Ich mag keine Religionen. Gar keine. Keine metaphysisch orientierten wie Christentum und Islam und keine politischen wie Faschismus und Kommunismus. Deswegen beobachte ich seit einiger Zeit mit Sorge den Aufstieg einer neuen Religion, die man mit Maajid Nawaz als die „regressive Linke“ bezeichnen könnte, und ihren Einsatztruppen den „social justice warriors“ (dt. Soziale-Gerechtigkeits-Krieger).
[Anmerkung/Einschub am 22.10.2024: heute würde man diese Leute/Bewegung eher als “woke Linke” und “critical social justice”-Aktivismus bezeichnen]
Die Positionen der regressiven Linken (ReLi; war so nicht auch die Abkürzung für Religion zu Schulzeiten?) sind grundsätzlich im linken politischen Spektrum zu verorten und viele davon sind grundsätzlich gut und richtig, etwa soziale Gerechtigkeit, Gleichstellung von Frauen und homosexuellen Lebensgemeinschaften und der Kampf gegen Rassismus. Das Problem entsteht, wie bei allen Religionen, wenn bei der Verfechtung eigentlich guter und vernünftiger Werte bestimmte Personengruppen bevorzugt, irrationale Argumente verwendet und jegliche Kritik von außen grundsätzlich als Anmaßung, Geisteskrankheit oder untrügliches Zeichen von Extremismus, Rassismus, Sexismus und sonstiger, bei Bedarf auch gern neu zu erfindender Ismen deklariert werden. Auf diese Weise wird das Gedankengebäude jeder Religion und so auch dieser zu einer hermetisch abgedichteten Echokammer, in der nur die eigenen Ansichten bestehen können und immer lauter werden.
Die ReLi ist dabei, wie die meisten Religionen, ein überaus merkwürdiges und zutiefst widersprüchliches Phänomen: extrem selbstgerecht jedoch voll antiwestlichen Selbsthasses nimmt sie moralische Überlegenheit für sich in Anspruch und verteidigt doch höchst unmoralisches Verhalten, sie behauptet, Rassismus zu bekämpfen und bemüht sich doch um Sonderrechte für bestimmte Personengruppen auf ethnischer oder religiöser Grundlage, sie weist Minderheiten eine Opferrolle zu, um jemanden zu haben, den sie beschützen kann, wendet sich dann aber gegen Minderheiten innerhalb dieser Minderheiten, sie genießt alle Früchte und Annehmlichkeiten des Kapitalismus und zelebriert gleichzeitig ihre Verachtung dafür (auf Twitter, mit einem iPhone), sie bezeichnet alle ihre Gegner als Rassisten, Sexisten oder Faschisten und bewundert zugleich Leute wie Che Guevara, einen rassistischen, homophoben Faschisten.
Nach dem Einzug von Identitätspolitik und dem Konzept der Intersektionalität beurteilt die ReLi Menschen nun aufgrund ihrer Hautfarbe und wägt ab, wie sehr diese Menschen unterdrückt wurden. Weiße sind privilegiert und müssen irgendwie für die Taten ihrer Vorfahren vor hunderten Jahren zur Verantwortung gezogen werden, während Schwarze, selbst wenn sie Millionäre sind, „nichts als ihre Ketten zu verlieren“ haben. Und genau das ist regressiv: das liberale Prinzip freiheitlich-demokratischer Gesellschaften anzugreifen, nach dem man einander als gleich(wertig) auffasst, unabhängig von Dingen wie Rasse, Geschlecht usf. und genau diese Angriffe kommen nun ausgerechnet von ganz links. Man könnte auch sagen, die ReLi ist soweit links, daß ihre Positionen denen der Rechten ähneln (dreimal links abbiegen und man geht nach rechts).
„Regressiv“ ist die ReLi auch deshalb, weil sie illiberale Taktiken einsetzt, um diejenigen zum Schweigen zu bringen, die liberale Prinzipien wie Kunst- und Meinungsfreiheit verteidigen. Unliebsame Äußerungen werden von der ReLi dann unter dem Banner der „politischen Korrektheit“ bekämpft und dabei durchaus eine Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung nicht nur in Kauf genommen sondern tatsächlich gefordert, aus Angst, Minderheiten zu beleidigen. Dies birgt die Gefahr der Zensur durch Minderheiten, wenn diese entscheiden wollen/dürfen, was als Beleidigung oder Angriff oder auch nur als „Mikroaggression“ gilt. Denn alles und jeder ist irgendwann für irgendwen eine potentielle Beleidigung oder Kränkung und inzwischen gibt es eine ganze Kultur (vor allem im Internet aber auch an bestimmten Unis) der ewig Beleidigten und Gekränkten. Es ist soweit gekommen, daß jemand an etwas, was man gesagt hat, Anstoß nimmt, nicht weil er/sie selbst dadurch beleidigt wurde, sondern weil das Gesagte vielleicht beleidigend oder kränkend für eine andere Person oder Gruppe sein könnte. Die Blüten, die das an einigen Universitäten in den USA bereits getrieben hat, sind wahrhaftig grotesk, aber auch die Opferbeschuldigung im Zusammenhang mit den Attentaten gegen Charlie Hebdo ist ein Ausfluß dieser Geisteshaltung.
Progressive sind egalitär und streben ein gerechtes System der Rassengleichheit an, Regressive sehen hingegen nur das Schlechteste im Menschen und statt allem, das jemand sagt, ersteinmal mit einer wohlwollenden Hermeneutik zu begegnen, verwenden sie es als Knüppel mit einem hyperempfindlichen Auslöser um ihn oder sie niederzuschlagen.
Dabei ist die ReLi auf dem islamischen Auge blind: viele ReLi-Anhänger sind selbst Atheisten oder Agnostiker und doch ist die Kritik am Islam, die ohne Grund und irrationalerweise aber berechnend mit Rassismus gleichgesetzt wird, in diesen Kreisen ein unantastbares Tabu, ganz egal wie schlimm, provokant oder verbrecherisch etwas ist, das ein Moslem gesagt oder getan hat. Bizarrerweise wird die Unkritisierbarkeit des Islam, die dieser ja auch gerne für sich selbst einfordert, dabei den anderen Werten, z.B. Frauenrechten, einfach übergeordnet: während also in den Industrienationen (berechtigterweise) Frauenquoten in Unternehmensvorständen und weniger sexistische Videospiele gefordert werden, ignoriert man unter dem Deckmantel des Kulturrelativismus das millionenfache Elend unterdrückter Frauen in islamischen Ländern („ist halt deren Kultur, wer sind wir, daran Kritik zu üben?“). Doch nicht nur dort: in England wird z.B. kaum gegen islamisch motivierte weibliche Genitalverstümmelung vorgegangen und wurde jahrelang angesichts des unfassbaren Unrechts von Rotherham weggesehen, weil eine strafrechtliche Verfolgung und die Feststellung, daß die Täter jeweils Moslems sind/waren, ja als rassistisch aufgefaßt werden könnte.
Der Grund für diese obszöne Duldungsstarre, für diese Toleranz der Intoleranz ist natürlich nicht die (inhaltliche) Befürwortung der islamischen Religion, sondern ein vorauseilend gehorsames und fehlgeleitetes Wiedergutmachungsbestreben gegenüber Menschen aus Regionen, die vornehmlich islamisch sind, geboren aus unangebrachter, wohlfeiler stellvertretender Schuldübernahme („white guilt“) für historisches Unrecht wie etwa den Kolonialismus oder die Sklaverei. Der Preis dafür ist nicht nur moralischer Relativismus sondern auch ein ‚sanfter Rassismus der gesenkten Erwartungen‘ (Quelle) gegenüber Moslems.
Ironischerweise wird die ReLi dadurch immer wieder zur Bettgenossin der extremen Rechten, z.B. in der Ablehnung Israels und den üblichen antisemitischen Reflexen, auch das ein Kennzeichen von zwei großen monotheistischen Religionen. Ob das im Falle der ReLi von Karl Marx‘ Verachtung der Juden oder einem davon unabhängigen Antisemitismus herrührt sei dahin gestellt, doch Israel verkörpert alles, wodurch sich die ReLi legitimiert sieht: moslemische Opfer, westliche Einmischung, die Geschichte des Imperialismus und eine jüdische Verschwörung. Der Israel-Palästina-Konflikt ist daher auch ein Hauptinteresse der ReLi, da er so wunderbar dafür taugt, all ihre Vorurteile zu bestätigen, all ihre Prophezeihungen zu erfüllen und ihre Selbstgerechtigkeit zu nähren. Natürlich nicht, weil sich die ReLi um Menschenleben scheren würde, es gibt schließlich zahllose andere Konflikte und Tragödien auf der Welt, die viel schlimmer sind, sowohl den Maßstab als auch den historischen Hintergrund betreffend. Es geht der ReLi dabei auch nicht um die Leben von Moslems, denn von den seit 1948 getöteten Moslems entfallen gerade einmal 0,3 % auf den Konflikt mit Israel (allein in Pakistan wurden seit 1971 über 3 Mio. Moslems ermordet), sondern der Hass auf und die politische Opposition gegen Israel stellt lediglich den einzigen legitimen Weg für sie dar, ihren Antisemitismus unter dem Deckmantel des Anti-Zionismus auszudrücken.
Aber die ReLi hilft der Rechten auch auf eine andere, indirekte Weise: indem sie bestimmte nicht extremistische politische Positionen, wie etwa Kritik am Islam oder Bedenken gegenüber einer unregulierten Zuwanderung, so tabuisiert und stigmatisiert, daß sie nur noch von der ebenso stigmatisierten extremen Rechten vertreten werden können, treibt sie Bürger und Wähler, die diese Position vertreten und politisch repräsentiert sehen wollen, in die Arme solcher Parteien wie der AfD oder noch braunerer Gesellen (Deutschland) bzw. solcher Kanaillen wie Donald Trump (USA).
Die Mittel, die die ReLi zur Erreichung ihrer Ziele einsetzt, sind dabei sehr häufig überaus unlauter, auch das ein Kennzeichen von Religionen. Sie arbeitet nicht nur mit der Unterdrückung von Meinungen (s.o.) und Ad-Hominem-Angriffen auf ihre Gegner, da werden etwa moslemische Islamkritiker als „keine echten Moslems“ bezeichnet, weil sie nicht zum Narrativ der Moslems als homogener, unterdrückter Gruppe passen und kreischende Proteste gegen Auftritte von Frauen wie Ayaan Hirsi Ali organisiert. Die ReLi schreckt auch vor Quotemining, bewußten Falschdarstellungen, und selbst glatten Lügen nicht zurück, weil es wichtiger ist, daß eine Behauptung zum aufwendig konstruierten Bild eines verhassten Widersachers passt, als daß sie stimmt, weil also für sie die Wahrheit weniger wichtig ist, als „den Krieg zu gewinnen“. Ganz Religion eben.
Erste Anzeichen für das Aufkeimen der ReLi auch in Deutschland gibt es längst, daher ist es wichtig, darauf aufmerksam zu machen und sich jetzt und auch in Zukunft nicht von diesen Leuten, ihrer Propaganda und ihren Kampfbegriffen (Rassismus, „Islamophobie“ etc.) einschüchtern, zum Schweigen bringen oder in irgendwelche Ecken drängen zu lassen und trotzdem und gerade jetzt für Toleranz, Freiheit, Humanismus und gleiche Rechte für jeden Menschen einzustehen.
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Nachtrag am 22.10.2024: mehr als acht Jahre ist es her, daß ich diesen Text schrieb, der, bei aller Bescheidenheit, nicht nur gut gealtert ist, sondern sich in seiner “wehret den Anfängen”-Haltung aber auch der Kritik des woke-linken Antisemitismus und den Vorahnungen zu Trump und der AfD als durchaus prophetisch erwiesen hat; ich hätte mir damals aber nicht träumen lassen, wie schlimm es wirklich kommen würde und daß wir 2024 in einer veritablen Clown-Welt leben.
Was sich geändert hat, ist allerdings die Bezeichnung: der Begriff “regressive Linke” hat zusammen mit seinem Begründer M. Nawaz an Bedeutung verloren und “woke” hat sich durchgesetzt. Im Text oben kann man daher gedanklich ohne Bedeutungsverlust überall “regressive Linke” und “ReLi” durch “woke Linke” ersetzen. Mich selbst hat dieses Thema bisher (leider) auch nicht losgelassen und unter dem “woke”-Tag folgten seitdem noch einige andere Texte dazu (und werden es in der Zukunft, solange dieser Irrsinn noch wütet, wohl noch eine Weile müssen).
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