Das Möbiusband aus dem Silvesterartikel ist nicht nur eine Kuriosität, sondern in der Algebraischen Topologie der elementarste Baustein bei der Definition “charakteristischer Klassen”, der sogenannten Stiefel-Whitney-Klassen, die einerseits bei der (Nicht)immersierbarkeit von Mannigfaltigkeiten in den euklidischen Raum (dem Thema der letzten Wochen) eine wichtige Rolle spielen, und mit denen man andererseits entscheiden kann, wann eine Mannigfaltigkeit eine Orientierung oder eine Spin-Struktur besitzt.
Orientierbarkeit
Die Orientierbarkeit von Flächen hatten wir natürlich in TvF 11 schon einmal diskutiert: Orientierbarkeit hieß, dass man links und rechts unterscheiden kann.
Auf dem Möbiusband konnte man das nicht: wenn die Ameise einmal herumläuft, ist die linke Seite zur rechten geworden.
Vektorräume
Um dies präziser zu fassen, schauen wir uns zunächst den Vektorraum R2 an. Auf diesem hat man 2 Äquivalenzklassen von Basen: einerseits diejenigen Basen, welche sich durch eine Basiswechsel-Matrix mit det(B)>0 in die Basis (e1,e2) überführen lassen, und andererseits diejenigen Basen, diee sich durch eine Basiswechsel-Matrix mit det(B)>0 in die Basis (e2,e1) überführen lassen. Wir nennen erstere Basen positiv und letztere negativ. (Das ist natürlich reine Willkür.)
Anders gesagt: auf der Menge der Basen definieren wir eine Äquivalenzrelation; zwei Basen sollen äquivalent sein, wenn der Basiswechsel positive Determinante hat. Dann gibt es zwei Äquivalenzklassen, die wir willkürlich mit positiv und negativ bezeichnet haben.
Vektorbündel
Um Orientierbarkeit von Flächen zu definieren, betrachten wir das Tangentialbündel der Fläche als eine Ansammlung von Vektorräumen, ein sogenanntes Vektorbündel.
Auf jedem Vektorraum gibt es 2 Orientierungen. Eine Orientierung der Fläche F ist nun (per Definition) eine Orientierung der Tangentialebenen TxF, die “stetig vom Basispunkt x abhängt”. (Letzteres soll heißen: zu jedem Punkt x gibt es eine Umgebung U und eine Trivialisierung TF|U=UxR2, bei der für alle y in U eine positive Basis von TyF einer positiven Basis von R2 entspricht.)
Geschlossene Wege
Auf dem Möbiusband gibt es eine solche Orientierung nicht: wenn wir auf dem mittleren Kreis einmal um das Möbiusband herumgehen, und entlang des Weges mittels lokaler Trivialisierungen positive Basen wählen, bekommt man nach einmaligem Durchlaufen des Kreises die ursprünglich negative Basis.
Orientierbarkeit <==> w1=0
Das Beispiel des Möbiusbandes motiviert die Definition einer die “Nichtorientierbarkeit” messenden Invariante w1 wie folgt: wenn γ ein geschlossener Weg in unserer Fläche F ist und man nach einmaligem Durchlaufen des Weges γ die Orientierung ändert (also die ursprünglich positive Basis zur negativen wird), dann definieren wir w1(γ)=1, andernfalls definieren wir w1(γ)=0.
Formal ist das ein Homomorphismus von π1F nach Z/2Z, also ein Element in der 1.Kohomologie H1(F;Z/2Z). Die Kohomologieklasse w1 heißt 1-te Stiefel-Whitney-Klasse des Tangentialbündels von F. (Die Definition, die wir eben gegeben haben, ist eine ad-hoc-Definition. Es gibt auch allgemeinere und systematischere Definitionen von Stiefel-Whitney-Klassen wn in Hn(F;Z/2Z), dazu in den nächsten Wochen.)
Offensichtlich ist eine Richtung der Äquivalenz “Orientierbarkeit <==> w1=0″: wenn die Fläche F orientierbar ist, dann ist sie natürlich insbesondere entlang jedes geschlossenen Weges orientierbar, also ist w1(γ)=0 für jeden geschlossenen Weg γ
Zur anderen Richtung: sei V(F) die Stiefel-Mannigfaltigkeit (TvF 248) von F, also die Menge der (orthonormalen) Basen der Tangentialebenen. Die Basiswechsel definieren eine Wirkung von GL(2,R) auf V(F). Zwei Basen sind genau dann äquivalent, wenn der Basiswechsel in GL+(2,R) liegt, d.h. in der Gruppe der Matrizen mit positiver Determinante. Weil es in jedem Vektorraum 2 Äquivalenklassen von Basen gibt, ist E:=V(F)/GL+(2,R) eine 2-fache überlagerung von F, p:E–>F.
Eine Orientierung, d.h. eine Festlegung einer Äquivalenzklasse als “positiv”, ist ein Schnitt
s:F–>E mit ps=id.
Aus w1(γ)=0 folgt jedenfalls, dass es einen Schnitt über γ gibt. Insbesondere ist [γ] dann im Bild von p*:π1E–>π1F, denn die Hochhebung mittels des Schnittes ist ja wieder ein geschlossener Weg β, dessen Bild unter p* eben γ ist. (Bei w1(γ)=1 wäre β kein geschlossener Weg, weil seine Endpunkte entgegengesetzt orientierten Basen entsprächen.) Aus w1=0 folgt also Surjektivität von p*.
Überlagerungen p:E–>F werden klassifiziert durch die Bilder im(p*:π1E–>π1F) der Fundamentalgruppe. Insbesondere folgt aus Surjektivität von p*, dass die Überlagerung trivial ist, womit es insbesondere einen Schnitt s:F–>E mit ps=id gibt, also eine Orientierung.
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