Es geht noch einmal um Euler’s Polyederformel für Flächen mit Henkeln.
Letzte Woche hatten wir geschlossene Flächen aus flachen Vielecken gebastelt, und zwar jeweils eine Fläche mit g Henkeln aus einem 4g-Eck.
Es ist anschaulich sicher klar, was unter einer Fläche mit g Henkeln zu verstehen ist.
Für g=1 ist dies ein Torus:
Für g=2 ist es eine Brezel:
Durch Ankleben eines weiteren Henkels erhält man dann eine Fläche mit g=3 Henkeln:
Und entsprechend erhält man durch Ankleben eines weiteren Henkels eine Fläche mit g=4 Henkeln usw.
Nicht zu vergessen natürlich für g=0: die Fläche mit 0 Henkeln ist die Sphäre.
Es gibt einen Klassifikationssatz für kompakte, orientierbare Flächen, der besagt, daß es an kompakten, orientierbaren Flächen eben nur die Flächen mit einer endlichen Anzahl von Henkeln gibt, von denen wir die vier einfachsten Beispiele oben abgebildet haben.
Was heißt hier kompakt und orientierbar? (Und was heißt eigentlich Fläche?) Zu diesen Begriffen werden wir später noch kommen. Für den Moment wollen wir nur vage andeuten, daß eine kompakte Fläche im Wesentlichen eine endliche Fläche ist, also z.B. nicht die ganze Ebene oder auch keine Fläche mit unendlich vielen Henkeln. Eine orientierbare Fläche ist eine Fläche, die zwei Seiten hat (jedenfalls wenn man sie sich im dreidimensionalen Raum vorstellt.) Beispiele von nicht-orientierbaren Flächen werden wir nächste Woche vorstellen.
Genaueres zu Flächen, Kompaktheit und Orientierbarkeit also in den nächsten Wochen. Heute will ich noch den allgemeinen Beweis der in Teil 3 angekündigten Behauptung nachtragen: wenn man eine Fläche mit g Henkeln in Vielecke zerlegt, dann gilt E-K+F=2-2g, wobei E, K, F die Anzahl der Ecken, Kanten bzw. Flächen (d.h. Vielecke) sind.
Zur Erinnerung: die Bedeutung dieser Formel lag darin, daß sie einem ermöglicht, die Anzahl g der Henkel einer Fläche zu bestimmen, ohne von außen auf die Fläche blicken zu müssen. Man muß nur die Fläche in Dreiecke zerlegen, E,K,F zählen und daraus g berechnen.
In Teil 4 hatten wir die Formel (nach Legendre) für die Sphäre, d.h. g=0, bewiesen.
In der allgemeinen Form wurde der Satz 1861 von Lhuillier veröffentlicht (aber wohl bereits 1817 bewiesen).
Letzte Woche hatten wir eine spezielle Konstruktion der Fläche mit g Henkeln aus einem 4g-Eck besprochen. Es ist vielleicht ganz instruktiv (aber natürlich noch kein allgemeiner Beweis) sich die Richtigkeit der Formel für dieses konkrete Beispiel zu überlegen: man hat hier nur ein Vieleck, also F=1. Dieses hatte ursprünglich 4g Kanten, die aber immer paarweise verklebt wurden. Nach dem Verkleben hat man also E=2g. Schließlich muß man sich durch Anschauen der Konstruktion überlegen, daß nach dem Verkleben alle Ecken des 4g-Ecks demselben Punkt der Fläche entsprechen. (Dies sah man natürlich am schönsten für den Torus im Video letzte Woche.) Damit ist E=1, womit die Formel im Beispiel also richtig ist.
Der allgemeine Beweis erfolgt durch vollständige Induktion über g, die Anzahl der Henkel.
Für g=0, also die Sphäre, haben wir Legendre’s Beweis ausTeil 4. (Dort hatten wir auch gezeigt, daß es ausreicht, die Formel für Zerlegungen in Dreiecke zu beweisen.) Angenommen, die Formel sei richtig für eine Zahl g. Für eine Zerlegung der Fläche mit g Henkeln in Dreiecke gilt also E-K+F=2-2g. Nun nehmen wir zwei Dreiecke dieser Zerlegung und kleben sie zusammen. Was man erhält, ist eine neue Fläche mit g+1 Henkeln. Wir haben dieselben Ecken und Kanten, aber die beiden verklebten Dreiecke gehören nicht zu der neuen Fläche. Wenn wir die Anzahl der Ecken, Kanten und Dreiecke der neuen Fläche mit Eneu, Kneu, Fneu bezeichnen, haben wir also Eneu=E, Kneu=K, Fneu=F-2. Daraus folgt Eneu-Kneu+ Fneu=E-K+F-2=2-2g-2=2-2(g+1), also die Induktionsbehauptung.
Dieser Beweis ist noch nicht ganz vollständig, weil ja nicht jede Zerlegung der Fläche mit g+1 Henkeln auf diese Weise aus einer Zerlegung einer Fläche mit g Henkeln erhalten werden kann. Es ist aber eine leichte Übung, sich zu überlegen, daß man durch zusätzliches Einzeichnen von Kanten (was E-K+F nicht ändert) jede Zerlegung so weiterzerlegen kann, daß es eine (evtl. aus mehreren Kanten zusammengesetzte) geschlossene Kurve gibt, die einmal um einen Henkel herumläuft. Und durch Aufschneiden entlang dieser geschlossenen Kurve und Einkleben zweier Vielecke erhalten wir eine Fläche mit g Henkeln, auf die wir den Induktionsschritt aus dem vorigen Absatz anwenden können.
(Wenn das zu schnell ging, findet man einen ausführlich aufgeschriebenen Beweis auf Seite 56-59 des auch sonst sehr empfehlenswerten und ohne Vorkenntnisse verständlichen Buches ‘Anschauliche Kombinatorische Topologie’ von Boltjanskij und Efremovic.)
Nächste Woche diskutieren wir einseitige Flächen wie das Möbiusband oder die Klein’sche Flasche.
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