Faserungen und Katastrophen

In TvF 113 hatten wir mal darüber geschrieben, daß man das Komplement der Kleeblattschlinge in Kreise zerlegen (“durch Kreise fasern”) kann:

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Copyright 2010 Jos Leys

Andererseits kann man das Komplement der Kleeblattschlinge auch in Flächen zerlegen (“durch Flächen fasern”).

Das Bild unten zeigt eine Seifert-Fläche der Kleeblattschlinge (TvF 118):

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Man kann sich vielleicht vorstellen, daß man die Seifertfläche einmal um den Knoten drehen kann, so daß der gesamte Raum (ich meine: das Komplement der Kleeblattschlinge) durch diese Flächen ausgefüllt wird.
Topologisch formuliert: Das Komplement der Kleeblattschlinge ist ein Faserbündel über dem Kreis mit den Seifertflächen als Fasern.

Eine Veranschaulichung bietet der Clip von Jos Leys (auf das Bild klicken, um die Animation zu starten):

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Mit solchen Vorstellungen muß man natürlich vorsichtig sein – es gibt viele Seifertflächen von Knoten, für die das nicht funktioniert, wo das Knotenkomplement kein Faserbündel über dem Kreis ist.

Im Fall der Kleeblattschlinge funktioniert es aber und man kann explizite Formeln für die Seifertflächen angeben. (Dahinter steckt ein allgemeines Prinzip aus der Singularitätentheorie.)

In TvF 110 hatten wir gesagt, daß man die 3-Sphäre durch die Gleichung IzI2+IwI2=1 (mit komplexen Zahlen w,z) beschreibt. Die Kleeblattschlinge erhält man in dieser Beschreibung zum Beispiel durch die Formel z2+w3=0. (In TvF 110 hatten wir eine andere Formel, die aber denselben Knoten beschreibt.)
Im Komplement hat man dann also die Ungleichung z2+w3

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0.

Die sogenannte Milnor-Abbildung
φ(z,w) = (z2 + w3) / |z2+w3|
ist auf dem Komplement der Kleeblattschlinge definiert (der Nenner ist nicht Null).
φ(z,w) ist offensichtlich ein Einheitsvektor, die Milnorabbildung ist also eine Abbildung vom Komplement der Kleeblattschlinge auf den Einheitskreis.
Man kann zeigen, daß die Milnor-Abbildung ein Faserbündel ist und daß die “Fasern” (die Urbilder der einzelnen Punkte auf dem Einheitskreis) gerade Seifertflächen der Kleeblattschlinge sind.

Die Fasern sind “gepunktete Tori”, d.i. ein Torus, aus dem eine Kreisscheibe ausgeschnitten wurde wie im Bild rechts. (Im Bild der Seifertfläche oben erkennt man das vielleicht nicht auf Anhieb.)
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Der allgemeinere Hintergrund hinter diesem expliziten Beispiel eines gefaserten Knotenkomplements sind Milnors Arbeiten zur Singularitätentheorie (von komplexen Funktionen).
Singularitätentheorie (eigentlich die von reellen Funktionen) wurde in den 70er Jahren unter dem Namen “Katastrophentheorie” populär, u.a. durch Arbeiten von Whitney, Thom und dem letzte Woche verstorbenen V.I.Arnold. Dazu noch nächste Woche.


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