“Begrenzte Wissenschaft” berichtete am Sonntag über eine Studie, laut der es das “Geek”-Image der Mathematiker sein soll, was Frauen und Farbige vom Mathe-Studium abhalten würde. Die amerikanische Firma Thinkgeek dagegen macht gute Gewinne mit ebendiesem Image.

Ich hatte ohnehin vorgehabt, im Sommerloch einen Artikel über Thinkgeek zu schreiben. Zusätzliche Aktualität bekommt das jetzt durch den Artikel “Nicht die Mathematik erscheint pervers, sondern die Situation, in der sie entsteht” auf “Begrenzte Wissenschaft”, aus dem ich in meinem Blogbeitrag vom Montag schon die lustigeren Stellen zitiert hatte.

Im ernsteren Teil des BW-Artikels ging es um den e!science-BerichtMath Plus ‘Geeky’ Images Equals Deterred Students” über eine Studie von Heather Mendick et al. (Die Projektleiterin Heather Mendick ist Mathematik-Lehrerin, die nach 7-jähriger Berufserfahrung an die Universität zurückkehrte, um M.A. und Ph.D. in Gender Studies zu absolvieren. Seit 2005 arbeitet sie am IPSE. Hier das Video eines Konferenzvortrags. Koautoren der Studie sind die Doktorandin M.-P. Moreau und der Soziologie-Professor D.Epstein. Die Studie stammt aus einem mit 87546.29 britischen Pfund geförderten Projekt, dessen Webseite man hier findet.)

Aus dem e!science-Bericht:
Images of maths ‘geeks’ stop people from studying mathematics or using it in later life, shows research funded by the Economic and Social Research Council. Many students and undergraduates seem to think of mathematicians as old, white, middle-class men who are obsessed with their subject, lack social skills and have no personal life outside maths. The student’s views of maths itself included narrow and inaccurate images that are often limited to numbers and basic arithmetic.
[…]
The notion of mathematicians as geeks was common both among those who identified with the subject and those who did not. Images of mathematicians Albert Einstein and John Nash were labelled as not normal, lacking social skills and being obsessive towards mathematics. But those students who chose to continue studying mathematics for A-level or at university were more likely to regard this obsession as indicating skill, commitment or devotion than madness. Some mathematics undergraduates – more particularly males – gave positive value to geek status, even though several went to considerable lengths to claim their own normality.” (Das sind wohlgemerkt Zitate aus der Presse-Veröffentlichung, nicht aus der Studie.)

Kamenins Ansichten dazu kann man auf Begrenzte Wissenschaft nachlesen.

Bisher hatte ich ja immer geglaubt, es sei nur eine Obsession der Mathematiker, daß das Image ihres Faches so verbesserungsbedürftig sei. Aber jetzt zeigen das schon sozialwissenschaftliche Studien.

So habe ich mir dann doch einmal den Report im Original angeschaut.

Der Report beginnt beginnt mit einer in der 1.Person geschriebenen Anekdote über einen Mathe-Studenten, der sich π auf das Handgelenk tätowieren ließ. Die Ich-Erzählerin der Anekdote (eine Sozialwissenschaftsstudentin) meint dazu verständnislos, sie wäre ja begeisterte Marxistin, aber sie würde sich niemals Marx tätowieren lassen.

Im weiteren wird dann ausführlich die Methodik der Studie erklärt. Der Schwerpunkt liegt offenkundig darauf, wie Mathematik in der Populärkultur von Schülern und Studenten wahrgenommen wird. Die Ergebnisse sind die, die jeder erwarten würde und sicher auch in anderen Studien schon untersucht wurden: das Bild der Mathematik in der Populärkultur vermittelt oft Klischees (das trifft wohl auch auf jedes andere Gebiet zu), das Verhältnis zur Mathematik ist “gendered, classed and raced”, etc. Nach den Gründen, Mathematik (nicht) zu studieren, wird in den Fragebögen (die man hier herunterladen kann) nicht gefragt, ebenso wenig wie in den Focus groups und Einzelgesprächen. (Trotzdem kommen zu diesem Punkt Prozentzahlen im Report vor, welche wiederum die behaupteten Thesen aber eindeutig widerlegen und nicht bestätigen.)

Natürlich soll das hier keine Pauschalkritik an Gender Studies in der Mathematik werden. Dafür kenne ich das Gebiet zu wenig. Aber ich sehe nicht, wie die in den Presseerklärungen und dem Vorwort des Reports verbreitete Hauptthese (daß Frauen und Farbige vom Mathematik-Studium fernbleiben, weil Mathematiker “Geeks” sind und Mathe-Studenten sich π tätowieren lassen) von den Befunden gedeckt wird, d.h. aus welchen der gestellten Fragen sich das überhaupt hätte ergeben sollen. Die einzigen Fragen, die in diese Richtung gehen, behandeln das Bild der Mathematik in der Populärkultur. Und da sagen ganze 4.3% der Schüler, daß das schlechte Bild der Mathematik in der Populärkultur ihre Studienwahl beeinflussen würde (gegenüber ‘career plans’-70.3%, ‘being good at it’-57.9%, ‘enjoying it’-44.4%). Auch aus den Ergebnissen der Focus Groups wird klar, daß die Schüler Darstellungen von Wissenschaftlern etwa in Filmen nicht sehr ernst nehmen. Kurz: die Studie und selbst der Inhalt des Reports sagen etwas ganz anderes als die Presseerklärungen.

Sicher ist es in manchen (isolierten) Gebieten der Geisteswissenschaften nichts ungewöhnliches, zwecks besserer medialer Vermarktung harmlose Studien mit absurden Schlußfolgerungen aufzupeppen. Aber von einer langjährigen Mathe-Lehrerin hätte man eigentlich etwas mehr Wissenschaftlichkeit erwarten können.

Gut, wie auch immer, hier also mein schon vor einiger Zeit fürs Sommerloch vorbereiteter Artikel über Thinkgeek.

Thinkgeek ist ein in Virginia ansässiges e-Kommerz-Unternehmen, deren Produkte sich speziell an Computerfreaks richten. (Zum Beispiel verkaufen sie T-Shirts mit eingebautem WLAN-Detektor.)
Die Firmenseite hat einen Blog, auf dem zufriedene Kunden Fotos einstellen können, und von dem die folgenden Fotos stammen.

Zum Beispiel gibt es, ganz im Sinne politischer Korrektheit, T-Shirts für fast jede einigermaßen originelle Minderheiten-Position.

Wer zum Beispiel Einstein besser findet als Che Guevara, kann sich ein “Viva la Relativity”-T-shirt zulegen:
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Und wer seinen Gegenübern seine Überlegenheit auch durch die Kleidung ausdrücken will, kann dies mit der (lautmalerisch zu lesenden) Ungleichung i > u tun:
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Und wer Sprüche tragen will, deren Pointe nur von Mathematikern (und vielleicht noch Physikern) verstanden wird, kauft das T-Shirt “2+2=5 for extremely large values of 2”:
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Man findet natürlich auch noch jede Menge technischer Geräte oder Gegenstände für den Haushalt, z.B. das Periodensystem als Kühlschrank-Magneten:

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Und dann gibts auch noch Geschenke für Leute, die man nicht leiden kann.
Die gesamte umfangreiche Produktpalette findet man auf der Webseite des Unternehmens.

(Disclaimer: ich stehe mit der Firma “Thinkgeek” in keinem Zusammenhang, habe dort weder einen PR- noch Berater-Vertrag.
Der Vollständigkeit halber möchte ich auch noch erwähnen, daß man bei Bestellungen aus Deutschland mit hohen Zollgebühren rechnen muß.)

Kommentare (2)

  1. #1 Ludmila
    31. Juli 2008

    Nun geben die Studenten an, dass sie der Darstellung von Wissenschaftlern in Filmen wenig Bedeutung zumessen. Bewusst wissen die natürlich auch, dass das nicht stimmen kann. Aber dieses verflixte Unterbewustsein. Wenn man keine vernünftige Gegenquelle hat, auf Grund dessen man sich ein besseres Bild machen kann, bleibt eigentlich nur noch der Rückgriff auf die Zerrbilder der Medien. Alleine weil mehr Leute Kinofilme sehen als eine Doku.

    Schon haben wir den Salat.

  2. #2 Thilo Kuessner
    1. August 2008

    @ Ludmila: Das ist natürlich gut möglich, daß da unterbewußt etwas hängenbleibt. Wobei dann die wissenschaftliche Herausforderung darin bestanden hätte, einen Fragenkatalog zu entwickeln, mit dem man auch solche Einflüsse bestimmen kann.
    Es wäre ja auch in Ordnung gewesen, wenn die Autoren in den Presse-Mitteilungen die Ergebnisse ihrer Studie vorgestellt und dazu geschrieben hätten, sie würden aus diesen oder jenen Gründen trotzdem an ihre Thesen glauben.
    Aber ich finde es schon unwissenschaftlich, in den Presse-Mitteilungen etwas ganz anderes zu schreiben als im Report. Zumal die in der Presse-Mitteilung diskutierten Themen im Fragebogen nicht vorkamen und in den Gesprächsprotokollen nur eine Nebenrolle spielen.
    Gut, das war jetzt nicht wirklich der Punkt Deines Kommentars. Wollt ich aber trotzdem nochmal sagen.
    Ob es tatsächlich Leute gibt, die (bewußt oder unterbewußt) vom Mathe-Studium fernbleiben, weil sie Russell Crowe so schrecklich fanden, wäre natürlich wirklich mal eine interessante Frage.