Zariski war damals Professor in Baltimore, verbrachte aber unmittelbar nach dem Krieg ein Jahr in Sao Paulo, wo er eine Vorlesung mit André Weil als einzigem Zuhörer hielt und mit diesem den „richtigen“ Zugang zur algebraischen Geometrie diskutierte. Weil war durch seine Arbeit zur Riemann-Vermutung für Funktionenkörper zu der Überzeugung gelangt, dass man eine algebraische Geometrie über beliebigen kommutativen Ringen entwickeln sollte. Insbesondere benötigte er eine Schnittheorie auf der Jacobi-Varietät einer Kurve und dafür eine Verallgemeinerung von Severis Korrespondenzenmethode über beliebigen Grundkörpern. Wie ihm immer mehr bewußt wurde, benötigten große Teile der italienischen Geometrie eine Schnittheorie, wofür er in den 40er Jahren die Grundlagen der algebraischen Geometrie neu entwickeln mußte. Daraus entstand sein Buch “Grundlagen der algebraischen Geometrie”. Das Buch entwickelte die algebraische Geometrie über beliebigen Körpern, definierte Divisoren, Zykel und deren Schnittzahlen, sowie abstrakte Varietäten (mit der Zariski-Topologie) durch Verkleben affiner Stücke. Letzteres benötigte er, weil er die Jacobi-Varietät nicht als projektive Varietät definieren konnte und deshalb einen allgemeineren Begriff von Varietäten benötigte, der natürlich einen Bruch mit dem bisherigen Verständnis algebraischer Geometrie darstellte. Mit diesen Grundlagen vollendete er zwei Jahre später den Beweis des Satzes über die Nullstellen der Zetafunktion für Funktionenkörper von Kurven über endlichen Körpern. Der Beweis verwendete nicht die von Hasse vorgeschlagene Normbildung, sondern Weils Spurbildung, die zu dem Schnittprodukt auf dem Korrespondenzenring der Kurve führt.
Derweil hatte Chevalley eine Schnitttheorie für algebraische Mannigfaltigkeiten entwickelt und viele aus der Theorie analytischer Funktionen stammende Methoden arithmetisiert. Weil hoffte, dass durch Chevalleys Ideen zur Fortsetzung von Spezialisierungen die letzten Spuren der Eliminationstheorie aus der algebraischen Geometrie eliminiert werden könnten.
Zwei Jahre nach dem Krieg wurde Weil nach Chicago berufen, Zariski wechselte später von Baltimore nach Harvard. Während Princeton Zentrum der Topologie war, wurde Harvard mit Zariski zum Zentrum der algebraischen Geometrie. In seinem Vortrag auf dem ICM 1950 in Massachusetts stellte er klar, dass das Ziel der neuen Grundlagen nicht sei, die Arbeiten der Vorväter zu widerlegen, sondern im Gegenteil sie zu bestätigen. Die italienischen Geometer hätten auf etwas wackligem Boden das wunderbare Gebäude der Theorie algebraischer Flächen errichtet und es sei das Ziel der modernen algebraischen Geometrie, dieses Gebäude weiter zu stärken, zu erhalten und zu verschönern. Tatsächlich gab es aber durchaus auch ernsthafte Probleme mit den Arbeiten der italienischen Schule. Bei Castelnuovo waren die Standards noch die in der Mathematik üblichen, bei Enriques informellere Argumente wie das “Stetigkeitsprinzip” (wenn etwas bis zum Grenzwert richtig ist, dann auch im Grenzwert) akzeptabel geworden – seine Intuition war so gut, dass die bewiesenen Resultate trotzdem korrekt waren. Unter Severis Führerschaft waren die Standards weiter gesunken und nun waren manche Resultate nicht nur unzureichend bewiesen, sondern völlig falsch. So hatte er behauptet, dass der Raum rationaler Äquivalenzklassen von Zykeln auf einer algebraischen Fläche endlichdimensional sei, oder dass eine Fläche vom Grad 6 in CP3 höchstens 52 Doppelpunkte habe (wozu Barth fünfzig Jahre später ein Gegenbeispiel einer Sextik mit 65 Doppelpunkten fand). Er akzeptierte nicht, dass seine Argumente nicht ausreichten, was zu langwierigen Disputen führte. Inzwischen wußte niemand mehr, was eigentlich korrekt war und was nicht, die intuitive Schule der algebraischen Geometrie kollabierte.
In den 50er Jahren stellte dann Grothendieck die algebraische Geometrie auf eine neue Grundlage. Sowohl Weil als Zariski waren sich unsicher gewesen, wie man die Punkte einer Varietät über einem nicht algebraisch abgeschlossenen Körper definieren sollte: sind sie Maximalideale in den Koordinatenringen oder aber Lösungen der definierenden Gleichungen im algebraischen Abschluß? Und man brauchte auch van der Waerdens Konzept generischer Punkte. Diese Konfusion verschwand durch Grothendiecks radikalen Schnitt: in einem Schema hat er als Punkte die Primideale (statt nur der Maximalideale) im Koordinatenring, aber andererseits hat er die Morphismen S—>X eines anderen Schemas S als die S-wertigen Punkte. (Das gibt die traditionellen Punkte, wenn S das Spektrum des algebraischen Abschlusses des Körpers ist.) Auf diese Weise definiert er einen Punktfunktor, der jedem Schema S die S-wertigen Punkte X(S) zuordnet.
Beispielsweise würde man gerne SL(2,R) als die Menge der reellen Punkte von SL(2,C) definieren. SL(2,C) ist eine algebraische Varietät, definiert durch die Gleichung ad-bc-1=0. Die Maximalideale im Spektrum des Rings C[a,b,c,d]/(ad-bc-1) sind tatsächlich die, die von Matrizen aus SL(2,C) erzeugt werden. Für R[a,b,c,d]/(ad-bc-1) gibt es hingegen auch Maximalideale, die Paaren komplex konjugierter Matrizen entsprechen – so wie R[x] das Maximalideal (x2+1) hat, das in C[x] im Maximalideal (x-i,x+i) enthalten wäre. Deshalb kann man SL(2,R) nicht einfach als die abgeschlossenen Punkte im Spektrum dieses Ringes definieren.
Der Ausweg ist, den Ring Z[a,b,c,d]/(ad-bc-1) zu betrachten, und zwar als sogenanntes Schema – ein Raum, der lokal (in diesem Fall auch global) isomorph zum Spektrum eines Ringes ist, versehen mit der Garbe lokaler Ringe – und dann die K-wertigen Punkte mit den Homomorphismen von K in den Ring zu betrachten. Im Beispiel sind dann die Cwertigen Punkte die Matrizen aus SL(2,C), die R-wertigen Punkte die Matrizen aus SL(2,R), die Fq-wertigen Punkten die Matrizen aus SL(2,Fq) und die Z-wertigen Punkte die Matrizen aus SL(2,Z).
Mit Grothendiecks Ansatz definierte jeder kommutative, unitale Ring A ein affines Schema Spec(A). Man brauchte sich nicht wie bisher immer auf eine Kategorie “guter” Ringe (Integritätsringe, oder Noethersche Ringe, oder Ringe ohne nilpotente Elemente) beschränken. Dafür haben Punkte bei Grothendieck keine geometrische Bedeutung und die Strukturgarbe ist keine Funktionengarbe. Die Konstruktion eines Schemas beginnt nicht mit der Konstruktion seiner Punkte. Und man benötigt immer die relative Theorie. Das Symbol “f:X—>S” war in Grothendiecks Arbeiten omnipräsent (und gab für S=Spec(k) den Fall klassischer Varietäten) und zu jedem Basiswechsel S’—>S hat man ein gefasertes Produkt.
Eine algebraische Varietät war jetzt nicht mehr nur die Menge ihrer Punkte (algebraisch: der Maximalideale), sondern vielmehr die Menge ihrer irreduziblen Untervarietäten (algebraisch: der Primideale). (Und man hatte jetzt nilpotente Elemente wie zum Beispiel das Ideal (x) in Z[x]/(x2).) Statt der Punkte und Funktionen sind es die Strukturgarbe und die Morphismen, durch die die Kategorie der Schemata funktioniert. Die Strukturgarbe ist insofern ungewöhnlich, dass ihr Wertebereich von Punkt zu Punkt variiert. Beispielsweise definiert x3/(x2-1) auf der Varietät C eine reguläre Funktion auf der offenen Menge U=C-{-1,1}, deren Wert in 3 die Zahl 27/8 gibt. Auf dem Schema A1=Spec C[x] definiert dieser Ausdruck auch ein Element in O(U) über der entsprechenden offenen Menge U=A1-V((x2-1)), indem man ihn für jeden Punkt p als Element des lokalen Rings Op(U) betrachtet. An dem dem Maximalideal (x-3) entsprechenden Punkt p ist sein Wert x3/(x2-1). Dessen Bild im Quotientenkörper k(p)=C ist wieder 27/8.
Kommentare (4)