Resümieren, nachlernen; neu lernen – es sind ja nicht nur die Schulweisheiten, die wir vergessen haben, was nicht bedauerlich ist, wenn wir nur die Denkmethoden behalten haben – wir laufen Gefahr, langsam zurückzubleiben.” (Tucholsky: Damals in den Pyrenäen)

Nachdem in den letzten 10 Folgen diverse Beispiele zur Fundamentalgruppe vorkamen, ist es vielleicht ganz sinnvoll, alles noch mal zusammenzufassen, um in den nächsten Wochen mit Anwendungen weiterzumachen.

Noch einmal die Erklärung der Fundamentalgruppe aus der Wikipedia:
Nehme einen Raum, und einen ‘Basispunkt’ im Raum, und betrachte alle geschlossenen Kurven an diesem Punkt — Wege, die an diesem Punkt starten, eine Zeitlang irgendwie herumwandern und schließlich zum Startpunkt zurückkehren. Zwei Wege können auf die offensichtliche Weise zusammengesetzt werden: laufe entlang dem ersten Weg, dann entlang dem zweiten. Die Menge aller geschlossenen Kurven, mit dieser Methode des Zusammensetzens, ist die Fundamentalgruppe, wobei wir aber zwei Kurven als gleich betrachten, wenn die eine in die andere ohne Brüche deformiert werden kann.

Die Fundamentalgruppe eines Raumes X bezeichnet man mit π1X. Sie faßt also einen Teil der topologischen Struktur (nämlich wieviele nicht ineinander deformierbare geschlossene Kurven es gibt) in einer algebraischen Struktur (einer Gruppe) zusammen. Zu Anwendungen (neben der bekannten Poincare-Vermutung) kommen wir in den nächsten Folgen, hier noch einmal die in den letzten Wochen diskutierten Beispiele.

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© DIE ZEIT, 24.08.2006 Nr. 35

Für die Sphäre besteht die Fundamentalgruppe nur aus einem Element: wie wir letzte Woche erklärt hatten, läßt sich jede geschlossene Kurve stetig in den Basispunkt deformieren. Also π1S2=0. (Räume X mit π1X=0 bezeichnet man auch als einfach zusammenhängend.)

Man kann leicht beweisen, daß auch die Ebene R2 einfach zusammenhängend ist, denn offensichtlich läßt sich die gesamte Ebene (und damit dann natürlich auch jede Kurve in der Ebene) stetig auf den Nullpunkt zusammenziehen: π1R2=0.

Wenn man hingegen die punktierte Ebene nimmt (d.h. eine Ebene, aus der ein Punkt herausgenommen wurde, z.B. R2-{(0,0)}), dann hatten wir vor 4 Wochen gesehen, daß die Fundamentalgruppe gerade den ganzen Zahlen entspricht: π1(R2-{(0,0)})=Z.
(Jeder geschlossenen Kurve entspricht dabei ihre Umlaufzahl um den fehlenden Punkt (0,0), die man in der komplexen Ebene als Integral von 1/z berechnen konnte.)

Ähnlich kann man beweisen, daß auch die Fundamentalgruppe des Kreises S1 isomorph zur Gruppe der ganzen Zahlen ist: π1S1=Z.
Das ist nicht überraschend, weil man ja die punktierte Ebene stetig in den Einheitskreis deformieren kann. (Wobei man natürlich genau sagen müßte, was man unter einer stetigen Deformation versteht. Der mathematische Fachbegriff hier ist ‘Homotopieäquivalenz’.)

Ein ähnliches Beispiel, das wir vor 8 Wochen diskutiert hatten: wenn man aus dem 3-dimensionalen Raum einen unverknoteten Kreis herausnimmt, erhält man ebenfalls einen Raum, dessen Fundamentalgruppe isomorph zu Z ist. Der Isomorphismus ist hier gegeben durch die Verschlingungszahl, ein aus dem Elektromagnetismus bekanntes Doppelintegral.

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Die Fundamentalgruppe des Torus T2 ist, wie wir vor 3 Wochen anhand eines Videos gezeigt hatten, ebenfalls abelsch, genauer isomorph zu Z2, der Gruppe der Paare ganzer Zahlen. Jede geschlossene Kurve ist homotop zu einer Kurve der Form ma+nb, entspricht also einem Paar ganzer Zahlen (m,n). π1T2=Z2.

Der Vollständigkeit halber sollte ich noch erwähnen, daß es durchaus auch Beispiele von Räumen mit komplizierteren Fundamentalgruppen gibt. Die Fundamentalgruppe der Fläche mit 2 Henkeln (Brezel) ist z.B. nicht abelsch. Wenn man (in Analogie zum Torus oben) mit a und b die beiden Kurven bezeichnet, die horizontal bzw. vertikal einmal um den ersten Henkel herumlaufen, dann gilt (anders als beim Torus) nicht a+b=b+a.

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© DIE ZEIT, 24.08.2006 Nr. 35

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