Garbentheorie ist ein in den 40er Jahren von Leray ursprünglich in analytischem Kontext eingeführter Ansatz, der zunächst die Funktionentheorie mehrerer komplexer Veränderlicher komplett umgekrempelt hatte. Jean-Pierre Serre und Henri Cartan konnten einige Hauptresultate der Funktionentheorie mehrerer Veränderlicher mittels Garbentheorie reformulieren und verallgemeinern. Zum Beispiel konnten sie beweisen, dass die von Stein als Verallgemeinerung der Holomorphiegebiete untersucheten (heute als Stein-Mannigfaltigkeiten bezeichneten) holomorph konvexen und separablen Mannigfaltigkeiten spezielle topologische Eigenschaften haben: ihre Kohomologie verschwindet in Graden oberhalb der halben Dimension.
Die Nützlichkeit der Garben in der algebraischen Geometrie wurde zuerst von Serre sowie von Kodaira und Spencer erkannt. Ein wichtiger Paradigmenwechsel war, dass Divisoren, bisher omnipräsent in der algebraischen Geometrie, durch Geradenbündel ersetzt wurden. Die Übergangsfunktionen eines Geradenbündels bestimmen einen 1-Kozykel in C* oder einen 2-Kozykel in Z, der die erste Chern-Klasse c1 gibt.
Kodaira bewies für komplexe Varietäten mittels Hodge-Theorie einen Verschwindungssatz für die Kohomologie mit Koeffizienten in gewissen Geradenbündeln, der später verallgemeinert wurde zum Verschwinden der q-ten Kohomologiegruppen mit Koeffizienten in der Garbe der p-Formen für q≥1. Diesen Verschwindungssatz benutzte er dann, um für p=0 genug meromorphe Funktionen zu konstruieren, um die Varietät in einen projektiven Raum einzubetten. Dieser Einbettungssatz – der einen für komplexe Kurven bekannten Satz verallgemeinerte – brachte ihm 1954 die Fields-Medaille.
Für holomorphe Vektorbündel E über einer komplexen 2n-Mannigfaltigkeit M gibt die Hodge-Theorie einen durch definierten Isomorphismus
, und damit eine Poincaré-Dualität für bündelwertige Kohomologie. Die klassische Poincaré-Dualität kann man wiederum auch für nichtorientierbare Mannigfaltigkeiten N formulieren als Isomorphismus
für die Orientierungsgarbe oN. In beiden Fällen wird die Dualität durch eine perfekte Paarung vermittelt, die das Cup-Produkt mit der Integration über die Mannigfaltigkeit verknüpft. Serre gelang nun eine entsprechende Konstruktion für Vektorbündel E-—>X über glatten projektive Varietäten (über einem beliebigen Körper). Die Rolle der Orientierungsgarbe übernimmt das kanonische Bündel
. Durch Verknüpfung des Cup-Produkts mit einer Spur-Abbildung bekam er eine perfekte Paarung von
und
. Für Varietäten über C kann man das mit dem Dolbeault-Theorem
aus der Poincaré-Dualität für bündelwertige Kohomologie herleiten:
.
Serres Beweis funktionierte aber für Varietäten über beliebigen Körpern.
Mit Serres Dualitätätssatz konnte man das klassische Riemann-Roch-Theorem über Divisoren auf komplexen Kurven als ein Theorem über Garbenkohomologie formulieren und hatte damit einen Ansatz, wie eine höher-dimensionale Verallgemeinerung des Riemann-Roch-Theorems aussehen sollte. Auch Kodairas Verschwindungssatz konnte mittels Serre-Dualität jetzt zum Beweis des Verschwindens zahlreicher weiterer Kohomologiegruppen und letztlich (in späteren Arbeiten Kodairas) für einen neuen Beweis der Klassifikation algebraischer Flächen benutzt werden.
Für Linienbündel L—->C über Kurven sind H0 und H1 die einzigen nichttrivialen Kohomologiegruppen und H0 versteht man geometrisch als Raum der globalen Schnitte in L. Mit Serres Dualitätssatz kann man dann H1(C,L) als Raum der Schnitte in einem anderen Bündel bestimmen. Beispielsweise benötigt man für Teichmüllers Berechnung der Dimension des Modulraums die Gleichung , welche sich mit Serre-Dualität aus
ergibt. (Das kanonische Bündel hat Grad 2g-2, sein Tensor-Quadrat also Grad 4g-4, und allgemein hat für Linienbündel vom Grad d>2g-2 der Raum der globalen Schnitte Dimension d-g+1.)
Teichmüllers Beschreibung der Deformationen komplexer Strukturen auf Kurven durch quadratische Differentiale bzw. in garbenkohomologischer Sprache durch wurde dann von Kodaira und Spencer zu einer Theorie der Deformationen komplexer Strukturen auf Mannigfaltigkeiten verallgemeinert, die auch auf höher-dimensionalen Mannigfaltigkeiten durch
parametrisiert werden.
Serres Arbeit zeigte die Stärke kohomologischer Methoden. Die Leute waren beeindruckt von einem einfachen garbentheoretischen Beweis für ein bis dahin schwieriges Lemma der komplexen algebraischen Geometrie von Enriques und Severi. Dabei hatte man eigentlich das Gefühl, das es sich nur um eine andere Sprache handelte. (Mumford gab später einen algebraischen Beweis, aus dem klar wurde, warum das Lemma in Charakteristik p nicht funktioniert.) Auch die Theorie der in den Cn holomorph einbettbaren Mannigfaltigkeiten (Stein-Mannigfaltigkeiten), mit der sich Karl Stein in Münster lange Zeit beschäftigt hatte, wurde nun plötzlich kohomologisch: man konnte diese Mannigfaltigkeiten dadurch charakterisieren, dass für jede kohärente Garbe die erste Kohomologie verschwindet. “Wat se nich allet maket” war Steins Kommentar dazu.
In seiner Arbeit über „kohärente algebraische Garben” entwickelte Serre den garbentheoretischen Zugang zur algebraischen Geometrie über algebraisch abgeschlossenen Körpern k beliebiger Charakteristik. (Eine Garbe heißt kohärent, wenn sie lokal ein endlich erzeugter Modul über dem Ring der regulären Funktionen ist. Das ist das Analogon zu endlich-dimensionalen Vektorbündeln.) Er übertrug so Lerays Garbentheorie auf Varietäten über beliebigen Körpern, vereinfachte dabei die Definitionen und machte Verklebekonstruktionen einfacher.
Während Weil abstrakte Varietäten durch Verkleben affiner Stücke definiert hatte, wurden sie bei Serre über Garben (zur Zariski-Topologie) als geringte Räume – ein von Cartan eingebrachter Begriff – definiert. Man verklebt Teilmengen des kn zu einer Varietät X und betrachtet eine Garbe , so dass für eine in einem affinen Stück liegende offene Menge U die Schnitte von
die Einschränkungen rationaler Funktionen P/Q von kn auf U sind.
Das Hauptanliegen war, die Garbenkohomologie von komplexen Varietäten auf Varietäten über algebraisch abgeschlossenen Körpern k zu verallgemeinern. Es gelang ihm, Kodairas analytische Methoden durch rein algebraische Techniken zu ersetzen, so dass er auch in dieser Situation den Dualitätssatz und die für Garbenkohomologie komplexer Mannigfaltigkeiten gemeinsam mit Cartan bewiesenen Endlichkeitssätze beweisen konnte. Mit seinen Methoden war die Manipulation linearer Systeme nun keine schwarze Kunst mehr, jeder konnte es machen und über beliebigen Grundkörpern.
Wichtig war das auch in Hinsicht auf die Einheit der algebraischen Geometrie. Weil hatte sein Konzept der Spezialiserungen als fundamentalen Baustein benutzt, Zariski hatte einen sehr auf algebraischen Techniken aufbauenden Ansatz über generische Punkte entwickelt, und Nagata arbeitete später an einem ringtheoretischen Ansatz. Die unterschiedlichen Ansätze behinderten eine effektive Kommunikation und damit die weitere Forschung.
Serres in den Annals of Mathematics veröffentlichte und dann unter dem Kürzel FAC populär gewordene Arbeit „Faisceaux algébriques coherents“ besteht aus drei Teilen:
I Garbentheorie (im wesentlichen der Inhalt von Cartans Exposé)
II Algebraische Varietäten (analog zu Weil, aber mit reduziblen Varietäten, Zariski-Topologie, Garbe der lokalen Ringe, und Resultaten für kohärente Garben)
III: Korrelation zwischen kohärenten Garben auf dem projektiven Raum und gradierten S-Modulen (für eine Polynomalgebra S) mit der “Bedingung TF”: jede Frage über eine Garbe wird zur Frage über einen Modul, man hat eine algebraische Prozedur für die Berechnung der Garbenkohomologie und ihrer Euler-Charakteristik χ.
Serre bearbeitete als nächstes die Äquivalenz der Kategorien algebraischer und analytischer kohärenter Garben. Eine der Anwendungen sollte ein Satz von Chow sein, dass ein abgeschlossener analytischer Unterraum des CPn eine Untervarietät sein muß.
In einer später unter dem Kürzel GAGA populär gewordenen Arbeit “Géométrie algébrique et géométrie analytique”, bewies Serre allgemeine Resultate, die Klassen algebraischer Varietäten, Morphismen und Garben mit Klassen analytischer Räume, holomorpher Abbildungen und Garben in Beziehung setzte. Letztlich lief alles auf den Vergleich von Kategorien von Garben
Grothendieck fand dann eine allgemeinere Form des Dualitätssatzes aus FAC, den er formulierte als kanonische Bijektion zwischen dem Dual von Hp(X,F), wo X eine n-dimensionale projektive algebraische Varietät und F eine kohärente algebraische Garbe auf X ist, und Extn-pO(X,F,Ωn), wo Ωn die Garbe der Keime von algebraischen Differentialformen auf X ist. Serres erfreute Antwort: “Ich finde deine Formel sehr aufregend, ich bin wirklich überzeugt, dass das der richtige Weg ist, den Dualitätssatz sowohl im algebraischen als im analytischen Fall zu formulieren.”
Später konnte man mit Grothendiecks Formalismus der sechs Operationen sowohl Serre-Dualität beweisen als auch die Artin-Vedier-Dualität der etalen Kohomologie.
Bild: https://mathshistory.st-andrews.ac.uk/Biographies/Serre/pictdisplay/
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