Der heilige Gral der algebraischen Geometrie waren lange Zeit die Weil-Vermutungen. Mit ihnen soll sich die Berechnung der Anzahl von Lösungen einer polynomiellen Gleichung über endlichen Körpern zurückführen lassen auf das (einfachere) topologische Problem der Bestimmung der Betti-Zahlen der algebraischen Varietät, die durch dasselbe Polynom über den komplexen Zahlen definiert wird.
Für eine Varietät über Fq lassen sich die Anzahlen Nm der Punkte über Fqm in der Zetafunktion organisieren und diese Zetafunktion zerlegt sich als Produkt
von Polynomen Pi bzw. ihren Inversen. Die Weil-Vermutungen besagen, dass diese Zetafunktion analoge Eigenschaften wie die Riemannsche Zetafunktion hat, insbesondere die Nullstellen der Polynome auf jeweils einer kritischen Geraden liegen, und dass der Grad des Polynoms Pi die i-te Bettizahl der entsprechenden Varietät über C ist. Diese Vermutung hatte Weil 1949 in einem Artikel „Numbers of solutions of equations in finite fields“ im Bulletin of the American Mathematical Society aufgestellt, wo er sie (aufbauend auf Ehresmanns Berechnung der Betti-Zahlen von Graßmann-Mannigfaltigkeiten) für die Graßmann-Varietäten überprüfte.
Weil wies in seinem Artikel darauf hin, dass man für einen Beweis seiner Vermutung Analoga topologischer Invarianten für Varietäten über Körpern der Charakteristik p benötigen würde. Man könnte die Weil-Vermutungen beweisen, wenn sich manche Eigenschaften der Kohomologie von Kähler-Mannigfaltigkeiten (zu denen die singularitäten-freien komplexen projektiven Varietäten gehören) auf projektive Varietäten über endlichen Körpern übertragen ließen. Insbesondere benötigt man auf solchen Varietäten eine Kohomologietheorie, für die die Lefschetzsche Fixpunktformel gilt.
Für die meisten auf algebraischen Varietäten definierten Kohomologietheorien gilt die Lefschetzsche Fixpunktformel nicht. Jean-Pierre Serre hatte mehr als Weil selbst daran geglaubt, dass man solch eine Kohomologietheorie schaffen könne und er hatte Grothendieck auf dieses Projekt angesetzt. Bei der Suche nach einer passenden Kohomologietheorie war Grothendieck letztlich auf die etale Kohomologie gestoßen, deren Grundlagen er dann mit Michael Artin entwickelt hatte.
Das Problem bei der Konstruktion einer solchen Kohomologietheorie für algebraische Varietäten war dass die Zariski-Topologie (in der die abgeschlossenen Mengen die Untervarietäten sind) sehr viel gröber war als (im komplexen Fall) die klassische Topologie. Serre hatte gezeigt, dass für kohärente Garben die Kohomologie im komplexen Fall mit beiden Topologien dieselbe ist. Aber für konstante Garben hat die Garbenkohomologie bezüglich Zariski-Topologie kein gutes Verhalten.
Im eindimensionalen Fall wußte man, dass die Kohomologie einer Kurve aus der Fundamentalgruppe und damit aus den Überlagerungen der Kurve rekonstruiert werden kann. Grothendiecks Idee war nun gewesen, das Problem der zu wenigen offenen Mengen der Zariski-Topologie dadurch zu umgehen, dass er etale Abbildungen betrachtet, was im wesentlichen offene Teilmengen unverzweigter Überlagerungen sind. Hier kann man die Garbentheorie übertragen und kann insbesondere Garbenkohomologie mit Koeffizienten in Z/nZ betrachten. (Die Rolle der Durchschnittsbildung offener Mengen wird vom Faserprodukt etaler Abbildungen übernommen.) Michael Artin bewies, dass man über den komplexen Zahlen dieselben Kohomologiegruppen mit Torsionskoeffizienten bekommt wie mit der klassischen Topologie.
Wunderbarerweise hatte man in der etalen Kohomologie denselben Formalismus – aber mit völlig anderen Beweisen – der sechs Operationen, den Grothendieck schon in der Kohomologie kohärenter Garben beobachtet hatte. Die sechs Operationen sind Funktoren zwischen derivierten Kategorien von Garben: einige von ihnen sind auf den die Kohomologie definierenden Kettenkomplexen von Garben nicht eindeutig definiert, aber auf den derivierten Komplexen, d.h. auf der Kohomologie. Es handelt sich um zwei Funktoren des direkten Bildes und zwei Funktoren des inversen Bildes, die jeweils dual zueinander sind (in einem Fall ist der adjungierte Funktor erst auf der derivierten Kategorie definiert, was aus Verdier-Dualität – einer Verallgemeinerung der Poincaré-Dualität – folgt), außerdem das derivierte Tensorprodukt und der interne Hom-Funktor. Die sechs Operationen haben eine Reihe von formalen Beziehungen, mit denen man dann Analoga zu aus der Topologie bekannten Sätzen beweisen kann. Auf diese Weise erhält man für die Kohomologie kohärenter Garben den Dualitätssatz von Serre und für die etale Kohomologie bewiesen Verdier und dann auch Grothendieck neben dem Dualitätssatz auch eine Fixpunktformel analog zu der von Lefschetz in singulärer Homologie.
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