Über die bis zum Kongreß geheimgehaltenen Gewinner der Fields-Medaillen wird immer schon Jahre zuvor auf verschiedenen Internetseiten spekuliert, insbesondere auf der Seite Economics Job Market Rumors, wo die Diskussion über mögliche Kandidaten für 2022 letztlich auf mehr als 1800 anonyme Beiträge angewachsen war, die oft erstaunliche Insider-Kenntnisse aus der Mathematik verrieten. Jedenfalls waren in diesem Jahr die meistgenannten Namen dann auch die tatsächlich in Helsinki verkündeten Preisträger: Maryna Viazovska für die Optimalität gewisser Kugelpackungen im 8- und 24-dimensionalen Raum (zweiteres mit Koautoren) und in weiteren Arbeiten (mit Koautoren) Grundlagen der harmonischen Analysis, von denen man sich noch viele Anwendungen erwartet, James Maynard für Verbesserungen der Abschätzungen für Primzahllücken und (mit Koukoulopoulos) den Beweis der Duffin-Schaeffer-Vermutung aus der diophantischen Approximation, Hugo Duminil-Copin für zahlreiche tiefe Sätze der Perkolationstheorie und über Gittermodelle der mathematischen Physik, und June Huh (der übrigens anders als in der medialen Berichterstattung korrekterweise Jun-i Ho mit kurzem “o” am Ende auszusprechen ist) für den Beweis der Unimodalität des chromatischen Polynoms von Graphen und (mit Koautoren) zahlreicher weiterer kombinatorischer Vermutungen.
Graphenfärbungen und Singularitätentheorie
Die Graphentheorie entwickelte sich seit Ende des 19. Jahrhunderts aus dem klassischen Vier-Farben-Problem. Dieses ist ein spezieller Fall des allgemeinen Problems, die Knoten eines Graphen so zu färben, dass durch eine Kante verbundene Knoten jeweils mit unterschiedlichen Farben eingefärbt sind. Die Anzahl der Möglichkeiten, einen gegebenen Graphen G so mit n Farben zu färben, bezeichnet man mit . Das Vier-Farben-Problem ist also äquivalent zu der Frage, ob
für alle ebenen Graphen G gilt.
George Birkhoff gab 1912 ein rekursives Verfahren zur Berechnung von : für einen Graphen G und eine Kante e seien G-e und G/e die Graphen, die man durch Entfernen bzw. Kontraktion der Kante e bekommt, dann ist
.
Mit dieser Formel kann man rekursiv berechnen und man kann per Induktion beweisen, dass
ein Polynom in n ist, sein Grad ist die Anzahl der Knoten von G. Man nennt es das “chromatische Polynom” des Graphen. Birkhoff hoffte, mit Methoden zur Nullstellenbestimmung von Polynomen letztlich auch das Vier-Farben-Problem lösen zu können, was sich nicht erfüllte.
Das chromatische Polynom des oben abgebildeten Petersen-Graphen ist
.
Beim Betrachten dieses Polynoms fallen zwei Dinge auf:
– die Vorzeichen alternieren,
– die Folge der Koeffizienten wächst zunächst (in diesem Fall bis zum Koeffizienten von , bei anderen Graphen bis zu einer anderen Potenz) und fällt dann.
Folgen mit der zweiten Eigenschaft nennt man unimodal.
Berechnet man charakteristische Polynome weiterer Graphen, so wird man feststellen, dass sie alle diese Eigenschaften haben. Zum Beispiel hat der vollständige Graph auf fünf Knoten das chromatische Polynom
oder der bipartite Graph
das chromatische Polynom
Tatsächlich kann man die alternierenden Vorzeichen der Koeffizienten leicht per Induktion aus der Rekursionsformel beweisen. Dagegen war die zweite Eigenschaft, die Unimodalität der chromatischen Polynome von Graphen, eine seit 1968 offene Vermutung von Read. Beweisen wurde sie 2010 von June Huh, und zwar überraschenderweise mit Hilfe von Erkenntnissen aus der Singularitätentheorie, einem Teilgebiet der algebraischen Geometrie.
Die algebraische Geometrie kommt so ins Spiel: zu einem Graphen mit K Knoten betrachtet man ein Hyperebenenarrangement im : wenn der i-te und j-te Knoten durch eine Kante verbunden sind, soll die Hyperebene
zum Arrangement gehören.
Das chromatische Polynom des ursprünglichen Graphen läßt sich aus der Topologie des Hyperebenen-Komplements berechnen. Sei das Polynom, welches man als Produkt der obigen Linearfaktoren
erhält. Dann ist
das Komplement des Hyperebenenarrangements. Seien
seine Betti-Zahlen, also die Dimensionen der i-ten Homologiegruppen. Aus einem Satz von Orlik-Solomon folgt, dass
das chromatische Polynom des Graphen G ist.
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