Die Notices of the AMS hatten dazu im Oktober 2017 einen Artikel “Gerrymandering, sandwiches and topology” von Pablo Soberón.

Mathematischer Hintergrund ist die (im Englischen als Pancake Theorem bezeichnete) 2-dimensionale Version des 1938 von Stefan Banach bewiesenen Ham-Sandwich-Theorems: wie kann man mit einem Schnitt ein Schinkenbrot so zerschneiden, dass Brot und Schinken jeweils in gleiche Teile zerlegt werden?

Mathematisch: kann man zwei Teilmengen (endlichen Flächeninhalts) in der Ebene durch eine Gerade so zerschneiden, dass beide Mengen in Teile gleichen Flächeninhalts zerlegt werden? (Beim Gerrymandering geht es eigentlich um Anzahlen von Punkten in diskreten Mengen, doch kann man diese als Flächeninhalte in der Ebene interpretieren, etwa indem man um jeden Punkt einen kleinen Kreis legt.)

Eine so gleichmäßige Zerlegung der beiden Mengen ist notabene keine besonders gerechte Aufteilung der Wahlkreise. Ganz im Gegenteil wird die Partei mit 51 Prozent der Wähler jetzt beide Wahlkreise gewinnen statt nur einem – klassisches Gerrymandering.

Der Beweis dieses Satzes ist ein besonders schönes Beispiel für eine topologische, Stetigkeit verwendende Argumentation.

Beweis des “Pancake Theorem”:

Zunächst bemerken wir, dass es zu jeder Richtung eine senkrecht auf dieser Richtung stehende Gerade gibt, die die erste Menge genau halbiert, wenn auch nicht unbedingt die zweite. Man starte einfach mit einer senkrechten Gerade und verschiebe sie solange bis die erste Menge genau halbiert wird. Die zweite Menge wird von dieser Geraden im Allgemeinen nicht halbiert, sondern in Teile mit Flächeninhalt A und B zerlegt.

‘Richtungen’ entsprechen Punkten auf dem Einheitskreis S^1. Wir können also eine Funktion f\colon S^1\to{\bf R} definieren, die jeder Richtung nach obiger Konstruktion die Differenz A-B aus den Flächeninhalten der Zerlegung der zweiten Menge zuordnet.

Wenn wir x\in S^1 auf dem Kreis laufen lassen, ändert sich f stetig mit x, und wenn wir in -x ankommen, dann ist f(-x)=B-A=-f(x). Damit haben f(x) und f(-x) entgegengesetztes Vorzeichen und nach dem Zwischenwertsatz muss es einen Wert von x mit f(x)=0 geben. (In höheren Dimensionen hat man keinen Zwischenwertsatz, kann den Beweis aber mit dem Satz von Borsuk-Ulam führen.) Für diesen zerlegt die im ersten Schritt konstruierte Gerade also auch die zweite Menge in zwei gleiche Teile.

Mit diesem Verfahren zerlegt man also das Land in zwei Wahlkreise, die beide von derselben Partei gewonnen werden. Diese beiden Wahlkreise zerlegt man wieder auf dieselbe Weise und bekommt dann vier, im nächsten Schritt acht, usw., Wahlkreise, die alle von derselben Partei gewonnen werden und die alle gleich groß sind.

Etwas schwieriger ist es für Zahlen, die keine Zweierpotenzen sind, eine Aufteilung in diese Anzahl von Wahlkreisen zu finden, die alle gleich groß sind und wo beide Parteien jeweils dieselben Prozentzahlen erreichen. Dieses Problem wurde in einer Arbeit von S. Bespamyatnikh, D. Kirkpatrick und J. Snoeyink (Discr. Comput. Geom. 24, 605-622) gelöst.

Kompaktheitsmaße

Obwohl der Supreme Court schon 1986 die Praxis des “gerrymandering” als nicht verfassungsgemäß verurteilte, hat er sich bisher stets geweigert, konkrete Zuschnitte zu verhindern. 2004 entschied der Supreme Court unter Richter Scalia sogar, dass solche Klagen nicht justiziabel seien, weil es keinen handhabbaren Standard gäbe um das „gerrymandering“ von Wahlkreisen festzustellen. Das Gericht schloß aber nicht aus, dass es solche Standards in Zukunft geben könne, mit denen sich also messen ließe, ob ein Wahlkreis unnatürliche Grenzen hat.

Experten sprechen hier von Kompaktheitsmaßen und betonen, dass es keine mathematische Definition von Kompaktheit gäbe. (Mit dem mathematischen Begriff von Kompaktheit hat das offensichtlich nichts zu tun.)

Die Juristen Daniel Polspy und Robert Popper schlugen 1991 in einer Arbeit “The Third Criterion: Compactness as a procedural safeguard against partisan gerrymandering” das Kompaktheitsmaß PP(D)=\frac{4\pi A(D)}{C(D)^2} vor, wobei A den Flächeninhalt und C den Umfang des Gebietes D bezeichnet. Mathematiker erkennen hier natürlich die isoperimetrische Ungleichung, derzufolge PP(D)\le 1 ist und Gleichheit nur für den Kreis gilt. Eine Kommission in Arizona griff diesen Test auf, der Supreme Court in seiner Entscheidung von 2004 wollte ihn aber nicht gelten lassen.

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Kommentare (7)

  1. #1 Michael
    2. Oktober 2020

    “Dieses Gespräch führte Kurt Gödel 1947 bei seinem Einbürgerungstest”

    Können Sei eine Quelle anführen? Kann im Internet nichts finden.

  2. #3 Michael
    2. Oktober 2020

    Vielen Dank!

  3. #4 Keno
    2. Oktober 2020

    Widersprüchlichkeit in einem Rechtsdokument wäre mein Ansatz, wenn ich dessen Gültigkeit in Frage stellen / beseitigen wollen würde.
    Ganz im Sinne Gödels kann man aber ja sagen: Wenn die US-Verfassung (als Axiomensystem) nicht widersprüchlich wäre, dann wäre sie auch nicht vollständig.
    Eine nicht vollständige Verfassung lässt aber “exploits” zu.

  4. #5 DH
    3. Oktober 2020

    Bei Gödels Aussagen muß ich an diesen Satz denken
    “Nur weil zu paranoid bist, heißt das nicht, daß sie nicht hinter dir her sind”.
    Hinter der Überschätzung von gerrymandering steht der gleiche Denkfehler wie hinter der Umrechnung von Wahlergebnissen, die im Mehrheitswahlrecht entstehen, auf Verhältniswahlrecht, und der Folgerung, es gäbe dann ganz andere Machtverhältnisse im Land.
    Da wird der Wähler massiv unterschätzt, der ist sehr wohl in der Lage, die Gesamtsituation zu beurteilen und sein Wahlverhalten anzupassen.
    Dieselbe Milchmädchenrechnung bezieht sich auf die “eigentlichen” Wahlsiege von H.Clinton oder Gore, es ist völlig unklar, wie sich anderes Wahlrecht oder andere Wahlkreise auf das Wahlverhalten auswirken.

  5. #6 Plutonier
    4. Oktober 2020

    1947 entdeckte Gödel in der amerikanischen kapitalistischen Verfassung keine justiziabel definierte Schranken für Ungerechtigkeit.
    Mit den Fakten aus dem Buch Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens von Robert Mitchel, konnte er mit der plutokratischen Verfassung die Diktatur der Plutokraten vorhersehen.

    2010 konnte ein amerikanischer Präsident wegen einer fehlenden Schranke seiner Verfassung den Geldfluss, der wie in einer Diktatur das Land austrocknend nach oben in wenige Reservoirs fließt, nicht beschränken und alles oberhalb der Schranke an sein Volk in Form von z.B. preiswerter Medizin nicht zurückführen, sondern maximal 40 Prozent des Vermögens eines amerikanischen Plutokraten weltweit nur dann einkassieren, wenn der Plutokrat nach seinem totalen Ausbeutungskrieg in ein Steuerparadies des Auslands umzieht.

    2019 wurde mit dem demokratischen Bundesverfassungsgerichtsurteil 1 BvL 7/16 eines Senats die von einem anderen Senat aus dem Verfassungswort Würde hergeleitete Schranke Existenzminimum vernichtet, um z.B. erwerbsfähige arbeitslose Mathematiker mit bis zu 100%igem Geldentzug begründet zu disziplinieren, wenn mathematikferne Mitarbeit trotz Arbeitsfähigkeit verweigert wird.

    Wie unterscheidet sich eine Diktatur von einer Demokratie?
    Eine Demokratie kann eine heimliche Diktatur sein, falls seine Bürokratie Menschenrechte und Bürgerrechte und Grundrechte ignoriert und die Medien nicht darüber berichten.
    Eine Diktatur hat keine Schranken.
    Eine Demokratie kann Schranken ignorieren.

  6. #7 Stephan
    7. November 2020

    Und die traurige Wahrheit ist, daß es gar keine Demokratie gibt, denn diese ist schon vor langer Zeit von der Ochlokratie vom Tisch gewischt worden.