Inzwischen bin ich als Wissenschaftler angestellt, aber eine Stelle gibt es auch nach über 10 Jahren immer noch nicht. So ist es leider wie in vielen Bereichen der Naturwissenschaften, dass man sich von Befristung zu Befristung hangelt und dabei meist auch mehreren Töpfen bezahlt wird. Wer einen festen Job mit guter Bezahlung und festen Arbeitszeiten sucht, ist hier eher fehl am Platz.

Andererseits hat man eine extrem spannende, abwechslungsreiche Tätigkeit mit hoher Verantwortung. Es ergeben sich immer wieder Ansätze aus den Fällen und Fragestellungen durch die Polizei oder Staatsanwaltschaft, etwas zu erforschen. Neben der Arbeit im Labor kommt man auch mal in den Sektionssaal, fährt an Tatorte und geht als Sachverständiger zu Gericht. Langeweile kommt garantiert nicht auf. Man sollte allerdings ein wenig leichenfest sein.

Im Gegensatz zu meiner Arbeit in der klassischen Anthropologie hat meine Arbeit konkrete Auswirkungen. Wenn man den Ermittlungsbehörden wichtige Hinweise liefern kann oder einer Familie Gewissheit und die sterblichen Überreste eines Verwandten, ja, selbst wenn es “nur” um eine simple Vaterschaft geht, ist es schon ein tolles Gefühl, wenn man helfen konnte.”

Oliver K., Dipl.-Biol., wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für forensische Genetik am Institut für Rechtsmedizin des UKE Hamburg

Olli hat über Genetik, Humangenetik und Anthropologie an der Uni sein Interesse geformt, Kenntnisse gesammelt und wurde so “empfänglich” für die Rechtsmedizin bzw. die Aufgaben der forensischen Genetik dort. Er war nach nach der Uni nach kurzem Abstecher in die Wirtschaft dann so entschlossen, dort als forensischer Genetiker zu arbeiten, daß er viele Entbehrungen auf sich genommen hat (keine bis schlechte Bezahlung, prekäre Verträge etc.) und gleichzeitig sich selber unentbehrlich gemacht hat, so daß er unbeirrt jetzt schon mehr als 10 Jahre im Job ist. Immerhin konnte er im Institut in seiner Heimat bzw. zumindest im Norden unterkommen. (Wenn Ihr ihn mal trefft: quetscht ihn aus, er hat viele sehr spannende Geschichten auf Lager :))

„Wie man forensischer Genetiker wird“. Tja, wenn ich das wüsste. Seit mehreren Jahren versuche ich in dieses spannende Fachgebiet zu wechseln. Ende offen! Daher kann ich hier eigentlich nur berichten, wie man es offenbar NICHT anstellen sollte. Oder ist mein Weg am Ende vielleicht gar nicht so verkehrt?

Nach der Schule studierte ich Biologie und promovierte im Anschluss an mein Diplom im Bereich Evolutionsbiologie. Momentan baue ich unbefristet und in Vollzeit in einem medizinischen Labor als wissenschaftliche Leitung die molekulargenetische Diagnostik im Bereich Blutkrebs mit auf und kümmere ich mich um die Coronasequenzierung mittels Next Generation Sequencing.

Gegen Ende meiner Promotionszeit entwickelte sich in mir der Wunsch, in eine angewandte und den Menschen direkt nutzbringende Richtung umzuschwenken. Als ich bei meinen Recherchen auf die Forensische Genetik stieß, hatte ich das Gefühl „Das ist es!“. Abgesehen von einer Toxikologievorlesung waren mir forensische Themen an der Uni nie begegnet. Ich fand Figuren wie „Abby“ aus NCIS oder Quincy zwar schon immer sympathisch, hätte mir diese Thematik aber nie als Möglichkeit einer realen beruflichen Zukunft zugestanden. Schließlich soll man ja „etwas Vernünftiges“ lernen – nicht, was der gemeine Fernsehzuschauer gerade in amerikanischen Serien cool findet. In meiner Bewerbungsphase fing ich an, zusätzlich zu den ausgeschriebenen Stellen, nach und nach Initiativbewerbungen durch die ganze Republik bis einschließlich Innsbruck, Rotterdam und Den Haag zu schicken (RM, LKÄ, private Labore). Meine persönliche Liste der forensischen Labore wuchs parallel zum Stapel der Absagen. Immerhin – ein Gutachter an einer Rechtsmedizin (und zufällig Autor dieses Blogs ;-)) stellte mir in seiner Absage die Möglichkeit eines Praktikums in Aussicht. Yeahy, ein unbezahltes Praktikum als frische Frau Dr., die endlich mit ihrem angesammelten Wissen Geld verdienen will… Letztlich nahm ich ein paar Monate später doch etwas kleinlaut meinen Mut zusammen und den Hörer in die Hand. Kurz darauf wurde ein Kennenlerntermin vereinbart und DER war dann gewissermaßen die Initialzündung.

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Kommentare (6)

  1. #1 H. Auwärter
    08/08/2021

    Hammer! Vielen Dank an Sie alle, dass Sie Ihre Geschichte aufgeschrieben haben und viel Glück an die, die noch nicht angekommen sind!

  2. #2 Dr. Webbaer
    08/08/2021

    Ischt sicherlich “Hardcore”, naturwissenschaftliche Anwendung meinend, auch nicht immer appetitlich, Dr. Webbaer mag auch Einschätzungen wie gleich ganz oben beigebracht : ‘Die Arbeit ist zutiefst sinnerfüllt, weil er keinen diffusen, sondern sehr konkreten und hohen Anliegen wie beispielsweise der Aufklärung von Straftaten oder der Identifizierung von Verstorbenen dient.’
    Allen viel Erfolg!

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  3. #3 Aspirant
    09/08/2021

    von mir auch großes Dankeschön.
    Ganz schwer, über diesen Beruf was zu finden, hier an der Uni weiss kaum einer was und ein Praktikum zu bekommen ist ziemlich schwer.
    Hat auf jeden Fall geholfen, mir ein Bild zu machen und über Möglichkeiten nachzudenken!

  4. #4 Aspirant
    09/08/2021

    P.S.: grüsse gehen raus an den Olli – voll sympathischer Kerl 🙂

  5. #5 Cornelius Courts
    11/08/2021

    Es gibt noch einen Nachtrag: ich habe noch die Geschichte von Eva, meiner ersten Doktorandin, eingefügt. Danke Eva, für’s Teilen!

  6. #6 Gasterosteus
    12/08/2021

    Yey, den Beitrag von Eva hatte ich schon vermisst.
    Schön, die vielen Beiträge zu lesen.