Im ersten Teil habe ich meine eigenen Überlegungen, Erfahrungen und Empfehlungen zur Optimierung der Chancen, als forensischer Genetiker in Deutschland zu arbeiten, aufgeschrieben. Da ich erstens aus besagten Gründen nicht repräsentativ bin und zweitens nur n = 1 Person, habe ich mal ein bißchen herumgefragt und netterweise haben ein paar Kolleginnen und Kollegen von mir, aber auch Quereinsteiger und Interessierte, die ich kenne, ihren Werdegang für mich aufgeschrieben. Danke allen, die hierzu beigetragen haben!

Im Folgenden nun also die Berichte, in denen ich jeweils Punkte (Studienfächer, Stationen, Entscheidungen und Entwicklungen), die ich für wichtig für den Weg der jeweiligen Person halte, markiert habe. Ich fand sie allesamt schön und anschaulich geschrieben und habe sie daher unverändert hier übernommen. Am Ende habe ich lediglich jeweils einen kurzen, abschließenden Kommentar angefügt.

“Qua CV und Qualifikation bin ich als bald promovierter Biochemiker im Bereich der Forschung zu viraler Gentherapie zuhause. Im Laufe meines Grundstudiums habe ich mich (zu stark) von meinen Modulverlaufsplänen leiten lassen. So hangelte ich mich von den sich im Biochemischen Institut anbietenden, geradezu aufdrängenden Bachelor- und Masterarbeiten von Krebsforschung über Autoimmunerkrankungen bis hin zu eben meiner Promotion im Bereich viraler Gentherapie im kardialen Kontext.

Mich hat im Laufe meiner zugegebenermaßen bisher jungen Forschungskarriere zunehmend frustriert, dass der klassische Forschungsalltag viel zu sehr davon geprägt ist, dass man auf Teufel komm raus Kausalitäten sucht, wo höchstens Korrelationen vorliegen. Dass man sich und seine Daten zu häufig gnadenlos aufbauschen muss, um Vor- und Anträge erfolgreich zu gestalten. Und dass man höchst selten Kapitel genüsslich zuklappen kann – schließlich eröffnet eine mühsam erkämpfte Antwort meist mindestens drei neue Fragestellungen.

Meine molekularbiologischen Kenntnisse und Fähigkeiten wollte und will ich dennoch nicht über die berufliche Bordplanke werfen und so stieß ich endlich auf die forensische Genetik, die genau den wissenschaftlichen Rahmen bietet, den ich mir persönlich wünsche. In diesem Bereich herrscht die oberste Priorität, äußerst exakt mit seinen Ergebnissen und Befunden umzugehen – nötigenfalls natürlich auch negativ. Die Arbeit ist zutiefst sinnerfüllt, weil er keinen diffusen, sondern sehr konkreten und hohen Anliegen wie beispielsweise der Aufklärung von Straftaten oder der Identifizierung von Verstorbenen dient. Und schließlich bietet die Forensik mit seinem akkreditierten Charakter ein Arbeitsumfeld mit klaren Strukturen und einem hohen Anspruch an Transparenz.

Ich mache mir keine großen Illusionen darüber, dass mir all dies sehr wahrscheinlich zu spät aufgefallen ist, um mich beruflich gegen einschlägig ausgebildete und erfahrene Leute in diesem großartigen, aber recht nieschigen Feld behaupten zu können. Und so bereue ich ziemlich, das Pferd während meines Studiums nicht von hinten aufgezäumt zu haben: überlegen, wo man LANDEN will und sich dafür dann gezielt qualifizieren.

Christopher B., M.Sc., Doktorand der Biochemie an der Uni Kiel

Christopher ist die forensische Genetik bzw. seine eigene Faszination dafür vergleichsweise spät in seiner akademischen Ausbildung aufgefallen. Seine Einschätzung, daß es seine Chancen nicht verbessert, später in diesem Feld arbeiten zu können, wenn man erst gegen Ende der Doktorarbeitszeit in einem ganz anderen Feld Kontakt mit der Forensischen Genetik aufnimmt, ist wohl leider nicht unzutreffend. Was Leuten wie Christopher dann fehlt, ist die forensische Erfahrung, nicht die genetischen Kenntnisse oder Fähigkeiten im Labor. Um zu beginnen, erstere zu sammeln, hat Christopher seine Promotionsarbeit kurz pausiert und ein wissenschaftliches Praktikum mit eigenem kleinen Projekt an unserem Institut absolviert (daher seine Einblicke, die er oben schildert). Wenn er sich entscheidet, nach Abschluß seines Dr. weiterhin zu versuchen, in unserem Feld Arbeit zu finden (und damit meine ich Arbeit auf einem Niveau, wo man Promovierte einstellen würde), wird es trotzdem wahrscheinlich nicht einfach für ihn werden. Aber hey, unmöglich ist nichts, s. yours truly 😉

“Nach einer früh entdeckten Begeisterung für Naturwissenschaften im Allgemeinen und Biologie und Chemie im Besonderen habe ich mich für ein Studium der Biochemie und Molekularbiologie an der CAU Kiel entschieden. Nach den ersten Jahren und einer Bachelorarbeit im Bereich der Grundlagenforschung wurde mir klar, dass mich vor allem die Anwendung naturwisschenschaftlicher Prinzipien auf Fragestellungen aus dem „alltäglichen Leben“ begeisterte und ich begann mich nach Forschungsfeldern mit hohem Anwendungsbezug umzusehen. Das Feld der forensischen Molekularbiologie, welches auf Basis humangenetischer und molekularbiologischer Methoden einen objektiven Beitrag zur Beantwortung kriminalistischer Fragestellungen leistet, hat mich schnell besonders fasziniert.
So wählte ich im Master verschiedene, für die forensische Molekularbiologie relevante Studienmodule (wie etwa Humangenetik oder Biostatistik) und jobbte nebenher als HiWi in einem Labor für ancientDNA-Analysen. Weiterhin wollte ich gerne eine Masterarbeit im Institut für Rechtsmedizin des UKSH schreiben, da ich wusste, dass die dortige Abteilung für forensische Genetik spannende Forschungsfelder wie Molekulare Ballistik und Forensische RNA-Analyse bearbeitet. Nach mehrfachen Interessensbekundungen und einigem Hin und Her auf Grund der geringen verfügbaren finanziellen Mittel erhielt ich schließlich die Möglichkeit, meine Masterarbeit in der forensischen Molekularbiologie zu dem spannenden und hochaktuellen Thema des DNA-Transfers zu schreiben. Neben der Forschungsarbeit konnte ich spannende Einblicke in die Fallarbeit und weitere forensisch-genetische Forschungsfelder erhalten. Insgesamt zog sich meine Masterarbeit dadurch zwar ein gutes Stück über die Regelstudienzeit hinaus, ich habe dabei jedoch viele wertvolle Erfahrungen sammeln können.
Die Arbeit machte mir extrem viel Spaß und ich wollte gerne alles daran setzen, weiter auf dem Feld arbeiten zu können. In diesem Bestreben wurde ich zwar tatkräftig von meinem Abteilungsleiter unterstützt, Forschungsförderungsanträge für meine Promotionsstelle wurden jedoch zunächst allesamt abgelehnt (die forensische Molekularbiologie „konkurriert“ bei Förderungsgeldern mit Projekten aus der Medizin, zum Beispiel auch der Tumor- oder Entzündungsforschung, denen häufig eine höhere Relevanz und somit mehr Forschungsgelder zugeschrieben werden). Zum Glück durfte ich in dieser Zeit der Antragsstellung und Warterei auf die Antragsbearbeitung (durchschnittlich weit mehr als 6 Monate) weiter als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forensischen Genetik arbeiten und an einem zwar nicht Promotions-geeigneten, aber dennoch sehr interessanten Projekt zur forensischen DNA-Phänotypisierung mitwirken. In dieser Zeit ist dann schließlich – über zwei Jahre nach Einreichung des ersten Antrags zur Forschungsförderung – ein Forschungsprojekt durch die DFG bewilligt worden, sodass ich nun seit Mai 2021 an dem sehr spannenden Thema der forensischen Tageszeitpunktsbestimmung (ein weiterer Aspekt der Spurenkontextualisierung, der durch die forensische RNA-Analyse ermöglicht werden könnte), forschen darf (Promotionsprojekt).”

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Kommentare (6)

  1. #1 H. Auwärter
    08/08/2021

    Hammer! Vielen Dank an Sie alle, dass Sie Ihre Geschichte aufgeschrieben haben und viel Glück an die, die noch nicht angekommen sind!

  2. #2 Dr. Webbaer
    08/08/2021

    Ischt sicherlich “Hardcore”, naturwissenschaftliche Anwendung meinend, auch nicht immer appetitlich, Dr. Webbaer mag auch Einschätzungen wie gleich ganz oben beigebracht : ‘Die Arbeit ist zutiefst sinnerfüllt, weil er keinen diffusen, sondern sehr konkreten und hohen Anliegen wie beispielsweise der Aufklärung von Straftaten oder der Identifizierung von Verstorbenen dient.’
    Allen viel Erfolg!

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  3. #3 Aspirant
    09/08/2021

    von mir auch großes Dankeschön.
    Ganz schwer, über diesen Beruf was zu finden, hier an der Uni weiss kaum einer was und ein Praktikum zu bekommen ist ziemlich schwer.
    Hat auf jeden Fall geholfen, mir ein Bild zu machen und über Möglichkeiten nachzudenken!

  4. #4 Aspirant
    09/08/2021

    P.S.: grüsse gehen raus an den Olli – voll sympathischer Kerl 🙂

  5. #5 Cornelius Courts
    11/08/2021

    Es gibt noch einen Nachtrag: ich habe noch die Geschichte von Eva, meiner ersten Doktorandin, eingefügt. Danke Eva, für’s Teilen!

  6. #6 Gasterosteus
    12/08/2021

    Yey, den Beitrag von Eva hatte ich schon vermisst.
    Schön, die vielen Beiträge zu lesen.