Huh bewies dann, dass die Bettizahlen b_i(D(h)) sich mittels Singularitätentheorie berechnen lassen. Allgemein sei h ein homogenes Polynom, welches ein Produkt aus linearen Faktoren ist (hier aus den x_i-x_j ), dann kann man b_i(D(h)) mittels Morse-Theorie berechnen und als Ergebnis erhält man die i-te Milnor-Zahl \mu_i(h) der Singularität, die das Polynom h im Nullpunkt hat. Diese ergibt sich rein algebraisch wie folgt. Betrachte die Ideale m=(x_1, \ldots , x_K), J=(\frac{\partial h}{\partial x_1},\ldots, \frac{\partial h}{\partial x_K}), dann ist die Dimension von {\bf C}\left[x_1,\ldots,x_K\right]/m^uJ^v eine (polynomielle) Funktion in u und v und man erhält \mu_i(h) als (n-i)!i! mal den Koeffizienten von u^{n-i}v^i in {\bf C}\left[x_1,\ldots,x_K\right]/m^uJ^v.
Und schließlich bewies er, dass (unter gewissen Voraussetzungen, die durch die spezielle Wahl der Polynome h hier erfüllt sind) die Milnor-Zahlen \mu_i(h) eine unimodale Folge bilden, woraus sich dann ergibt, dass auch die Koeffizienten des chromatischen Polynoms eine unimodale Folge bilden. (Dieser Beweis benutzte wiederum, dass die Milnor-Zahlen mit gewissen gemischten Volumina aus der Konvexgeometrie übereinstimmen, deren Unimodalität bekannt war.)
Zweifellos eine überraschende Anwendung der algebraischen Geometrie in der Graphentheorie.

Die Standard-Vermutungen

In einer 2018 in den Annals of Mathematics erschienenen Arbeit von Adiprasito, Huh und Katz wurde dann gezeigt, dass dies ein Spezialfall eines allgemeineren Phänomens ist und allgemein für die charakteristischen Polynome sogenannter Matroide gilt. Hinter diesem allgemeinen Resultat steckt eine Struktur, die in allen möglichen Zusammenhängen in der Mathematik vorkommt und damit für viele in unterschiedlichen Zusammenhängen vorkommende unimodale Polynome verantwortlich ist: die sogenannten Lefschetz-Pakete.

Seit den 40er Jahren galten die Weil-Vermutungen als die größte offene Frage der algebraischen Geometrie. Sie besagen, dass man die Anzahl der Lösungen einer polynomiellen Gleichung modulo einer Primzahlpotenz p^m bestimmen kann, wenn man die algebraische Topologie derselben Gleichung über den komplexen Zahlen (d.h. die Betti-Zahlen der entsprechenden Varietät im {\bf C}P^n) kennt. Zum Beispiel ist es nicht einfach die Anzahl der Lösungen von x^3+y^3+z^3=0 modulo einer Primzahlpotenz zu berechnen. Über den komplexen Zahlen ist diese Kurve in der projektiven Ebene aber einfach ein Torus. Die Betti-Zahlen sind b_0=1,b_1=2,b_2=1. Mit den Weil-Vermutungen bekommt man dann zum Beispiel 9 Lösungen modulo 7, 63 Lösungen modulo 72, 324 Lösungen modulo 73 und eine allgemeine Formel für die Anzahl der Lösungen modulo 7^m.

Alexander Grothendieck erkannte 1968, dass man die Weil-Vermutungen herleiten könnte, wenn es es eine Struktur aus Poincaré-Dualität, schwerem Lefschetz-Satz und Hodge-Riemann-Relationen auch auf den Chow-Gruppen (den Gruppen algebraischer Zykel modulo homologischer Äquivalenz in einer algebraischen Varietät) gibt. Die vermutete Existenz dieser Strukturen wurde dann als Standardvermutungen bekannt.

Alexander Grothendiecks Zugang zur Mathematik war der eines Theoriebauers statt eines Problemlösers. Auch an den Weil-Vermutungen interessierte ihn nicht das schwere und berühmte Problem, sondern die zu suchende dahinterliegende versteckte Struktur.

Erich Kähler hatte Anfang der 30er Jahre die Differentialgeometrie mit den Arbeiten der italienischen Schule zur algebraischen Geometrie verbinden wollen und in diesem Zusammenhang auf komplexen Mannigfaltigkeiten Riemannsche Metriken betrachtet, für die \omega=\sum g_{ij}dz^idz^j eine geschlossene 2-Form ist. Dies ist insbesondere für die Fubini-Study-Metrik auf Untermannigfaltigkeiten des {\bf C}P^n der Fall, also auch für glatte projektive Varietäten. Für solche “Kähler-Mannigfaltigkeiten” funktioniert die von Lefschetz in den 20er Jahren für das Studium der Topologie algebraischer Variet\”aten entwickelte Maschinerie. In der Sprache der deRham-Kohomologie kann man sie so formulieren, dass für jedes k (und d die Dimension der Mannigfaltigkeit) das Cup-Produkt mit \omega^{d-2k} einen Isomorphismus H^k\to H^{d-k} gibt (“schwerer Satz von Lefschetz”), und man zusammen mit der Poincaré-Dualität H^k\to (H^{d-k})^* eine symmetrische Paarung H^k\times H^k\to H^d={\bf R} erhält, die auf dem Kern von \omega^{d-2k+1} positiv definit ist. Ausgerechnet gibt diese positive Definitheit die sogenannten Hodge-Riemann-Relationen, die in der komplexen und algebraischen Geometrie an vielen Stellen verwendet werden. Spezieller hat man diese Strukturen dann auch auf der Dolbeault-Kohomologie H^{k,k}.

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Kommentare (5)

  1. #1 Fluffy
    16. August 2022

    Na da will ich doch mal jemanden sehen, der einen Kommentar schreibt, der länger als dieser Artikel ist.

  2. #2 echt?
    24. August 2022

    Da kommt sicher gleich etwas über die ruhmreiche Oktoberrevolution!

  3. #3 rolak
    24. August 2022

    die ruhmreiche Oktoberrevolution!

    Die existiert nicht, da kann die Propaganda tröten, wie sie will. Die Revolution fand im Februar 1917 statt, Lenin was not amused und startete, seines Zeichens strammer NichtDemokrat, als action directe einen kleinen Putsch, der in seiner Folge auch höchstens mehr als 12Millionen Opfer forderte…

  4. #4 helix jump
    6. Juni 2023

    As a fan of Maths, I really wanted to be a part of this Congress. It sounds interesting.

  5. #5 Emmal
    10. Juli 2023

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