Zwei Komponenten trugen zu dieser ethnischen “Identifizierung” bei: Ein Longboat-Key-Nachbar namens Marvin P. hatte etwas später, um 8:50 Uhr (also fünf Minuten nachdem das erste Flugzeug ins World Trade Center gerast war – obwohl das zu diesem Zeitpunkt niemand hier wusste), zwei “nahöstlich aussehende Männer” entlang der Strecke beobachtet haben wollen, die Bushs Konvoi zur Emma Brooker Elementary School fuhr, und die aus einem Van heraus mit erhobenen Fäusten “Nieder mit Bush” riefen.

Und zum Zweiten hatte der Reporter gehört (Longboat Key ist eine relativ kleine Gemeinde), dass zwei arabisch aussehende Männer sich in einer nahe gelegene Wohnwagensiedlung namens Twin Shores einquartiert und für ein Jahr die Miete von 9600 Dollar im Voraus bezahlt hatten. Diese Männer waren am 11. September nirgendwo aufzufinden. Und damit war die Story, die am 27. September im Longboat Key Observer erschien, im Wesentlichen erst mal rund: Zwei arabisch aussehende Männer, vermutlich Al-Kaida, hatten unter dem Vorwand, ein Interview mit dem Präsidenten zu haben, Zugang zum Colony-Gelände zu erlangen versucht, vermutlich in der Absicht, ein Attentat auf George W. Bush zu verüben. Auf diese Story aufmerksam gemacht, wurde ich von FOCUS als Reporter nach Sarasota geschickt, um der Sache nachzugehen.

Bisher sind alles noch Fakten beziehungsweise primäre Zeugenberichte. Selbst die Geschichte mit den “Arabern”. Der Haken ist nur, dass es keine primäre Quelle gibt, die diese Araber-Komponente in irgend einer Form (außer einer zufälligen räumlichen und zeitlichen Konjunktion) mit dem Colony-Vorfall verbindet. Aber damit nicht genug: Hier würze ich die Sache nun mit meinen eigenen Zusatzbeobachtungen auf: Longboat Key ist etwa eine Dreiviertelstunde von Venice, Florida, entfernt – und in oder bei Venice hatten zwei der 9/11-Attentäter, Mohammed Atta und Marwan Alshehhi, monatelang gelebt, um Flugstunden zu nehmen. Was der Story den zusätzlichen Dreh hätte geben können, dass dieser “Anschlag” auf Bush ein Teil des 9/11-Komplotts war – und eigentlich der maßgebliche in dem Sinn, dass der Umstand, dass Bush an diesem Tag außerhalb seiner üblichen Sicherheitszone war, für das Timing (über das viel spekuliert wurde – 9-1-1- ist beispielsweise die amerikanische Notrufnummer) ausschlaggebend gewesen sein könnte. Aber zurück zur Story …

Die erste Recherche ergab erst mal ein ernüchterndes Resultat: Die vermeintlichen Araber (einer war tatsächlich Marokkaner) aus dem Twin-Shores-Trailerpark konnten mit der Sache nichts zu tun haben: Die Managerin der Wohnwagenanlage erklärte mir, dass die beiden erstens schon am 1. September zu einer Hochzeit nach Marokko abgereist waren, und zweitens seien sie inzwischen (es war Anfang Oktober) wieder zurück. Auch ansonsten war nicht viel Neues und Zusätzliches zu erfahren: Der Polizeichef John K. bestätigte zwar, dass der Zwischenfall mit dem Präsidentenkonvoi als solcher gemeldet wurde, aber das war’s auch schon.

Nicht ganz. Denn nun kommt die Komponente, die jede Verschwörungstheorie braucht, und um derentwillen ich die Sache überhaupt nur erwähnt hatte: die Vertuschung, oder – um im englischen Jargon zu beiben – der Cover-up. Denn die Auskunftskargheit des Polizeichefs lag nicht nur an mangelnden Informationen: Er sei, so erklärte er mir, von FBI und Secret Service angewiesen worden, sich nicht weiter zu äußern; die beiden Nachrichtendienste hätten auch die bezüglichen Akten an sich genommen. Auch der Vize-Feuerwehrhauptmann gab sich mir gegenüber zugeknöpft: Er stehe zwar zu dem, was er gehört habe, aber mehr wolle er nicht daüber reden, da ihm FBI und Secret Service ganz schön die Hölle heiß gemacht hätten. Auch die Twin-Shores-Managerin war “ergattert” “vergattert” worden – das FBI hatte den Mietvertrag und alle weiteren Unterlagen mitgenommen.

Also ermittelte der Secret Service und das FBI? Davon wollte der Pressesprecher des Secret Service, Mark Connolly, nichts gehört haben. Also habe auch niemand am Morgen des 11. September 2001 unter einem Vorwand versucht, Zugang zum Präsidenten zu erlangen? Wohl nicht, denn “generell muss jedes ungewöhnliche Zeichen von Interesse an einem unserer Schutzbefohlenen vom Secret Service weiter verfolgt werden – etwas anderes steht uns gar nicht frei”. Mit anderen Worten: Wenn so etwas vorgekommen wäre, dann hätte man den Kastenwagen gewiss nicht einfach weggeschickt – ergo ist es auch nicht passiert.

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Kommentare (14)

  1. #1 MartinS
    27. April 2011

    Sehr schöne, erschreckende Story und eine prima Darstellung, wie Gerüchte / VTs entstehen.
    Wieviele Journalisten und Chefredakteure würden aber für den Umsatz nicht so etwas auch schreiben?! Und sind es nicht meist journalistische Meldungen, die überhaupt erst die Bestandteile einer potentiellen VT unters Volk bringen?
    Das soll jetzt wirklich nicht persönlich gemeint sein, aber sind es nicht wirklich die unrecherchierten Meldungen, die den Samen legen?
    (Wobei Journalisten oft auch einfach nur den Quellen unabsichtlich blind vertrauen! Z Bsp bei den angeblich verschwundenen Brennstoffkugeln aus Jülich, bei der die Informationen ja immerhin aus einem Ministerium kam.)

  2. #2 cydonia
    27. April 2011

    Gutes Beispiel, gut geschrieben.
    Ich denke aber, dass eine echte, auf Hochglanz polierte VT noch einiges mehr zu bieten hätte. Das ist mir noch viel zu nüchtern, als sie Wirkung entfalten könnte….Ich überlege gerade, welches Element man einfügen könnte, damit sie wirklich zündet.

  3. #3 MartinS
    27. April 2011

    @cydonia

    Ich überlege gerade, welches Element man einfügen könnte, damit sie wirklich zündet.

    Hat Dich endlich ‘auch’ der dämonische VT-Virus erwischt? 🙂
    Jürgen hat doch das ‘missing link’ selbst angesprochen:

    Aber dieses ganz Szenario hängt von einem einzigen Faktor ab: Dass tatsächlich zwei Attentäter in dem Kastenwagen saßen.

    Im Zuge der Story bräuchte man nur die naheliegende Vermutung zu äußern, dass es Terroristen waren – et voilá!
    Die VT ist rund!
    Als Sahnehäubchen mag man noch hinzusetzen, dass die beiden vermutlich – wie damals bei Kennedy -vom CIA waren! Das untermauert doch schön?!

  4. #4 cydonia
    27. April 2011

    Die beiden waren…….und jetzt kommts…….Bush Senior und Donald Rumsfeld!
    Beide wollten Bush Junior über den Fortgang der Operation “Twin Towers” unterrichten. Man hat sie deswegen nicht reingelassen, weil es dann zu offensichtlich geworden wäre, wer 9/11 geplant hat. Die Gründe dafür sind eh klar.
    CIA und FBI haben dann dafür gesorgt, dass beide durch Schminke in Araber verwandelt wurden….und wer weiß, wer wirklich hinter Obamas Maske steckt……
    Nein Martin, das ist mir echt zu blöd, stelle ich gerade fest 🙂 Macht ihr mal……

  5. #5 MartinS
    27. April 2011

    @cydonia
    Ne,ne! Ich mache (fast) nicht mehr mit. Hin und wieder juckt es zwar in den Fingern, aber dann verschwinde ich meist schnell genug im ‘Affenkäfig’ 🙂
    Manche VTler sind aber auch zu putzig in ihrer Überzeugung und breiten dabei ihre Ignoranz so freigiebig aus, dass es schon fast schmerzt. Dann reizt es mich schon eine ‘Gegen-VT’ zu entwerfen, die noch etwas absurder ist.
    VT-Anhänger schlucken aber leider ALLES, was irgendwie für ihre Idee ‘zielführend’ ist, weil sie immer auf der Suche nach Gleichgesinnten und/oder neuer Nahrung für ihre fixe Idee sind. Cherry-picking ist dabei essentiell und die Idee an sich verselbstständigt sich zu einer kruden Form von Besessenheit. Man glaubt lieber an unsinniges Zeug als die Idee aufzugeben. Das Loch in der eigenen Überzeugung, wäre wahrscheinlich zu groß und der befürchtete Verlust an Selbstrespekt zu bedrohlich.
    Wer einmal in dem Teufelskreis steckt, kommt da alleine wahrscheinlich nicht heraus.

  6. #6 Jürgen Schönstein
    27. April 2011

    @MartinS

    Das soll jetzt wirklich nicht persönlich gemeint sein, aber sind es nicht wirklich die unrecherchierten Meldungen, die den Samen legen?

    Gewiss. Drum hatte ich ja, so gut es ging, recherchiert (womit man manchhmal auch feststellen kann, was man nicht sagen und schreiben kann, wenn man bei den Fakten bleiben will). Und als Resultat der Recherche ist die Story auch nie in FOCUS erschienen …

  7. #7 BreitSide
    27. April 2011

    Die gutste Twin-Shores-Managerin wurde hoffentlich “vergattert” und schon gar nicht “begattert”…

    (/Korinthenkack)

  8. #8 Marco S
    29. April 2011

    Und der will folgendes Szenario überhört haben…

    to overhear und überhören sind nicht das gleiche 🙂
    (eher genau das Gegenteil)

  9. #9 Jürgen Schönstein
    29. April 2011

    @Marco S
    Stimmt, da ist mir ein Amerikanismus durchgerutscht – gemeint ist “zufällig mit angehört”.

    @BreitSide
    Die gekackte Korinthe ist – mit Schlieren, damit noch jeder weiß worum’s ging – aufgewischt.

  10. #10 ChamplooMK2
    29. April 2011

    Um die Sache noch etwas Interessanter zu gestalten:

    Es gibt 3 Zeugenaussagen die Mohammed Atta und Marwan Alshehhi am 07.09.01 im hiesigen Holiday Inn Hotel & Suites gesehen haben möchten die sich dort mit einem dritten, augescheinlich Arabischstämmigen, Mann getroffen haben.

    Atta hatte seine Spendierhosen an und gab eine 20$-Note für eine 4$ Rechnung, der Rest war Trinkgeld.

    Sehr Mysteriös das ganze, hm.

    Hier mal ein Quelle dafür:

    https://classic-web.archive.org/web/20021209013255/https://www.longboatobserver.com/showarticle.asp?ai=2172

  11. #11 s.s.t.
    29. April 2011

    Eine ausführliche Schilderung wie sich eine VT entwickeln und verbreiten kann, findet sich hier:
    https://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/22620/aus_versehen_in_der_hoelle.html

    ‘Als die Sowjets die Hölle anbohrten und die Schreie der Verdammten hörten.’

  12. #12 Jürgen Schönstein
    29. April 2011

    @ChamplooMK2
    Da es sich um den gleichen Reporter handelt, könnte es auch einen “confirmation bias” in der Story geben. Will heißen: Überall in Amerika gibt es Leute, die Atta und Alshehhi vor oder manchmal auch nach den Anschlägen gesehen haben wollen. Ich sage nicht, dass der Bericht falsch ist, und möglich ist sowieso vieles. Aber dies Art von Augenzeugenbericht – “ich vergesse nie ein Gesicht” ist vermutlich einer der häufigsten Irrtümer, der vor gericht und anderswo begangen wird – beweist leider nichts. Und unter normalen Umständen hätte der Reporter die Sache vermutlich nicht mal aufgegriffen, wiel sie die Mindestschwelle für Fakten und Relevanz nicht erreicht hätte – aber so, und vor allem nach seiner eigenen “Enthüllung”, bekam die Sache eine Dynamik, unter der die Objektivität sehr schnell leiden muss.

  13. #13 BreitSide
    29. April 2011

    Jürgen Schönstein·
    29.04.11 · 19:10 Uhr

    @Marco S
    Stimmt, da ist mir ein Amerikanismus durchgerutscht – gemeint ist “zufällig mit angehört”.

    @BreitSide
    Die gekackte Korinthe ist – mit Schlieren, damit noch jeder weiß worum’s ging – aufgewischt.

    🙂 schreibe ich jetzt richtig “I overread this”?

    Find ich übrigens sehr sympathisch, wie viele (die meisten? Alle?) SBler solche Sachen sichtbar streichen und nicht einfach ausradieren, obwohl es Viele gar nicht merken würden.

  14. #14 Jürgen Schönstein
    29. April 2011

    @BreitSide
    Dafür gibt’s vermutlich gar keine Regeln. Ich selbst handhabe es so: Wenn ich beim Wiederlesen einen Tipp- der sonstigen Fehler bemerke, der anscheinend sonst noch niemandem aufgestoßen ist, dann ändere ich den “heimlich” – aber wenn ein(e) Leser(in) ihn bemerkt hat und dies kommentierend mitteilt, dann wird mit deutlicher Sichtbarkeit redigiert. Allein schon, weil sonst niemand mehr verstehen würde, was der kritische Kommentar sollte und die aufmerksamen Leser(innen) dann wie bescheuerte Nörgler dastehen würden.