Ich hingegen würde behaupten, daß eine Idee, ein Konzept, ein Gedanke entweder richtig oder falsch ist. Rassistische Vorstellungen etwa sind nicht nur falsch, sondern geradezu absurd, weil es aus genetischer Sicht beim Homo sapiens keine Rassen, sondern nur unterschiedliches Aussehen oder Äußerlichkeiten gibt, und Äußerlichkeiten irgendeinen “Wert” zuzuschreiben oder daraus Vorurteile abzuleiten, ist offensichtlich aberwitzig. Was aber “kolonialistische” Konzepte/”Artefakte” sein sollen, bleibt im Dunkeln. Sind alle Konzepte aus der Kolonialzeit “kolonialistisch”? Und wer darf das nach welchen Kriterien entscheiden und warum sollten wir den Autoren und anderen postkolonialen Theoretikern in dieser Frage die Deutungshoheit zugestehen? Festzuhalten bleibt jedenfalls, daß Ideen unabhängig von ihren Urhebern zu bewerten sind und auch, daß eine Idee eines Menschen aus der Kolonialzeit, egal ob er den Kolonialismus für gut oder schlecht hielt, nur richtig oder falsch sein kann, d.h. entweder sie funktioniert (z.B. STR-Profiling und Infinitesimalrechnung) oder nicht (z.B. Phrenologie und Homöopathie) und für den forensischen Lehrplan und für die Notwendigkeit, daß Studenten, bestimmte Ideen und Konzepte lernen, um als Forensiker arbeiten zu können, spielt es nicht die geringste Rolle, wer die zu lernende Idee hatte oder welche Vergehen oder welche seiner/ihrer Charakterschwächen eine kleinliche, exzessiv betriebene “Verfehlungs-Archäologie” ans Licht gebracht haben mag.
Bemerkenswert ist hier auch, daß die Autoren ein erhebliches Maß an Heuchelei an den Tag legen, da ihre eigene Ideologie und ein zentraler Gedanke jener Theorie, daß alles und jeder in einem imaginären System von Machtbeziehungen gefangen sei, auf den französischen Philosophen Michel “Macht-Wissen” Foucault zurückgeht, dessen postmodernistische Philosophie gesellschaftliche Machtstrukturen und Etiketten über Individuen und ihre Bemühungen stellt, und schließlich auf Karl Marx, also zwei entschieden weiße, westliche Männer von übler Reputation, von denen letzterer ein Rassist [6] und Antisemit [7,8] war und ersterer “kolonialistisch inspirierten” Kindesmißbrauch begangen hat und damit in die Fußstapfen von André Gide und anderen trat [9]. Beide wurden jedoch von den Befürwortern der Theorie offenbar nie als “dekolonialisierungsbedürftig” eingestuft. An solchen Auslassungen und Doppelstandards wird erkennbar, daß der postmodernistische Aktivismus nicht einfach eine neue moralische Vision entwirft, sondern versucht, dem Westen eine politische Vision aufzuzwingen, in der nur bestimmte Figuren (,die der Westen gefeiert hat, ) zu Fall gebracht werden, während jene Figuren, die den westlichen Kulturtraditionen am kritischsten gegenüberstanden, von derselben Behandlung verschont bleiben.
All das zusammengenommen ist aus meiner Sicht als Hochschullehrer für eine forensische Wissenschaft der Grund, aus dem, wie die Autoren sich anscheinend fragen, “sich die forensische Wissenschaft nicht stärker an Dekolonialisierungsdebatten beteiligt”: Wir haben Wissenschaft statt Ideologien zu lehren und keine Zeit für solchen Unsinn.
“Es ist in der Regel zwecklos, Menschen, die in ihrer Unwissenheit das Gefühl moralischer Überlegenheit genießen, Fakten und Analysen zu vermitteln.”
– Thomas Sowell
Disclaimer: Es sollte (kann aber heutzutage wohl nicht) selbstverständlich sein, daß nichts von dem, was ich geschrieben habe, in Frage stellt, daß Rassismus und Überbleibsel des Kolonialismus oder besser kolonialistische Attitüden immer noch existieren, immer noch als ein Problem angesehen und mit geeigneten Maßnahmen, wo immer möglich, angeprangert, bekämpft oder neutralisiert werden sollten. Es gibt jedoch keinerlei Belege dafür, daß ein zynischer Postmodernismus, kritische XYZ-Theorien, der Krieg gegen “den Westen” und die Ideen der Aufklärung oder irgendetwas in dieser Art in dieser Hinsicht hilfreich sind, während es im Gegenteil zahlreiche Belege dafür gibt, daß sie schädliche Auswirkungen haben.
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* idea laundering: Ideen (von denen einige sogar einen wahren Kern haben können) als Wissen ausgeben, als ob diese Begriffe Tatsachen über die Welt und die soziale Wirklichkeit beschreiben würden, mit dem Ziel, sie zu kanonisieren. Idea laundering beginnt oft damit, daß ein aktivistischer Wissenschaftler Gleichgesinnte um sich schart, die dann eine akademische Zeitschrift gründen, in deren Mittelpunkt diese Idee steht. Andere Wissenschaftler veröffentlichen in dieser oder einer ähnlichen Zeitschrift und zitieren sich dann gegenseitig in einer Art Echokammer. Eine Idee wie “whiteness” geht dann auf der einen Seite hinein und kommt auf der anderen Seite als “Wissen” heraus. Aktivisten können dann auf eine Reihe “wissenschaftlicher” Artikel in ideologisch homogenen begutachteten Zeitschriften verweisen, um zu rechtfertigen, daß sie dieses “Wissen” an Studenten weitergeben, damit diese die so ‘gewaschenen’ Ideen dann ihrerseits weiter verbreiten.
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