Grothendiecks Vision der algebraischen Geometrie war eine Weiterentwicklung der algebraischen Geometrie von Varietäten über Schemata und Topose letztlich zu Motiven. Schemata sind eine effiziente Art, sowohl Systeme von Gleichungen als auch ihre Lösungen zu kodieren und gleichzeitig die verschiedenen Transformationen, denen die betreffenden Gleichungen unterworfen sein könnten. Wenn man sich im Rahmen von Schemata mit einer algebraischen Varietät befasst, ist dies nicht mehr nur die Menge ihrer Punkte, sondern vielmehr die Menge ihrer irreduziblen Subvarietäten. Die Topose sind Geometrie ohne Punkte. In einer weitgehenden Verallgemeinerung der mehrwertigen Funktionen des 19. Jahrhunderts ersetzt man dort den Verband der offenen Mengen eines Raums durch die Kategorie der etalen Mengen.
Begrifflich spricht man von einem Situs, wenn man eine Kategorie hat und für jedes Objekt U eine Familie von Abbildungen mit Bild in U, so dass für diese Familien Eigenschaften analog zu den Eigenschaften offener Überdeckungen von offenen Teilmengen U eines topologischen Raums X (mit den Inklusionen von Überdeckungen als Abbildungen nach U) gelten. Ein Topos ist eine Kategorie von Mengengarben über einem Situs. (Ein Topos ist also eine abstrakt definierte Kategorie, die ohne notwendig von einem topologischen Raum zu stammen alle schönen Eigenschaften der Kategorie der Garben über einem Raum hat.)
Zur Definition des etalen Topos verwendet man die Kategorie der Schemata etal über einem gegebenen Schema X. (Für X=Spec(k) ist der etale Topos eine Variante des klassifizierenden Raums der absoluten Galois-Gruppe , die etale Kohomologie ist die Gruppenkohomologie.) Die etale Kohomologie ist die Kohomologie des etalen Topos und die später von Grothendieck definierte kristalline Kohomologie die Kohomologie des kristallinen Topos.
Im Nachhinein war die etale Topologie eine natürliche Möglichkeit, denn sie war feiner als die klassische Topologie und gröber als die Zariski-Topologie. Aber damals war das keine naheliegende Idee, schon allein weil es sich nicht um eine Topologie im üblichen Sinn handelt. Die Idee, dass man in einem solchen Kontext von Abbildungen Garbentheorie machen könne, war neu. Man bekommt so nur mit Torsionskoeffizienten eine vernünftige Theorie. Für die Anwendung des Fixpunktsatzes braucht man freilich Kohomologie mit Nicht-Torsionskoeffizienten und die bekommt man erst als inverses Limit der Etalkohomologie mit Z/lnZ-Koeffizienten, die sogenannte l-adische Kohomologie.
Vor allem die Zahlentheoretiker erkannten den Schlüssel zur wahren Räumlichkeit der Schemata durch die Etaltopologie.
Beispielsweise für einen Ganzheitsring o im Zahlkörper K erhält man die offenen Mengen von X=Spec(o) wie folgt. Sei L/K eine endliche Erweiterung, O der Ganzheitsring in L, Y=Spec(O). Die Inklusion o–>O gibt eine Abbildung f:Y–>X indem jedes Primideal mit o geschnitten wird. Nimmt man aus Y eine endliche Punktmenge S heraus, die alle über o verzweigten Primideale P von O enthält, so erhält man mit U=Y-S, genauer mit der Abbildung f:U–>X eine typische offene Menge der Etaltopologie. Alle anderen sind disjunkte Vereinigungen von solchen.
Mit dieser Topologie hat Spec(o) die Dimension 3 und beispielsweise Spec(Z[t]) die Dimension 2 oder Spec(Z/pZ) die Dimension 1. Der kohomologische Formalismus bestätigt in jeder Hinsicht, dass dies die richtige Heuristik ist.
Etwas später bewies Michael Artin dann mit Jean-Louis Verdier einen Dualitätssatz, aus dem man den zahlentheoretischen Reziprozitätssatz seines Vaters Emil Artin bekommen konnte und der einen gruppenkohomologischen Dualitätssatz von John Tate, einem früheren Doktoranden Emil Artins verallgemeinerte. Dieser Dualitätssatz stützte insbesondere die Anschauung, dass Spec(Z) ein 3-dimensionaler Raum sei.
Grothendieck bewies eine Reihe von Sätzen, insbesondere einen Satz über Basiswechsel (für eine eigentliche Abbildung ist die Kohomologie einer Faser das Limit der Kohomologie der Pullbacks zu etalen Umgebungen), durch den man für die Kohomologie von Varietäten Induktionsbeweise über die Dimension mittels Faserungen führen kann. Er definierte L-Reihen für die Kohomologie konstruierbarer Garben und konnte mit dem Basiswechselsatz und dem Dualitätssatz deren Rationalität beweisen. (Damit bekam er einen anderen Beweis für die schon 1959 von Dwork bewiesene Rationalität der Zetafunktion, die erste der vier Weil-Vermutungen.) Mit diesen Methoden bewies er zwei weitere der Weil-Vermutungen, nämlich die Funktionalgleichung der Zetafunktion und den Zusammenhang mit den Betti-Zahlen der zugehörigen Varietät über C. (Falls X eine gute Reduktion mod p einer nicht-singulären komplex projektiven Varietät ist, ist der Grad des Polynoms Pi die i-te Betti-Zahl von Y.) Offen blieb zunächst das Analogon der Riemann-Vermutung, also dass die Nullstellen von Pk(q-s) auf der Geraden mit Realteil k/2 liegen.
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