Jaenisch (ungekürzte Version) – blooDNAcid
    mackage sale https://www.rcmpcc.ca/web/mackage.asp

  12. #12 mackage sale
    https://www.tekpro.ca/images/mackage.html
    28/11/2016

    Interview mit Rudolf Jaenisch (ungekürzte Version) – blooDNAcid
    mackage sale https://www.tekpro.ca/images/mackage.html

  13. #13 mackage jackets
    https://www.mackageca.com/mackage-men-c-1/
    17/11/2019

    Interview mit Rudolf Jaenisch (ungekürzte Version) – blooDNAcid
    mackage jackets https://www.mackageca.com/mackage-men-c-1/