Homotopiegruppen und die Pontrjagin-Thom-Konstruktion.

Vor 2 Wochen ging es darum, daß Homotopieklassen von Abbildungen f:S2–>S2 durch eine ganze Zahl, den Abbildungsgrad deg(f) bestimmt sind, daß also π2S2=Z ist.
Letzte Woche hatten wir gesagt, daß man die höheren Homotopiegruppen πmS2 mittels gerahmter Kobordismengruppen beschreiben kann – das ist die Pontrjagin-Thom-Konstruktion, die wir jetzt im Detail beschreiben wollen.

Pontrjagin-Thom-Theorem

Das Pontrjagin-Thom-Theorem (das in dieser Form, für Kobordismen gerahmter Untermannigfaltigkeiten einer gegebenen Mannigfaltigkeit, eigentlich auf Pontrjagin zürückgeht, von Thom stammt die Version für Mannigfaltigkeiten) besagt, daß πmSn dasselbe ist wie die Kobordismengruppe gerahmter Untermannigfaltigkeiten der Sm, oder allgemeiner daß die Kobordismengruppe gerahmter Untermannigfaltigkeiten einer Mannigfaltigkeit M dasselbe ist wie die Homotopieklassen [M,Sn].

(Insbesondere ist πmSn=0 falls m kleiner als n ist. Das folgt aber auch schon einfach daraus, daß jede stetige Abbildung homotop zu einer differenzierbaren ist, vgl. TvF 188, und eine differenzierbare Abbildung einer nieder- in eine höher-dimensionale Mannigfaltigkeit wegen Sard’s Lemma nicht surjektiv sein kann, also mindestens einen Punkt * nicht im Bild hat – und für Sn-{*} gibt es eine offensichtliche Retraktion auf einen Punkt, weshalb jede Abbildung mit Bild in Sn-{*} homotop zur konstanten Abbildung ist.)

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π1S2=0, TvF 30

Wie funktioniert die Pontrjagin-Thom-Konstruktion, also wie werden Homotopieklassen von Abbildungen (Elementen von πmSn) Kobordismusklassen zugeordnet (und warum ist diese Zuordnung eine 1:1-Entsprechung)?

Erinnerung (letzte Woche): gerahmte (k-dimensionale) Untermannigfaltigkeiten einer (m-dimensionalen) Mannigfaltigkeit waren Untermannigfaltigkeiten mit m-k punktweise linear unabhängigen Vektorfeldern orthogonal zur Untermannigfaltigkeit. Zwei gerahmte Untermannigfaltigkeiten von M heißen gerahmt kobordant, wenn es eine gerahmte Untermannigfaltigkeit von Mx[0,1] gibt, deren Schnitt mit Mx{0} bzw. Mx{1} aus den beiden Untermannigfaltigkeiten von M besteht.

Kobordismus von Untermannigfaltigkeiten

Insbesondere für einen Punkt y in Sn kann man als Rahmung irgendeine Basis der Tangentialebene TySn nehmen.

Sei f:Sm–>Sn eine differenzierbare Abbildung. Sei y ein regulärer Wert von f in Sn. Dann ist das Urbild f-1(y) eine Untermannigfaltigkeit von Sm. (Das folgt im wesentlichen aus dem Implicit Function Theorem.)
Der Punkt y in Sn hat die eben beschriebene offensichtliche Rahmung und diese kann man mit dem Differential Df zurückziehen und bekommt eine Rahmung der Untermannigfaltigkeit f-1(y).
Das Bild (Quelle) zeigt die zu der durch f(x,y)=x2+y2 gegebenen Abbildung f:R2–>R1 gehörende Rahmung von S1=f-1(1).

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Wenn zwei Abbildungen f,g homotop sind, dann kann man dieselbe Konstruktion auf die Homotopie H:Smx[0,1]–>Sn anwenden (d.h. das Urbild H-1(y) eines regulären Werts y betrachten) und bekommt eine gerahmte Untermannigfaltigkeit H-1(y) von Smx[0,1], deren Rand gerade aus den gerahmten Untermannigfaltigkeit f-1(y) und g-1(y) besteht.

Homotope Abbildungen entsprechen also kobordanten gerahmten Untermannigfaltigkeiten. (Mit einem ähnlichen Argument bekommt man die Unabhängigkeit der Kobordismusklasse vom regulären Wert y: wenn z ein anderer regulärer Wert ist, dann betrachtet man die Drehung der Sn, welche y in z abbildet. Die Drehung ist homotop zur Identität und die Homotpie liefert wieder eine gerahmte Untermannigfaltigkeit in Smx[0,1], deren Ränder f-1(y) und f-1(z) sind.)

Man hat also eine wohldefinierte Abbildung, die einer Homotopieklasse von Abbildungen eine Kobordismusklasse gerahmter Untermannigfaltigkeiten zuordnet.
Warum ist diese Abbildung eine Bijektion?

Zur Surjektivität muß man zeigen, daß es zu jeder gerahmten Untermannigfaltigkeit K von Sm eine Abbildung f:Sm–>Sn mit f-1(y)=K gibt, so daß die gegebene Rahmung von K durch Df auf die offensichtliche Rahmung von y abgebildet wird (insbes. daß die linear unabhängigen Vektorfelder der Rahmung nach Anwendung von Df wieder linear unabhängig sind). Eine solche Abbildung f kann man aber leicht konstruieren:
– die Rahmung liefert eine Trivialisierung einer Umgebung von K, d.h. K hat eine Umgebung U mit U=KxRn
– Sn läßt sich mittels stereographischer Projektion zerlegen als Sn=Rn ∪ {*}, wobei man o.B.d.A. annehmen kann, daß y dem Nullpunkt entspricht. (* ist der “Punkt im Unendlichen”)
f definiert man wie folgt:
. auf U=KxRn ist f die Projektion auf Rn,
. Sm-U wird durch f konstant auf den Punkt * abgebildet.
Weil y dem Nullpunkt entspricht, ist f-1(y)=Kx{0}=K und natürlich wird die Rahmung durch Df auf die offensichtliche Rahmung des Nullpunkts in Rn abgebildet.

Zur Injektivität muß man zeigen, daß es zu jedem gerahmten Kobordismus zwischen Urbildern f-1(y) und g-1(y) eine Homotopie zwischen f und g gibt.
Mit derselbe Konstruktion wie eben kann man den gerahmten Kobordismus aber als Urbild einer Abbildung Smx[0,1]–>Sn realisieren und diese Abbildung ist eine Homotopie zwischen zwei Abbildungen, die jedenfalls auf dem Urbild von y mit f und g übereinstimmen und die man dann (mit Hilfe der Homotopie Sn-{y} ~ *) zu f bzw. g homotopen kann.

(Mehr Details zum Beweis findet man in Kapitel 7 von Milnors “Topology from the differentiable viewpoint”.)

Als einfachsten Spezialfall bekommt man π2S2=Z, womit man zum Beispiel den Fundamentalsatz der Algebra beweisen kann, dazu nächste Woche.


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