Was ist ein Modulraum?

“To classify all equations or curves of a given genus, one attempts to construct an object each of whose points represents one such curve. This object is known as a moduli space.”

aus David Reed: “Classification in Mathematics and Biology: Some Recent Trends”, 2001.

Zahlreiche Nachrufe, die nach dem tragischen Tod von Maryam Mirzakhani Mitte Juli in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht wurden, bemühten sich redlich, auch etwas vom mathematischen Werk der Fieldsmedaillengewinnerin zu vermitteln, meist allerdings mit dem Tenor, dass dieses für den Uneingeweihten ohnehin völlig unverständlich sei.

Die FAZ etwa schrieb

“Schon die Namen der Arbeitsgebiete dürften den meisten Menschen nichts sagen: Mirzakhani beschäftigte sich mit Modulräumen, mit hyperbolischer Geometrie oder auch der sogenannten Ergodentheorie.

beim SPIEGEL hieß es:

Für ihre Forschung, die nur wenige Eingeweihte wirklich verstehen können, wurde Mirzakhani 2014 als erster Frau in der Geschichte die Fields-Medaille verliehen.

und bei N24:

Diese abstrakten geometrischen Welten sind für Laien und sogar für Mathematiker anderer Teildisziplinen schlicht unzugänglich.

Während das Problem der asymptotischen Berechnung der Anzahl geschlossenenr Geodäten gegebener Maximallänge auf einer hyperbolischen Fläche hier und da durchaus angerissen war, wurden vor allem die jüngeren Arbeiten zur Dynamik auf Modulräumen durchgängig als etwas völlig unerklärbares beschrieben.

Dabei hatte der SPIEGEL in seiner Jahreschronik 2014 Mirzakhanis Arbeit noch so erklärt:

Als Doktorarbeit gab ihr McMullen eine Aufgabe, die er für schwierig, aber lösbar hielt: Sie sollte alle geschlossenen, sich nicht kreuzenden Linien zählen, die sich auf der Oberfläche eines beliebigen Körpers (einer Riemannschen Fläche) zeichnen lassen.
[…]
Mirzakhani hatte erkannt, dass nur ein Umweg sie zum Ziel führen würde. Bei ihrer Beweisführung beschränkte sie sich nicht auf die Riemannschen Flächen, sie wagte sich vielmehr in deren “Modulraum” vor, ein höchst abstraktes Gebilde, in dem jede Fläche als ein Punkt betrachtet wird. Dabei betrat sie Neuland, weil Modulräume berüchtigt für ihre bizarren, unberechenbaren Eigenschaften sind. Kritzelnd tastete sie sich immer weiter vor in diese unbekannte Welt. Gleichsam am Wegesrand stieß sie auf neue Beweise für Theoreme, über denen andere Mathematiker seit vielen Jahre gebrütet hatten.

Gemeint sind in diesem Kontext zwar immer die in der reinen Mathematik omnipräsenten Modulräume Riemannscher Flächen mit ihren “bizarren, unberechenbaren Eigenschaften” – aber, ganz allgemein: WAS ist eigentlich ein Modulraum?

Die ADK Modulraum, eine Baufirma für Bürokomplexe, definiert ihren Namen als “Bauen mit Räumen” – das trifft die mathematische Bedeutung des Begriffs ganz gut.

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Etwas förmlicher beginnt der Artikel Modulraum in der Wikipedia:

In der Mathematik bezeichnet man einen geometrischen Raum, dessen Punkte den verschiedenen mathematischen Objekten eines bestimmten Typs entsprechen, als Modulraum dieser Objekte.

Was soll man sich darunter vorstellen?

Modulräume von Pixeln und Melodien

Anschaulicher als die Modulräume Riemannscher Flächen sind zunächst Modulräume einfacherer geometrischer Objekte zu erklären. Der Modulraum 1-dimensionaler Unterräume des 2-dimensionalen Raums etwa ist die projektive Gerade, topologisch ein Kreis, und der Modulraum 1-dimensionaler Unterräume des 3-dimensionalen Raumes ist die projektive Ebene.

Ein lebensnaheres Beispiel diskutiert eine Arbeit von Carlsson, Ishkhanov, de Silva und Zomorodian (“On the local behavior of spaces of natural images”), die 2007 im International Journal of Computer Vision erschien und im vergangenen Dezember Thema des monatlichen Essays auf der Webseite der American Mathematical Society war.

In dieser Arbeit werden die in Naturphotos vorkommenden 3×3-Pixel analysiert. Mathematisch liegen die Helligkeitswerte der 3×3-Pixel in einem 9-dimensionalen Raum. Mit zwei Normalisierungen kann man annehmen, dass sie in einer 7-dimensionalen Sphäre liegen.
Die Autoren nahmen eine Datenbank mit 4167 Photos und erfassten eine Auswahl von 4 Millionen der in diesen Photos vorkommenden 3×3-Pixeln.

Ihre Datenanalyse zeigt letztlich, dass die Helligkeitswerte sich um eine in der 7-dimensionalen Sphäre liegende Kleinsche Flasche herum häufen. Sicherlich ein überraschendes Vorkommen der Kleinschen Flasche in der “Natur”.

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Kommentare (3)

  1. #1 erik||e oder wie auch immer . . . ..
    26. Juli 2017

    .. . . . Ab heute denke ich nicht mehr in “Denkblasen”, sondern stecke/hefte meine Gedanken in/an “Kleinsche Flaschen” . . . ..
    . . . .. ideal wäre doch, wenn “Mathematik” ihre Informationen in/an “Kleinsche Flaschen” transportiert und Materie (“Physik”) somit in Bewegung bringt . . . .. ein Um-Denken bei Politikern bewirken würde . . . ..
    . . . .. im Denken mit/auf/in Kleinschen Flaschen müssen Politiker zwei Runden drehen, sonst lernen sie nur den “entgegengesetzten” Standpunkt kennen . . . ..
    . . . .. wie solch ein “Neues Denken” von der Mathematik in die Politik transportieren? . . . .. vielleicht mittels eines Markov chain Generators? 🙂

  2. #2 Thilo
    14. März 2018

    Ein viel besserer Artikel (als der oben) findet sich auf S.28-33 des neuen EMS-Newsletters: https://www.ems-ph.org/journals/newsletter/pdf/2018-003-107.pdf

  3. #3 Thilo
    6. Februar 2019

    Ein anderer guter Artikel ist verlinkt unter https://www.claymath.org/events/news/conant-prize