Zu Hause im stillen Kämmerlein ein paar Kriminaltechnikbücher lesen und sich auszumalen, wie man nett ein paar DNA-Profile auswertet oder tatsächlich das erste Mal mit anderen Menschen über Schusskanäle und Spermiennachweise auf gesicherten Textilien zu fachsimpeln, während drei Räume weiter echte Leichen seziert werden, sind zwei völlig verschiedene Dinge. Jetzt war ich heiß! Vor meinem Praktikum besuchte ich noch den Spurenworkshop in Jena, weil ich wissen wollte, mit welcher Spezies ich es mit den forensischen Biologen so zu tun bekommen würde. Während meines Praktikums versuchte ich natürlich an Eindrücken mitzunehmen, was ging. Mit den gesammelten Erfahrungen und einem ersten (und anerkannten) forensischen Kontakt im Lebenslauf wurde ich in der Folge zumindest öfter zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. Letztlich gingen die Stellen aber doch immer an Kandidaten mit „mehr Erfahrung“. Dass ich während meiner Doktorarbeit STRs nicht nur angewandt, sondern Primer dafür selbst entwickelt hatte – noch dazu für einen Nicht-Modellorganismus – und durch meinen fachlichen Hintergrund Erfahrung in komplexen statistischen Modellen mitbrachte, interessierte leider nicht wirklich. Auch machen meiner Erfahrung aus diversen Gesprächen mit behördlichen Mitarbeitern nach formale Kriterien (Stichwort „Über-“ bzw. „Fehlqualifizierung“) den Einstieg über praktische Stellen als Technische Assistentin oder Sachbearbeiterin Spurensicherung für studierte und gar promovierte Wissenschaftler nahezu unmöglich.

Sich erst nach der Promotion für den Einstieg in die Forensik zu entscheiden und damit in einen Fachbereich, in dem man selbst und auch der Doktorvater unbekannt ist, fordert einiges an Geduld, Frustrationstoleranz und Einsatz. Mehrere Absagen pro Woche über einen Zeitraum von vielen Monaten hinweg muss man auch seelisch erstmal wegstecken. Ob sich das Ganze am Ende lohnt? Wir werden sehen.

Anna R., Dr. rer. nat., wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Labor für molekulargenetische Diagnostik

Anna hat in meinen Augen genau das gemacht, was man machen muß, um zumindest eine Chance zu haben, wenn man erst nach der Promotion zur forensischen Genetik kommen will. Sie hat sich ein (unbezahltes) Praktikum in einer entsprechenden Abteilung ergattert (,das sie nur bekommen hat, weil wir wußten, daß sie Laborarbeit und genetische Kenntnisse schon drauf hatte), war auf einem sehr wichtigen Kongress, hat genetzwerkt, Bewerbungen in der ganzen Republik verschickt an Rechtsmedizinen und KÄ. Nebenher arbeitet sie sich durch einschlägige Bücher und Paper und bleibt mit der Community in Kontakt. Sie besitzt also die von ihr selbst genannten Geduld, Frustrationstoleranz und Einsatzwillen und wir wünschen ihr sehr, daß sich das bald auszahlt und sie den Sprung ins Feld schafft!

“Zahlreiche Serien, Bücher und der Tatort ließen mich davon träumen forensische Genetikerin zu werden, weshalb ich bereits in der Oberstufe eine Facharbeit über die forensische Entomologie geschrieben habe. Damals wusste ich noch nicht, dass man hierfür Biologie studieren kann, weshalb ich zunächst traurig war, nicht den nötigen NC im Abitur für Medizin erreicht zu haben. Mittels Losverfahren startete ich schließlich im April 2008 mein Diplom-Studium der Biologie an der Universität Mainz und konnte mich glücklicherweise in meinem Hauptstudium u.a. auf die forensische Genetik/Rechtsmedizin spezialisieren. Ich habe dabei jede freie Minute genutzt, um Einblicke in die Forensik zu bekommen, weshalb ich meine Semesterferien damit verbracht habe, mehrwöchige Praktika an den rechtsmedizinischen Instituten Mainz, Frankfurt und Köln zu absolvieren. Meine Diplomarbeit durfte ich an der Rechtsmedizin Köln bei Prof. Schneider anfertigen, wo mir neben einem sehr spannenden Thema nochmals ganz neue Möglichkeiten geboten wurden. Ich wurde in die forensische DNA-Analytik eingearbeitet, durfte Obduktionen besuchen und merkte sehr schnell, dass genau das meine Leidenschaft war. Dieser Scienceblog, ich entdeckte ihn zufällig im Internet, verhalf mir u.a. dazu, in meiner forensisch genetischen Diplom-Prüfung die Note 1,0 zu erzielen ( :-), Anm. CC). Nach dem Studium im August 2014 arbeitete ich einige Monate als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Prof. Schneiders Labor an einem spannenden RNA-Projekt. Leider gab es für mich im Anschluss nicht die Möglichkeit, meine Promotion anzufertigen, weshalb ich mich ab April 2015 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Labor Dr. Wisplinghoff mit onkologischen Fragestellungen und der Pränataldiagnostik beschäftigte. Im Januar 2017 bekam ich schließlich die Möglichkeit, meine Doktorarbeit bei der Labcon-OWL GmbH (Bad Salzuflen) in Kooperation mit der Rechtsmedizin Ulm anzufertigen und gleichzeitig als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abstammungsanalytik zu arbeiten. Zu meinen aktuellen Forschungsschwerpunkten gehören neben der forensisch-molekularen Identitäts- und Körperflüssigkeitsbestimmung mittels Next-Generation Sequencing derzeit auch die SARS-CoV-2-Diagnostik. Heute, einige Jahre später, leite ich bereits eigenverantwortlich die forensische Genetik der Labcon-OWL und bekleide darüber hinaus die Position der stellvertretenden Abteilungsleiterin unserer Routinediagnostik mit mehr als 60 Mitarbeiter*innen. Damals hätte ich mir nie vorstellen können, meinem Ziel so nahe zu kommen, aber ich habe mir mehr als bewiesen, dass es sich lohnt an seine Träume zu glauben.”

flattr this!

1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6 / 7 / 8

Kommentare (6)

  1. #1 H. Auwärter
    08/08/2021

    Hammer! Vielen Dank an Sie alle, dass Sie Ihre Geschichte aufgeschrieben haben und viel Glück an die, die noch nicht angekommen sind!

  2. #2 Dr. Webbaer
    08/08/2021

    Ischt sicherlich “Hardcore”, naturwissenschaftliche Anwendung meinend, auch nicht immer appetitlich, Dr. Webbaer mag auch Einschätzungen wie gleich ganz oben beigebracht : ‘Die Arbeit ist zutiefst sinnerfüllt, weil er keinen diffusen, sondern sehr konkreten und hohen Anliegen wie beispielsweise der Aufklärung von Straftaten oder der Identifizierung von Verstorbenen dient.’
    Allen viel Erfolg!

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  3. #3 Aspirant
    09/08/2021

    von mir auch großes Dankeschön.
    Ganz schwer, über diesen Beruf was zu finden, hier an der Uni weiss kaum einer was und ein Praktikum zu bekommen ist ziemlich schwer.
    Hat auf jeden Fall geholfen, mir ein Bild zu machen und über Möglichkeiten nachzudenken!

  4. #4 Aspirant
    09/08/2021

    P.S.: grüsse gehen raus an den Olli – voll sympathischer Kerl 🙂

  5. #5 Cornelius Courts
    11/08/2021

    Es gibt noch einen Nachtrag: ich habe noch die Geschichte von Eva, meiner ersten Doktorandin, eingefügt. Danke Eva, für’s Teilen!

  6. #6 Gasterosteus
    12/08/2021

    Yey, den Beitrag von Eva hatte ich schon vermisst.
    Schön, die vielen Beiträge zu lesen.