Stephanopoulos und McGee – ein Jurist und ein Politikwissenschaftler von der Universität Chicago – schlugen 2014 eine Effizienzlücke (“efficiency gap”) vor, welche die Anzahl der verschwendeten Stimmen zählt: Stimmen entweder für einen unterlegenen Kandidaten oder für einen klaren Sieger, der die Stimmen nicht gebraucht hätte. Das wird oft als das beste Maß für die Ungerechtigkeit von Wahlkreisen angesehen.

Die Autoren sahen eine Effizienzlücke von mehr als 7 Prozent als kritisch an. Nachdem auch einige Gerichte dieser Ansicht folgten, schrieben Boris Alexeev und Dustin Mixon – diesmal zwei Mathematiker – eine Arbeit “An impossibility theorem for gerrymandering” um zu beweisen, dass man mit bizarren Formen trotzdem eine geringe Effizienzlücke erhalten kann:

In 2018, the U.S. Supreme Court considered a proposed mathematical formula to help detect unconstitutional partisan gerrymandering. We show that in some cases, this formula only flags bizarrely-shaped districts as potentially constitutional.

Das ist nicht besonders überraschend und zeigt eigentlich nur, dass die Effizienzlücke ein besseres Maß ist als das mit der isoperimetrischen Ungleichung erhaltene: es gibt ja, wie in der Arbeit bewiesen, ungerechte Wahlkreiszuschnitte, die von der Geometrie nicht erkannt werden.

Wenn man schon mathematisch die Unmöglichkeit einer gerechten Wahl beweisen will, kann man sich auch gleich auf Kenneth Arrow berufen. Der hat in seinem Buch “Social Choice and Individual Values” eine einfache Axiomatik demokratischer Prozesse aufgestellt: er postuliert zwei Axiome, wie Menschen Entscheidungen treffen, und fünf Anforderungen an eine “gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktion”, die zu maximieren das Ziel demokratischer Prozesse sein soll. Und er beweist dann, daß es unmöglich ist, einen allgemeinen Mechanismus der Entscheidungsfindung anzugeben, der seinen (sehr natürlichen) Anforderungen genügt. Das und auch verschiedene Ansätze, Entscheidungsmechanismen für etwas schwächere Axiomensysteme zu finden, wird in Kapitel 11 (“Die Pessimisten”) von George Szpiros Buch Die verflixte Mathematik der Demokratie diskutiert.

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Kommentare (7)

  1. #1 Michael
    2. Oktober 2020

    “Dieses Gespräch führte Kurt Gödel 1947 bei seinem Einbürgerungstest”

    Können Sei eine Quelle anführen? Kann im Internet nichts finden.

  2. #3 Michael
    2. Oktober 2020

    Vielen Dank!

  3. #4 Keno
    2. Oktober 2020

    Widersprüchlichkeit in einem Rechtsdokument wäre mein Ansatz, wenn ich dessen Gültigkeit in Frage stellen / beseitigen wollen würde.
    Ganz im Sinne Gödels kann man aber ja sagen: Wenn die US-Verfassung (als Axiomensystem) nicht widersprüchlich wäre, dann wäre sie auch nicht vollständig.
    Eine nicht vollständige Verfassung lässt aber “exploits” zu.

  4. #5 DH
    3. Oktober 2020

    Bei Gödels Aussagen muß ich an diesen Satz denken
    “Nur weil zu paranoid bist, heißt das nicht, daß sie nicht hinter dir her sind”.
    Hinter der Überschätzung von gerrymandering steht der gleiche Denkfehler wie hinter der Umrechnung von Wahlergebnissen, die im Mehrheitswahlrecht entstehen, auf Verhältniswahlrecht, und der Folgerung, es gäbe dann ganz andere Machtverhältnisse im Land.
    Da wird der Wähler massiv unterschätzt, der ist sehr wohl in der Lage, die Gesamtsituation zu beurteilen und sein Wahlverhalten anzupassen.
    Dieselbe Milchmädchenrechnung bezieht sich auf die “eigentlichen” Wahlsiege von H.Clinton oder Gore, es ist völlig unklar, wie sich anderes Wahlrecht oder andere Wahlkreise auf das Wahlverhalten auswirken.

  5. #6 Plutonier
    4. Oktober 2020

    1947 entdeckte Gödel in der amerikanischen kapitalistischen Verfassung keine justiziabel definierte Schranken für Ungerechtigkeit.
    Mit den Fakten aus dem Buch Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens von Robert Mitchel, konnte er mit der plutokratischen Verfassung die Diktatur der Plutokraten vorhersehen.

    2010 konnte ein amerikanischer Präsident wegen einer fehlenden Schranke seiner Verfassung den Geldfluss, der wie in einer Diktatur das Land austrocknend nach oben in wenige Reservoirs fließt, nicht beschränken und alles oberhalb der Schranke an sein Volk in Form von z.B. preiswerter Medizin nicht zurückführen, sondern maximal 40 Prozent des Vermögens eines amerikanischen Plutokraten weltweit nur dann einkassieren, wenn der Plutokrat nach seinem totalen Ausbeutungskrieg in ein Steuerparadies des Auslands umzieht.

    2019 wurde mit dem demokratischen Bundesverfassungsgerichtsurteil 1 BvL 7/16 eines Senats die von einem anderen Senat aus dem Verfassungswort Würde hergeleitete Schranke Existenzminimum vernichtet, um z.B. erwerbsfähige arbeitslose Mathematiker mit bis zu 100%igem Geldentzug begründet zu disziplinieren, wenn mathematikferne Mitarbeit trotz Arbeitsfähigkeit verweigert wird.

    Wie unterscheidet sich eine Diktatur von einer Demokratie?
    Eine Demokratie kann eine heimliche Diktatur sein, falls seine Bürokratie Menschenrechte und Bürgerrechte und Grundrechte ignoriert und die Medien nicht darüber berichten.
    Eine Diktatur hat keine Schranken.
    Eine Demokratie kann Schranken ignorieren.

  6. #7 Stephan
    7. November 2020

    Und die traurige Wahrheit ist, daß es gar keine Demokratie gibt, denn diese ist schon vor langer Zeit von der Ochlokratie vom Tisch gewischt worden.