Zwei italienische Wirtschaftswissenschaftler wollen ein Verfahren entwickelt haben, mit dem man Korruption im Fußball nachweisen aufdecken kann.

In der DDR war in den 80er Jahren ein Mathe-Lehrbuch im Gebrauch (ich glaube für die 4. Klasse), in dem es einen Abschnitt über Vergleiche gab. Dort fanden sich dann Sachaufgaben wie: “Andreas ist 3 cm größer als Torsten, Dirk ist 1 cm größer als Torsten. Wer ist größer, Andreas oder Dirk?” Eine der Aufgaben, an die ich mich noch erinnern kann, war über Fußballergebnisse: “Der BFC gewann gegen Erfurt 3:0, Jena gewann gegen Erfurt 1:0. Wer gewann das Spiel BFC gegen Jena?” Ich habe nie herausgefunden, ob die Aufgabe ernstgemeint oder eine Fangfrage war. (Eigentlich waren Scherzfragen in Lehrbüchern damals nicht üblich.)

Auf Spiegel Online findet sich heute eine Meldung, die es vor 8 Monaten auch schon mal in die Berliner Zeitung geschafft hatte, darüber, daß die Wirtschaftswissenschaftler Tito Boeri und Battista Severgnini ein “hochkomplexes ökonometrisches Modell” entwickelt haben, mit dem sie Schiedsrichter-Manipulationen im Fußball nachweisen aufdecken können.

Aus dem BZ-Artikel: Aus diesem Datenwust errechnen die Ökonomen den wahrscheinlichen Ausgang eines Spiels. Und sie untersuchen, ob das tatsächliche Ergebnis mit dem Spielverlauf übereinstimmt. Gibt es Abweichungen, lässt sich berechnen, wie wahrscheinlich es ist, dass Schiedsrichter und Spieler betrogen haben. Dabei werden auch die Erkenntnisse von bereits aufgeklärten Manipulationen einbezogen: Frühe Tore von unterlegenen Mannschaften, viele Strafstöße oder lange Siegesserien sind besonders verdächtig.

Die Arbeit ist in einem italienisch-sprachigen Konferenzband veröffentlicht, online findet man nur eine einzeilige Zusammenfassung: “Calciopoli anno zero
(I tre ingredienti di Calciopoli; Oltre Calciopoli)

Da die Arbeit nicht verfügbar ist, kann ich natürlich nur an Hand der Pressemeldungen urteilen. Und da fällt mir eigentlich nicht ein, was man dazu noch sagen soll. Wenn ein Spiel anders ausgeht als von der Wahrscheinlichkeitsrechnung erwartet, beweist dies eine Manipulation durch den Schiedsrichter?? Man würde dies für einen Aprilscherz halten, aber Spiegel Online schreibt völlig ernsthaft: “Ihnen wurde die komplette Liste mit allen 78 Erstliga-Spielen zugespielt, die von der italienischen Polizei für manipuliert gehalten werden. Dabei zeigte sich, dass ihr Modell treffende Aussagen gemacht hatte. So deckt sich die errechnete Kurve, zu welchem Zeitpunkt der Saison am häufigsten manipuliert wird, mit der wirklichen Verteilung. (“zugespielt” ist eine lustige Formulierung, die Liste findet sich sogar im Netz.)

Und weiter: “Wir gehen davon aus, dass wir damit weitere Spiele entdecken werden, die manipuliert waren.” So werden sie am Mittwoch dieser Woche bei einer internationalen Fachkonferenz von Wirtschaftswissenschaftlern in Mailand ein Papier vorstellen, in dem sie zwei Spiele benennen. “Wir hatten noch eine deutlich umfangreichere Liste, wollen in unseren Angaben aber konservativ bleiben”, sagt Severgnini. Die rechnerische Überprüfung der letzten Jahre weist zwei Partien von Juventus Turin in der Saison 2003/04 als manipuliert aus: ein 1:0 gegen Perugia und einen 2:0-Sieg bei Modena. Vom Erfolg in Modena findet man noch heute ein Video auf YouTube, wo der Schiedsrichter in einer Fülle von strittigen Situationen für die Gäste aus Turin entscheidet. (Quizfrage: Haben die Autoren das YouTube-Video vor oder nach ihrer “Entdeckung” gesehen?)

Ich hoffe mal, daß ich hier jetzt nicht auf einen Aprilscherz hereingefallen bin. Falls das alles ernstgemeint ist, würde ich den Autoren diesen Artikel empfehlen. Und mich fragen, ob andere “wissenschaftliche Aussagen” in den Gesellschafts-, Wirtschafts- oder Religionswissenschaften auf ähnlich gesicherten Modellen beruhen.

Kommentare (8)

  1. #1 Fischer
    26. August 2008

    *Wenn ein Spiel anders ausgeht als von der Wahrscheinlichkeitsrechnung erwartet, beweist dies eine Manipulation durch den Schiedsrichter??*

    Das steht im Artikel der Berliner Zeitung anders – und wahrscheinlich richtiger:
    *Die Methode der Italiener kann lediglich Auffälligkeiten aufdecken. Sie funktioniert ähnlich wie die Kontrolle bei den Wettbüros.*

    Das wiederum erscheint mir plausibel: Eine mathematische Methode zur Erkennung von Mustern, die man von früheren Manipulationsfällen kennt. So etwas hat natürlich null Beweiskraft und kann höchstens zusammen mit anderen Verdachtsmomenten als Ausgangspunkt einer näheren Überprüfung dienen. Hilfreich könnte sowas schon sein.

  2. #2 Thilo Kuessner
    26. August 2008

    Du hast Recht, in den Pressemeldungen ist tatsächlich nicht von ‘nachweisen’, sondern von ‘aufdecken’ bzw. ‘aufspüren’ die Rede. Ich hab die Formulierung im Beitrag entsprechend korrigiert.
    Befremdlich fand ich vor allem, daß eben auch 2 konkrete Fälle von ‘manipulierten Spielen’ genannt wurden. Unabhängig davon, ob die Schiedsrichter-Leistungen bei diesen Spielen wirklich umstritten waren, finde ich das sehr fragwürdig, denn es erweckt ja in der Öffentlickeit schon den Eindruck einer ‘wissenschaftlich bewiesenen’ Manipulation. Hier wird also eine Wahrscheinlichkeitsrechnung zur Basis von konkreten Anschuldigungen gegen einzelne Schiedsrichter gemacht.

  3. #3 Fischer
    26. August 2008

    Eben. Vor allem erweckt es den Eindruck, als könne man auf diesem Wege überhaupt Manipulationen “erkennen”. Kann man ja eben nicht, das geht nur über die Ermittlung von konkreten Beweisen. Das hätte der Spiegel ruhig auch mal schreiben können…

  4. #4 Monika Armand
    31. August 2008

    Ob nun “nachweisen” oder “aufdecken”….was “übrig” bleibt, ist tatsächlich das Problem, dass man glaubt, man könne fast alles mit statistischen Methoden lösen, nur das hier die Sache wohl teilweise auf die Spitze getrieben wird, so dass der “Denkfehler” dabei wenigstens obsolet wird.

    Gerade wenn es etliche Variationsmöglichkeiten, Ausreißer, Ausnahmen etc. gibt, führen statistische Methoden in ihren Konsequenzen oft zu “falschen” und “schrägen” Entscheidungen. In vielen politischen Bereichen ist es derzeit “modern” mit solchen Methoden Entscheidungen zu steuern, zum Nachteil der Steuerzahler und zum Nachteil einzelner betroffener Bevölkerungsgruppen…..

  5. #5 Thilo
    31. August 2008

    Sie meinen vermutlich “evident”, “obsolet” ist was anderes 🙂
    Im Ernst: daß man mit Statistik durchaus Aussagen zwar nicht über den Einzelnen, aber über große Gesamtheiten, machen kann, wollte ich gar nicht bestreiten. Lars Fischer und Marc Scheloske haben ja z.B. statistische Artikel über Weltrekord-Entwicklungen (mit Blick auf Doping-Wahrscheinlichkeit) geschrieben.
    Ich hätte es auch in Ordnung gefunden, wenn die beiden Ökonomen geschrieben hätten, daß die Häufung an Auffälligkeiten ein Indiz für Schiedsrichterbeeinflussungen im italienischen Fußball ist. (Wobei das natürlich keine Neuigkeit gewesen wäre. Daß Italien da ein Problem hat, weiß sowieso jeder.)
    Aber man kann eben mit Statistik keine Aussagen über Einzelfälle machen. (In Deutschland gab es ja vor ein paar Jahren den Fall Jürgen Jansen, wo man einige Auffälligkeiten beobachtet haben wollte. Der stellte sich dann als unschuldig heraus, hat aber nie wieder ein Spiel gepfiffen.)

    Bei den Steuern ist es natürlich so, daß zuviele gutgemeinte Einzelfallregelungen am Ende vor allem denjenigen nutzen, die sich einen guten Steuerberater leisten können. Aber das ist eine politische Frage, keine statistische…

  6. #6 Monika Armand
    31. August 2008

    Ja, natürlich, das ist in diesem Zusammenhang absoluter Mist, denn es soll heißen “sichtbar” wird….- wäre nett, wenn Du das Wort im Kommentar austauschen könntest, denn sonst gibt dieser Satz überhaupt keinen Sinn……so ist es wenn man in seinem Kommentar Änderungen macht und dann nicht mehr das Ganze genau durchliest ;-)) sorry..(Vielleicht löscht Du danach diesen ersten Teil des Kommentars…damit wir die Leser nicht mit unnötigem Text belasten ;-))

    “Aber man kann eben mit Statistik keine Aussagen über Einzelfälle machen.”
    Hmm…genau das meine ich und da liegt der Hase auch begraben. Wenn ich hier z.B. das Gesundheitswesen anschaue (G-BA trickst bei Festbeträgen für patentgeschützte Arzneimittel), dann wird davon ausgegangen, dass Medikamente bei jedem Betroffenen genau gleiche Auswirkungen hätten (= statistische Grundlage). Dem Gesundheitswesen entstehen durch diese Fehlannahme Folgekosten in Form von unnötigen Behandlungskosten wg. allergischen Reaktionen und spezifischen Medikamentenunverträglichkeiten. Bei vielen Krankheiten ist in Facharztkreisen bekannt, dass Patienten “individuell” auf eine passende Medikation eingestellt werden müssen. Die Festbetragsverordnung – auf statistischer Grundlage erstellt – wird dem nicht gerecht. Die entstehenden Kosten, welche oft in keinem Verhältnis zu den eingesparten Arzneimittelkosten stehen, trägt letztendlich jeder Beitragszahler in Form von höheren Krankenkassenbeiträgen.

    In anderen Bereichen, werden Mehrkosten auf den Steuerzahler umgelegt (das hatte ich mit meiner Anmerkung gemeint….)

  7. #7 Thilo
    31. August 2008

    So hatte ich den Kommentar auch verstanden. Ändern kann ich die Kommentare leider nicht, nicht mal meine eigenen.

  8. #8 Monika Armand
    1. September 2008

    Mein “Findling” dazu aus dem heutigen ZDF-Magazin um 15 Uhr – Quelle dazu:
    Der Bundesliga droht ein neuer Wettskandal
    Zitat:
    ……Das behauptet der für seine investigative Arbeit mehrfach ausgezeichnete kanadische Journalist Declan Hill in einem Interview mit dem Hamburger Nachrichtenmagazin.
    Hill ist für sein Buch “Sichere Siege” drei Jahre lang den weltweiten Verbindungen der Wettmafia nachgegangen. Seinen Recherchen zufolge soll der frühere ghanaische Nationaltorwart Abukari Damba der Verbindungsmann zwischen einem Wettpaten aus Bangkok und Spielern der ghanaischen Mannschaft gewesen sein, die das Spiel in Dortmund 0:3 verloren. Hill sagt über seine Nachforschungen in dem kriminellen Milieu: “Ich weiß, dass ich mit dem Feuer spiele.”