“Wir müssen Ordnung halten” deklamiert Alexander von Humboldt in “Die Vermessung der Welt” (dank iTunes seit 2 Wochen auch in Korea, sogar auf Deutsch), gegenüber seinem französischen Mitreisenden nach dem Genuß von verdächtigem Affenfleisch. Wenn er es zu Gauß gesagt hätte, hätte der ihn sicher schon darauf hingewiesen, daß es in komplexen Ebenen und selbst in deren Einheitskreisen keine Ordnung geben kann.
Auf Kreisen hat man zwar keine sinnvolle Anordnung, auch keine partielle, aber eine zirkuläre (zyklische) Anordnung. Solche (topologisch sinnvollen) Anordnungen sind eine Besonderheit 1-dimensionaler Objekte, es würde nicht wirklich Sinn machen, auf einer Fläche eine Anordnung definieren zu wollen.
Bemerkenswerterweise kann man diese zirkuläre Anordnung auf dem Kreis benutzen, um noch eine weitere und einfachere Berechnungsmöglichkeit für die Euler-Klasse von Kreisbündeln zu geben, zumindest im Fall flacher Bündel.
Flache Bündel sind solche, bei denen die Krümmung 0 ist. Was die Krümmung (im Fall eines Kreisbündels) anschaulich bedeutet, hatten wir in TvF 262 beschrieben: das Integral der Krümmung über eine Kreisscheibe ist die Holonomie der Randkurve:
.
Bei einem flachen Bündel ist also die Holonomie entlang einer Kurve trivial, falls die Kurve Rand einer Kreisscheibe ist. Daraus folgt: homotope Kurven haben dieselbe Holonomie. Die Holonomie ist dann also eine wohldefinierte Abbildung . Man kann daraus folgern, dass die Kartenübergänge lokal konstant sind, als Strukturgruppe des Bündels kann man also statt der Lie-Gruppe SO(2) auch (dieselbe Gruppe) SO(2) mit der diskreten Topologie nehmen.
In TvF 263 hatten wir die Euler-Klasse als eine Kohomologieklasse in der Kohomologie der Graßmann-Mannigfaltigkeit definiert. Die Euler-Klasse eines Bündels
bekam man dann als
für die klassifizierende Abbildung
des Bündels.
Die Graßmann-Mannigfaltigkeit ist der klassifizierende Raum für SO(2)-Bündel (mit der naheliegenden Lie-Gruppen-Struktur auf der Kreisgruppe SO(2)). Aber man kann SO(2) natürlich auch als diskrete Gruppe (also als 0-dimensionale Lie-Gruppe) auffassen und sich dann den klassifierenden Raum für Bündel mit dieser Strukturgruppe ansehen. (Zwecks Unterscheidbarkeit der Notation bezeichnet man SO(2) mit der diskreten Topologie als SO(2)δ und den klassifizierenden Raum entsprechend als BSO(2)δ.) Dieser Raum klassifiziert also flache Kreisbündel. Weil jedes flache Bündel ein Bündel ist, hat man natürlich eine klassifizierende Abbildung und man kann sich dann die zurückgezogene Euler-Klasse in
anschauen. (Andere charakteristische Klassen wie Chern-Klassen oder Pontrjagin-Klassen sind für flache Bündel immer trivial. Bei der Euler-Klasse ist das nicht der Fall.)
Für eine Gruppe G ist gerade die Gruppenkohomologie, wie wir sie in TvF 197 beschrieben hatten. (Dort ging es eigentlich um Gruppenhomologie, Kohomologie ist natürlich wieder entsprechend durch den dualen Kettenkomplex definiert.) Explizit beschreibt man Koketten als Abbildungen auf den Tupeln von Gruppenelementen. (Wenn man will, kann man
als simpliziale Menge dieser Tupel von Gruppenelementen konstruieren.) Die Euler-Klasse
sollte also durch eine Abbildung gegeben sein, die jedem Tripel von Drehmatrizen eine Zahl zuordnet.
Eine solche Abbildung wurde 1989 von Jekel in der Arbeit “A simplicial formula and bound for the Euler class” angegeben und sie ist für SO(2)-Bündel (Jekel betrachtete in seiner Arbeit noch allgemeiner den Fall von Homöo(S1)-Bündeln) wirklich verblüffend einfach:
SO(2) läßt sich ja mit dem Kreis identifizieren und die Abbildung bildet dann ein Tripel (A,B,C)
– auf 1/2 ab, falls die drei Punkte A,B,C auf dem Kreis im Uhrzeigersinn angeordnet sind
– auf -1/2 ab, falls drei Punkte entgegen dem Uhrzeigersinn angeordnet sind
– auf 0 ab, falls mindestens zwei der drei Punkte A,B,C übereinstimmen.
(Bei der Identifizierung wird die Drehmatrix g natürlich mit dem Kreispunkt g(1) identifiziert.)
Im linken Bild sind 1,g(1),h(1) im Uhrzeigersinn angeordnet, weshalb (Id,g,h) auf 1/2 abgebildet wird, im rechten Bild sind 1,g(1),h(1) entgegen dem Uhrzeigersinn angeordnet, weshalb (Id,g,h) dann auf -1/2 abgebildet würde.
Die so definierte Abbildung ist ein Kozykel und sie repräsentiert die Euler-Klasse von Kreisbündeln .
Was kann mit dieser einfachen Formel machen? Hauptsächlich hat sie Anwendungen in Zusammenhang mit einem anderen Thema, nämlich Gruppenwirkungen auf dem Kreis. Aber man bekommt auch unmittelbar eine Abschätzung für die Euler-Klasse flacher Bündel: diese muß auf jedem Simplex betragsmäßig kleiner als 1/2 sein, woraus man leicht herleiten kann, dass die Euler-Klasse eines flachen Bündels über einer Fläche vom Geschlecht g höchstens g-1 sein kann. Das ist die Milnor-Wood-Ungleichung, über deren ursprünglichen Beweis wir in Teil 265 geschrieben hatten.
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