Falsche Bruchrechnung

Man weiß es natürlich seit der fünften Klasse, dass man Brüche nicht zähler- und nennerweise addieren darf, also so wie
\frac{11}{24}+\frac{17}{37}=\frac{28}{61}.
Was passiert, wenn man es doch tut, hat der Geologe John Farey schon vor 200 Jahren untersucht, weshalb man diese Art der Bruchrechnung heute Farey-Addition nennt.

In einem (bisher) 4,3 Millionen mal geschauten Numberphile-Video, das man schon des französischen Akzents wegen anschauen sollte, erklärte Francis Bonahon im Juni 2015 den Zusammenhang zwischen Fareys Bruchrechnung und den abgebildeten Ford-Kreisen.

Nur angedeutet wurde natürlich der Zusammenhang mit hyperbolischer Geometrie, Topologie und Dynamik. Darüber kann man in Kapitel 8 von Bonahons Buch nachlesen oder auch online zum Beispiel (mit weiteren Links in den Kommentaren) im Secret Blogging Seminar

Stetigkeit in geometrischen Beweisen

Die Nützlichkeit topologischer Stetigkeitsargumente bei der Lösung geometrischer Probleme wird manchmal (zum Beispiel im sehr empfehlenswerten Buch von Boltjanskij-Efremowitsch) veranschaulicht mit dem Beweis, dass jede beliebige geschlossene Kurve durch ein Quadrat umschrieben werden kann: Zu jedem Winkel α findet man ein Rechteck, dessen erste Seite Neigungswinkel α hat und das die Kurve umschreibt. (Man nehme einfach ein sehr grosses Rechteck mit Neigungswinkel α, das gross genug ist um die Kurve im Inneren zu enthalten. Dann verschiebe man die Seiten durch Parallelverschiebung, bis sie die Kurve gerade berühren.) Sei A die Länge der ersten Seite, B die Länge der zweiten Seite. Falls A-B=0 ist, haben wir ein Quadrat. A und B hängen stetig vom Winkel α ab. (Das muss man strenggenommen eigentlich noch beweisen.) Nun erhalten wir für α=90odasselbe Rechteck wie für α=0o, wobei aber die Rolle von A und B vertauscht ist. Wenn also für α=0o A>B ist, dann ist für α=90o B>A (und umgekehrt). A-B ist also bei α=0o positiv und bei α=90o negativ, oder umgekehrt. Also muss A-B zwischendurch einmal den Wert 0 annehmen, wir bekommen also ein Quadrat.

Ein ähnliches Argument liefert im März 2020 einen von drei Beweisen, dass man in jedem spitzwinkligen Dreieck ein Quadrat findet:

Hilberts drittes Problem

Kann man Polygone gleichen Flächeninhalts oder Polyeder gleichen Volumens durch Schneiden und Kleben ineinander überführen? Für 2-dimensionale Polygone ist das elementar genug, dass man es vielleicht sogar mit Schülern machen kann und war schon früh im 19. Jahrhundert bekannt (Satz von Bolyai-Gerwien).

Carl Friedrich Gauß hatte seinerzeit bedauert, dass manche Sätze der Körpergeometrie (wie die Volumenformel für Pyramiden) von der Exhaustionsmethode abhängen, also in moderner Sprache von der Axiomatisierung der Stetigkeit. Der elementare Beweis der Scherenkongruenz flächengleicher Polygone warf die Frage auf, ob vielleicht auch ein elementarer Beweis für den Satz von Euklid – dass sich die Volumina von Pyramiden gleicher Höhe wie die Flächeninhalte ihrer Basisflächen verhalten – möglich sei. David Hilbert, der sich damals mit den Grundlagen der euklidischen Geometrie beschäftigte, glaubte das nicht und und so stellte er als eines seiner berühmten 23 Probleme auf dem Weltkongreß in Paris die Aufgabe, einen rigorosen Beweis für seine Unmöglichkeit (oder das Gegenteil) zu erbringen.

Das Problem wurde wenige Monate später von Max Dehn gelöst, der bewies, dass man einen regelmäßigen Tetraeder nicht durch Schneiden und Kleben in einen Würfel gleichen Volumens verwandeln kann. Den Unterschied zwischen Dimension 2 und 3 machen die diedrischen Innenwinkel an den Kanten aus. Dehn definierte eine aus den Kanten-Längen und -Winkeln gebildete Invariante, die dann zusammen mit dem Volumen tatsächlich entscheidet, ob zwei Polyeder scherenkongruent sind. In heutiger Sprache schreibt man Dehns Invariante als \Sigma_{Kanten}l\otimes \alpha \in R\otimes R\slash 2\pi Z, wobei l die Länge und alpha der diedrische Innenwinkel der Kante ist. (In Aigner-Ziegler: “Das Buch der Beweise” findet man eine elementare Definition, die das Tensorprodukt vermeidet, die ich persönlich aber eher komplizierter finde.) Diese Invariante ist 0 für den Würfel, aber ungleich 0 für den regelmäßigen Tetraeder.

Das alles wurde anschaulich erklärt von Daniel Litt in einem Numberphile-Video vom Juli 2019.

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Kommentare (5)

  1. #1 Frank Wappler
    30. Oktober 2023

    Thilo schrieb (29. Oktober 2023):
    > […] die unendliche Reihe \zeta[ ~ s ~ ] := \sum_{n = 1}^{\infty}\left[ ~ \frac{1}{n^s} ~ \right]
    > [… die für] Realteil \text{Re}[ ~ s ~ ] > 1 […] konvergiert [… und als Funktion von s …] komplex differenzierbar ist.

    Um untersuchen und entscheiden zu können, ob und für welche Werte s ein (gegebener) Ausdruck konvergiert (und, falls so, womöglich darüber hinaus auch komplex differenzierbar wäre), muss der betreffende Ausdruck hinreichend formal gegeben (und insofern auch “formal als Reihe definiert”) sein.

    > […] Der Punkt ist natürlich, dass \zeta[ ~ s ~ ] eben nur für \text{Re}[ ~ s ~ ] > 1 auf diese Weise definiert war,

    Hier bezieht sich die Charakterisierung als “definiert” offenbar auf die ausdrückliche Erfüllung der Forderung nach Konvergenz (alias “Wertigkeit”, die zur Bewertung von Differenzierbarkeit vorausgesetzt wird), bzw. sogar auf die ausdrückliche Erfüllung der Forderung nach komplex-Differenzierbarkeit.

    Wäre es richtig zu sagen, dass die Reihe \zeta[ ~ s ~ ] anhand ihrer o.g. formalen Definition eben nur für \text{Re}[ ~ s ~ ] > 1 als analytische Funktion von s unmittelbar definiert ist ?

    (Dann könnte es sich allerdings als vorteilhaft erweisen, “die formal überall definierte Reihe” auch symbolisch von der “daraus unmittelbar definierten analytischen Funktion auf entsprechend eingeschränktem Definitionsbereich” zu unterscheiden.)

    > Es ist ein allgemeines Prinzip, dass man eine auf einer offenen Teilmenge der Ebene definierte komplex-differenzierbare Funktion (unter gewissen Voraussetzungen) “analytisch fortsetzen” kann, so dass man eine auf der ganzen Ebene (mit Ausnahme einzelner isolierter Singularitäten) definierte komplex-differenzierbare Funktion erhält.

    (Und diese Fortsetzung ist offenbar eindeutig.)

    > Im Fall von \zeta[ ~ s ~ ] definiert diese analytische Fortsetzung

    … der formal gegebenen/definierten Reihe in den Bereich \text{Re}[ ~ s ~ ] &le 1 (mit Ausnahme einzelner isolierter Singularitäten) …

    > die sogenannte Riemannsche Zeta-Funktion […]

    (Es könnte sich allerdings als vorteilhaft erweisen, “die aus der formal überall gebenen Reihe unmittelbar definierte analytische Funktion auf entsprechend eingeschränktem Definitionsbereich” auch symbolisch von deren eindeutiger “analytischen Fortsetzung” zu unterscheiden.)

    > [Im Bereich \text{Re}[ ~ s ~ ] &le 1 hat] der Wert der analytischen Fortsetzung nichts mit dem (nicht existierenden) Wert der unendlichen Reihe zu tun.

    Dem stinknormalen Gleichheitszeichen, wie es u.a. im obigen ScienceBlog-Artikel in der Gleichung “- \frac{1}{12} = 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + \dots” sogar mehrfach auftritt,
    ist diese recht spezielle Bedeutung allerdings nur schwerlich zu entnehmen.
    (Es wurde bereits gelegentlich vorgeschlagen, stattdessen “- \frac{1}{12} \doteq 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + \dots” zu schreiben.)

    p.s.
    > \sum_{i = 1}^{\infty} […]

    Da das Zeichen i konventionell die imaginare Einheit symbolisiert, ist dessen Verwendung als Index nicht zu empfehlen. Man beachte z.B.

    \sum_{k = 1}^{\infty} \left[ ~ (-1)^k ~ \frac{1}{i} ~ \right] = i ~ \left( \sum_{k = 1}^{\infty} \left[ ~ (-1)^{(k + 1)} ~ \right] \right)

    und

    \sum_{k = 1}^{\infty} \left[ ~ (-1)^i ~ \frac{1}{k} ~ \right] = \frac{1}{e^{\pi}} ~ \left( \sum_{k = 1}^{\infty} \left[ ~ \frac{1}{k} ~ \right] \right).

  2. #2 Frank Wappler
    30. Oktober 2023

    Thilo schrieb (29. Oktober 2023):
    > […] die unendliche Reihe \zeta[ ~ s ~ ] := \sum_{n = 1}^{\infty}\left[ ~ \frac{1}{n^s} ~ \right]
    > [… die für] Realteil \text{Re}[ ~ s ~ ] > 1 […] konvergiert [… und als Funktion von s …] komplex differenzierbar ist.

    Um untersuchen und entscheiden zu können, ob und für welche Werte s ein (gegebener) Ausdruck konvergiert (und, falls so, womöglich darüber hinaus auch komplex differenzierbar wäre), muss der betreffende Ausdruck hinreichend formal gegeben (und insofern auch “formal als Reihe definiert”) sein.

    > […] Der Punkt ist natürlich, dass \zeta[ ~ s ~ ] eben nur für \text{Re}[ ~ s ~ ] > 1 auf diese Weise definiert war,

    Hier bezieht sich die Charakterisierung als “definiert” offenbar auf die ausdrückliche Erfüllung der Forderung nach Konvergenz (alias “Wertigkeit”, die zur Bewertung von Differenzierbarkeit vorausgesetzt wird), bzw. sogar auf die ausdrückliche Erfüllung der Forderung nach komplex-Differenzierbarkeit.

    Wäre es richtig zu sagen, dass die Reihe \zeta[ ~ s ~ ] anhand ihrer o.g. formalen Definition eben nur für \text{Re}[ ~ s ~ ] > 1 als analytische Funktion von s unmittelbar definiert ist ?

    (Dann könnte es sich allerdings als vorteilhaft erweisen, “die formal überall definierte Reihe” auch symbolisch von der “daraus unmittelbar definierten analytischen Funktion auf entsprechend eingeschränktem Definitionsbereich” zu unterscheiden.)

    > Es ist ein allgemeines Prinzip, dass man eine auf einer offenen Teilmenge der Ebene definierte komplex-differenzierbare Funktion (unter gewissen Voraussetzungen) “analytisch fortsetzen” kann, so dass man eine auf der ganzen Ebene (mit Ausnahme einzelner isolierter Singularitäten) definierte komplex-differenzierbare Funktion erhält.

    (Und diese Fortsetzung ist offenbar eindeutig.)

    > Im Fall von \zeta[ ~ s ~ ] definiert diese analytische Fortsetzung

    … der formal gegebenen/definierten Reihe in den Bereich \text{Re}[ ~ s ~ ] \le 1 (mit Ausnahme einzelner isolierter Singularitäten) …

    > die sogenannte Riemannsche Zeta-Funktion […]

    (Es könnte sich allerdings als vorteilhaft erweisen, “die aus der formal überall gebenen Reihe unmittelbar definierte analytische Funktion auf entsprechend eingeschränktem Definitionsbereich” auch symbolisch von deren eindeutiger “analytischen Fortsetzung” zu unterscheiden.)

    > [Im Bereich \text{Re}[ ~ s ~ ] \le 1 hat] der Wert der analytischen Fortsetzung nichts mit dem (nicht existierenden) Wert der unendlichen Reihe zu tun.

    Dem stinknormalen Gleichheitszeichen, wie es u.a. im obigen ScienceBlog-Artikel in der Gleichung “- \frac{1}{12} = 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + \dots” sogar mehrfach auftritt,
    ist diese recht spezielle Bedeutung allerdings nur schwerlich zu entnehmen.
    (Es wurde bereits gelegentlich vorgeschlagen, stattdessen “- \frac{1}{12} \doteq 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + \dots” zu schreiben.)

    p.s.
    > \sum_{i = 1}^{\infty} […]

    Da das Zeichen i konventionell die imaginare Einheit symbolisiert, ist dessen Verwendung als Index nicht zu empfehlen. Man beachte z.B.

    \sum_{k = 1}^{\infty} \left[ ~ (-1)^k ~ \frac{1}{i} ~ \right] = i ~ \left( \sum_{k = 1}^{\infty} \left[ ~ (-1)^{(k + 1)} ~ \right] \right)

    und

    \sum_{k = 1}^{\infty} \left[ ~ (-1)^i ~ \frac{1}{k} ~ \right] = \frac{1}{e^{\pi}} ~ \left( \sum_{k = 1}^{\infty} \left[ ~ \frac{1}{k} ~ \right] \right).

  3. #3 Frank Wappler
    30. Oktober 2023

    Frank Wappler schrieb (#2, 30. Oktober 2023):
    > […] (Es wurde bereits gelegentlich vorgeschlagen, stattdessen
    “- \frac{1}{12} \doteq 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + \dots” zu schreiben.)

    Eine weitere Korrektur:
    Der damalige Vorschlag war stattdessen:
    “- \frac{1}{12} \bumpeq 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + \dots”.

  4. #4 Jack
    3. November 2023

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