Eine der wichtigsten Aufgaben in der angewandten Mathematik ist es, Anfangswertprobleme gewöhnlicher Differentialgleichungen y’=f(x,y), y(x0)=y0, deren Lösung sich nicht in geschlossener Form angeben läßt, auf numerischem Wege angenähert zu lösen.

Das einfachste und naheliegendste Verfahren war schon von Euler im 18. Jahrhundert verwendet worden: man wählt eine Diskretisierungs-Schrittweite h und berechnet dann für die Werte xk=x0+kh schrittweise yk+1=yk+hf(xk,yk).

Das war dann zunächst (u.a. von Adams und Bashforth) zu sogenannten s-stufigen Mehrschrittverfahren verallgemeinert worden, bei denen zur Berechnung von yk+1 nicht nur yk, sondern auch die s vorhergehenden yi verwendet werden.

Eine andere Art von s-stufigen Mehrschrittverfahren entwickelte Carl Runge an der TH Hannover seit 1895. In seinem Ansatz berechnet man yk+1=yk+h(b1z1+…+bszs). Dabei sind die bi die (zu wählenden) Koeffizienten des Verfahrens und die zi entsprechen den Funktionswerten an gewissen Zwischenstellen, die natürlich, da sie nicht bekannt sind, erst näherungsweise berechnet werden müssen.

Mit Runges Ansatz hat man viele mögliche Verfahren. Als klassisches Runge-Kutta-Verfahren wird heute der Spezialfall bezeichnet, den Wilhelm Kutta in seiner Doktorarbeit “Beiträge zur näherungsweisen Integration totaler Differentialgleichungen“ 1900 an der TH München untersuchte. (Veröffentlicht unter fast demselben Titel – nur mit „Beitrag“ statt „Beiträge“ – 1901 in der „Zeitschrift für Mathematik und Physik“.) In Kuttas Ansatz ist s=4 und b1=1/6, b2=1/3, b3=1/3, b4=1/6. Diskretisierungsfehler werden bis zur dritten Ableitung kompensiert, was für Runge-Kutta-Verfahren bestmöglich ist.

Kutta arbeitete nach seiner Dissertation vor allem über Aerodynamik. Dagegen hatte Runge in Berlin 1880 über Differentialgeometrie promoviert und seit 1886 in Hannover an der Verbindung der Mathematik zu ihren Anwendungen gearbeitet, war dort aber mit seinen spektralanalytischen Forschungen aus Physik, Astronomie und Geodäsie recht isoliert geblieben.
Felix Klein setzte sich seit den 90er Jahren bei Industriellen für privat mitfinanzierte Universitätslaboratorien ein, was nach ersten Mißerfolgen zur Gründung der Göttinger Vereinigung zur Förderung der angewandten Physik und Mathematik führte, die wesentlich am Aufbau einer Reihe von Instituten beteiligt war. (Außerhalb Göttingens konnte sich seine Konzeption nicht durchsetzen, nur in Jena entstand ein kleineres Pendant.)
Neben der Lehrerbildung setzte sich Klein auch sehr für die Ausbildung von Ingenieuren und die angewandte Mathematik ein. Ein wichtiger Schritt war dabei 1904 die Berufung Runges in Göttingen als erstem deutschen Ordinarius für angewandte Mathematik.
Runge galt später als Begründer der modernen numerischen Mathematik, ihm verdankt man die Etablierung der Theorie numerischer Rechen- und Approximationsverfahren – einschließlich ihrer praktischen Durchführung mit Rechenmaschinen – als eigene Disziplin der Mathematik.

Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Voit_202_Karl_Runge.jpg

Kommentare (3)

  1. #1 echt?
    14. November 2019

    Leider wird die numerische Mathematik gerade bei den Ingenieuren meist nur im Wahlpflichtbereich gelehrt. Im Grundstudium löst man Differentialgleichungen lieber analytisch, wobei das natürlich nur in wenigen Sonderfällen gelingt.

  2. #2 rolak
    15. November 2019

    Aaaah, RungeKutta war mein Liebling bei ballistischen Lösungsansätzen, zB beim Auspusten des Funkens (jaja, das heißt ‘Lichtbogenlöscheinrichtung’) von ~mechanischen Hochleistungsschaltern (kA/kV). DGL-System quasibekannt vom letzten Test, gewünschtes Ergebnis bekannt; dann Start- und Randbedingungen fitten bis es endlich paßt. Das Ganze dann noch mit der experimentellen Überprüfung in eine nach Bedarf oft zu wiederholende Schleife geschnürt…

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