Den Wert der Riemannschen Zeta-Funktion in s=-1 kann man mit Hilfe der Funktionalgleichung
\zeta(s) = 2^s\pi^{s-1}\ \sin\left(\frac{\pi s}{2}\right)\ \Gamma(1-s)\ \zeta(1-s) berechnen, man erhält
\zeta(-1)=-\frac{1}{2\pi^2}\Gamma(2)\zeta(2)=-\frac{1}{2\pi^2}\zeta(2)=-\frac{1}{2\pi^2}\frac{\pi^2}{6}=-\frac{1}{12}.

Wenn man sich dann erinnert, dass die Riemannsche Zeta-Funktion ja eigentlich (für Re(s)>1) mal definiert war als

\zeta(s)=1+\frac{1}{2^s}+\frac{1}{3^s}+\frac{1}{4^s}+\frac{1}{5^s}+\ldots

und wenn man dort formal s=-1 einsetzt, bekommt man

-\frac{1}{12}=\zeta(-1)=1+2+3+4+5+\ldots.

Der Punkt ist natürlich, dass \zeta(s) eben nur für Re(s)>1 auf diese Weise definiert war, für andere Werte von s divergiert die Reihe und der Wert der analytischen Fortsetzung hat nichts mit dem (nicht existierenden) Wert der unendlichen Reihe zu tun.

Denselben Wert wie über die Zeta-Funktion erhält man übrigens auch mit Ramanujans Summationsmethode.

Im ursprünglichen Numberphile-Video war der Wert der Reihe mittels recht einfacher Taschenspielertricks (Indexverschiebungen in Reihen) hergeleitet worden, lebhafte Diskussionen an zahlreichen Stellen des Internets provozierend. Die Macher des Videos fühlten sich dann genötigt, noch ein zweites Video nachzuschieben, dreimal so lang wie das erste, indem alles aufgeklärt wurde. Erklärt wurde dort auch, warum die Summe in der Stringtheorie vorkommt (meine Übersetzung):

Wir sehen ein Beispiel in Polchinskis Stringtheorie-Buch, wo er die Dimensionalität des Universums vorherzusagen versucht und tatsächlich diese Summe erscheint, weil du am Ende die Summe hast: die Strings haben unterschiedliche Oszillationsmoden: erster harmonischer Modus, zweiter, dritter und so weiter, und wenn man alle Beiträge aufsummiert, naiv würde man einen unendlichen Beitrag bekommen, aber man bekommt -1/12 und die -1/12 gibt dann die 26 Dimensionen.

Etwas später produzierte Numberphile dann noch ein weiteres Video mit Edward Frenkel, in dem dieser weiter ausholte und die divergenten Reihen mit der Wurzel aus -1 verglich, die zwar ebenfalls nicht existiert, aber das Rechnen erheblich vereinfacht, weshalb man mit komplexen Zahlen rechnet als wenn es sie wirklich gäbe.

Numberphile, ein Videoportal des früheren BBC-Journalisten Brady Haran, hatte 2011 begonnen mit einem Video über den 11.11.11 und dann – entsprechend dem Namen – als Zahlenfreunde fortgesetzt mit Videos über spezifische Zahlen wie 255, 16, 8128 oder 6174. Die kontroversen Diskussionen über 1+2+3+4+5=-1/12 waren dann wohl der Durchbruch, dieses Video wurde (bis heute) 8,9 Millionen mal geschaut, und auch ihre anderen Videos haben seitdem stets sechs-, manchmal auch siebenstellige Zugriffszahlen. Im Folgenden will ich noch ein paar interessante Videos dieses Kanals aus den letzten Jahren vorstellen.

Eisenbahngraphen

Hannah Fry sprach im November 2021 über die Anfangsjahre des Bahnwesens und wie man vermied, dass Züge gleichzeitig auf demselben Gleis unterwegs waren. (Man fuhr besonders schnell um nicht von einem anderen Zug auf demselben Gleis erwischt zu werden.)

Charles Ibry entwickelte damals einen speziellen Graphen, auf dem man Züge so eintragen kann, dass sie sich nicht kreuzen, bzw. auf dem man die Kreuzungen erkennen kann.

Diese Objekte wurden in der Mitte des 19. Jahrhunderts tatsächlich so benutzt. Angestellte in den Büros der Bahngesellschaften saßen mit Stift und Lineal an ihren Schreibtischen und zeichneten solche Graphen.

Der riesige Dom

Im Dezember 2020 erklärte Thomas Crawford, wie die Geometrie der Kettenlinie beim Bau der St. Paul‘s Cathedral eine Rolle spielte.

Was im Video nicht gesagt wurde, obwohl es Ende 2020 sicher interessiert hätte: die Kathedrale wurde gebaut, nachdem man in London dank eines Großbrandes eine Pandemie überwunden hatte. In London herrschte 1665-1666 eine Pestepidemie, in der zeitweise 7000 Menschen wöchentlich verstarben. (Die dadurch erzwungene Quarantäne nutzte Isaac Newton zur Entwicklung der Differentialrechnung.) Nachdem die Epidemie bereits im Abklingen war, brach im September 1666 ein Feuer aus, dem vier Fünftel der Bebauung, darunter fast alle mittelalterlichen Bauten, aber nur wenige Menschen zum Opfer fielen. Weil die die Krankheit übertragenden Ratten und Flöhe durch das Feuer vernichtet wurden, stoppte dies die weitere Ausbreitung der Pest. Da auch die große Kathedrale abgebrannt war, begann man mit dem Bau von St. Paul‘s, der 1708 vollendet wurde.

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Kommentare (5)

  1. #1 Frank Wappler
    30. Oktober 2023

    Thilo schrieb (29. Oktober 2023):
    > […] die unendliche Reihe \zeta[ ~ s ~ ] := \sum_{n = 1}^{\infty}\left[ ~ \frac{1}{n^s} ~ \right]
    > [… die für] Realteil \text{Re}[ ~ s ~ ] > 1 […] konvergiert [… und als Funktion von s …] komplex differenzierbar ist.

    Um untersuchen und entscheiden zu können, ob und für welche Werte s ein (gegebener) Ausdruck konvergiert (und, falls so, womöglich darüber hinaus auch komplex differenzierbar wäre), muss der betreffende Ausdruck hinreichend formal gegeben (und insofern auch “formal als Reihe definiert”) sein.

    > […] Der Punkt ist natürlich, dass \zeta[ ~ s ~ ] eben nur für \text{Re}[ ~ s ~ ] > 1 auf diese Weise definiert war,

    Hier bezieht sich die Charakterisierung als “definiert” offenbar auf die ausdrückliche Erfüllung der Forderung nach Konvergenz (alias “Wertigkeit”, die zur Bewertung von Differenzierbarkeit vorausgesetzt wird), bzw. sogar auf die ausdrückliche Erfüllung der Forderung nach komplex-Differenzierbarkeit.

    Wäre es richtig zu sagen, dass die Reihe \zeta[ ~ s ~ ] anhand ihrer o.g. formalen Definition eben nur für \text{Re}[ ~ s ~ ] > 1 als analytische Funktion von s unmittelbar definiert ist ?

    (Dann könnte es sich allerdings als vorteilhaft erweisen, “die formal überall definierte Reihe” auch symbolisch von der “daraus unmittelbar definierten analytischen Funktion auf entsprechend eingeschränktem Definitionsbereich” zu unterscheiden.)

    > Es ist ein allgemeines Prinzip, dass man eine auf einer offenen Teilmenge der Ebene definierte komplex-differenzierbare Funktion (unter gewissen Voraussetzungen) “analytisch fortsetzen” kann, so dass man eine auf der ganzen Ebene (mit Ausnahme einzelner isolierter Singularitäten) definierte komplex-differenzierbare Funktion erhält.

    (Und diese Fortsetzung ist offenbar eindeutig.)

    > Im Fall von \zeta[ ~ s ~ ] definiert diese analytische Fortsetzung

    … der formal gegebenen/definierten Reihe in den Bereich \text{Re}[ ~ s ~ ] &le 1 (mit Ausnahme einzelner isolierter Singularitäten) …

    > die sogenannte Riemannsche Zeta-Funktion […]

    (Es könnte sich allerdings als vorteilhaft erweisen, “die aus der formal überall gebenen Reihe unmittelbar definierte analytische Funktion auf entsprechend eingeschränktem Definitionsbereich” auch symbolisch von deren eindeutiger “analytischen Fortsetzung” zu unterscheiden.)

    > [Im Bereich \text{Re}[ ~ s ~ ] &le 1 hat] der Wert der analytischen Fortsetzung nichts mit dem (nicht existierenden) Wert der unendlichen Reihe zu tun.

    Dem stinknormalen Gleichheitszeichen, wie es u.a. im obigen ScienceBlog-Artikel in der Gleichung “- \frac{1}{12} = 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + \dots” sogar mehrfach auftritt,
    ist diese recht spezielle Bedeutung allerdings nur schwerlich zu entnehmen.
    (Es wurde bereits gelegentlich vorgeschlagen, stattdessen “- \frac{1}{12} \doteq 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + \dots” zu schreiben.)

    p.s.
    > \sum_{i = 1}^{\infty} […]

    Da das Zeichen i konventionell die imaginare Einheit symbolisiert, ist dessen Verwendung als Index nicht zu empfehlen. Man beachte z.B.

    \sum_{k = 1}^{\infty} \left[ ~ (-1)^k ~ \frac{1}{i} ~ \right] = i ~ \left( \sum_{k = 1}^{\infty} \left[ ~ (-1)^{(k + 1)} ~ \right] \right)

    und

    \sum_{k = 1}^{\infty} \left[ ~ (-1)^i ~ \frac{1}{k} ~ \right] = \frac{1}{e^{\pi}} ~ \left( \sum_{k = 1}^{\infty} \left[ ~ \frac{1}{k} ~ \right] \right).

  2. #2 Frank Wappler
    30. Oktober 2023

    Thilo schrieb (29. Oktober 2023):
    > […] die unendliche Reihe \zeta[ ~ s ~ ] := \sum_{n = 1}^{\infty}\left[ ~ \frac{1}{n^s} ~ \right]
    > [… die für] Realteil \text{Re}[ ~ s ~ ] > 1 […] konvergiert [… und als Funktion von s …] komplex differenzierbar ist.

    Um untersuchen und entscheiden zu können, ob und für welche Werte s ein (gegebener) Ausdruck konvergiert (und, falls so, womöglich darüber hinaus auch komplex differenzierbar wäre), muss der betreffende Ausdruck hinreichend formal gegeben (und insofern auch “formal als Reihe definiert”) sein.

    > […] Der Punkt ist natürlich, dass \zeta[ ~ s ~ ] eben nur für \text{Re}[ ~ s ~ ] > 1 auf diese Weise definiert war,

    Hier bezieht sich die Charakterisierung als “definiert” offenbar auf die ausdrückliche Erfüllung der Forderung nach Konvergenz (alias “Wertigkeit”, die zur Bewertung von Differenzierbarkeit vorausgesetzt wird), bzw. sogar auf die ausdrückliche Erfüllung der Forderung nach komplex-Differenzierbarkeit.

    Wäre es richtig zu sagen, dass die Reihe \zeta[ ~ s ~ ] anhand ihrer o.g. formalen Definition eben nur für \text{Re}[ ~ s ~ ] > 1 als analytische Funktion von s unmittelbar definiert ist ?

    (Dann könnte es sich allerdings als vorteilhaft erweisen, “die formal überall definierte Reihe” auch symbolisch von der “daraus unmittelbar definierten analytischen Funktion auf entsprechend eingeschränktem Definitionsbereich” zu unterscheiden.)

    > Es ist ein allgemeines Prinzip, dass man eine auf einer offenen Teilmenge der Ebene definierte komplex-differenzierbare Funktion (unter gewissen Voraussetzungen) “analytisch fortsetzen” kann, so dass man eine auf der ganzen Ebene (mit Ausnahme einzelner isolierter Singularitäten) definierte komplex-differenzierbare Funktion erhält.

    (Und diese Fortsetzung ist offenbar eindeutig.)

    > Im Fall von \zeta[ ~ s ~ ] definiert diese analytische Fortsetzung

    … der formal gegebenen/definierten Reihe in den Bereich \text{Re}[ ~ s ~ ] \le 1 (mit Ausnahme einzelner isolierter Singularitäten) …

    > die sogenannte Riemannsche Zeta-Funktion […]

    (Es könnte sich allerdings als vorteilhaft erweisen, “die aus der formal überall gebenen Reihe unmittelbar definierte analytische Funktion auf entsprechend eingeschränktem Definitionsbereich” auch symbolisch von deren eindeutiger “analytischen Fortsetzung” zu unterscheiden.)

    > [Im Bereich \text{Re}[ ~ s ~ ] \le 1 hat] der Wert der analytischen Fortsetzung nichts mit dem (nicht existierenden) Wert der unendlichen Reihe zu tun.

    Dem stinknormalen Gleichheitszeichen, wie es u.a. im obigen ScienceBlog-Artikel in der Gleichung “- \frac{1}{12} = 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + \dots” sogar mehrfach auftritt,
    ist diese recht spezielle Bedeutung allerdings nur schwerlich zu entnehmen.
    (Es wurde bereits gelegentlich vorgeschlagen, stattdessen “- \frac{1}{12} \doteq 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + \dots” zu schreiben.)

    p.s.
    > \sum_{i = 1}^{\infty} […]

    Da das Zeichen i konventionell die imaginare Einheit symbolisiert, ist dessen Verwendung als Index nicht zu empfehlen. Man beachte z.B.

    \sum_{k = 1}^{\infty} \left[ ~ (-1)^k ~ \frac{1}{i} ~ \right] = i ~ \left( \sum_{k = 1}^{\infty} \left[ ~ (-1)^{(k + 1)} ~ \right] \right)

    und

    \sum_{k = 1}^{\infty} \left[ ~ (-1)^i ~ \frac{1}{k} ~ \right] = \frac{1}{e^{\pi}} ~ \left( \sum_{k = 1}^{\infty} \left[ ~ \frac{1}{k} ~ \right] \right).

  3. #3 Frank Wappler
    30. Oktober 2023

    Frank Wappler schrieb (#2, 30. Oktober 2023):
    > […] (Es wurde bereits gelegentlich vorgeschlagen, stattdessen
    “- \frac{1}{12} \doteq 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + \dots” zu schreiben.)

    Eine weitere Korrektur:
    Der damalige Vorschlag war stattdessen:
    “- \frac{1}{12} \bumpeq 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + \dots”.

  4. #4 Jack
    3. November 2023

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