“Die Fragen, die [die Studenten] mir in den Sprechstunden stellen, gelten weder Kafka noch Leibniz, sondern der Punktzahl, die deren Lektüre in drei Monaten erbringt.” Bachelor, Master und eine nicht gehaltene Dankesrede.

In der FAZ findet sich heute unter dem Titel “Student sein ohne zu studieren” ein Artikel über eine nicht gehaltene1 Rede des Leibniz-Preisträgers Heinrich Detering.

(Das Zitat oben ist aus diesem Absatz, den gesamten fehlenden Text findet man im FAZ-Artikel.)

FAZ-Autor Jürgen Kaube kommentiert dazu noch: “Es ist eine seltsame Lage an deutschen Universitäten entstanden, wenn die besten ihrer Forscher mitteilen, sie hätten es nicht werden können ohne eine Freiheit des Lernens, deren Abschaffung sie selbst gerade erdulden und geduldet haben. Wohl wahr, dass jene Freiheiten der Seminarwahl, die sie für die einen waren, für die anderen einen Orientierungsverlust ersten Ranges darstellten. […]
Lag es früher an jedem Studenten, auch ein Studierender in Deterings Sinne zu sein, so ist es inzwischen in vielen Fächern für Begabte nicht mehr möglich, ihrer Begabung frei zu folgen. Sie sind gehalten, Kurse abzuarbeiten, die mitsamt der Pflicht, sie zu belegen, für Leuten entwickelt wurden, denen man diese Begabung insgeheim abspricht, weshalb man ihr Studium ja „verschult”. […]
Einen zweiten Effekt deutet Detering mit dem an, was er „von Kollegen höre”: die absehbare Spaltung der Professorenschaft in solche Lehrer, die sich für den Humboldtbereich des Studiums – irgendwo zwischen Masterabschluß und Graduiertenschule – zuständig finden und solche, die in den Sprechstunden über Punkte diskutieren dürfen. Auch dieser Unterschied wird sich, nicht jedem einzelnen Fall, aber im Durchschnitt, als einer der Begabung erweisen. Die besten Forscher werden mit Geldern ausgestattet, deren Verwendung sie nolens volens von der Lehre abziehen wird.”

1 Genauer: es handelt sich um den letzten Absatz seiner Dankesrede bei der Leibniz-Preis-Verleihung. Dieser Absatz ist zwar in der gedruckten Fassung vorhanden, wurde aber bei der Feier letzte Woche nicht verlesen.

Kommentare (8)

  1. #1 Christian Reinboth
    8. April 2009

    Der Artikel ist in der Tat zu empfehlen. Ich habe gestern meine erste Vorlesung für dieses Semester gehalten und tatsächlich einen beachtlichen Teil dieser Vorlesung damit verbracht, darüber zu diskutieren, wie viel Prozent der Bachelor-Endnote die Vorlesung ausmacht, wie die Chancen für gute Noten stehen und wie viele Stunden Arbeit in das eine oder andere Projekt unter der Vorgabe zu investieren wäre, dass noch x Stunden für Vorlesung B und y Stunden für Vorlesung C benötigt werden.

    Da hat sich am Studienbegriff etwas Tiefgreifendes, etwas Grundsätzliches geändert, wobei der Vorwurf ganz sicher nicht den Studenten zu machen ist, die sich der neuen Situation einfach nur anpassen. Verantwortlich sind vielmehr diejenigen, die meinen, ein Studium habe sich vor allem gut in den Lebenslauf einzufügen, wie er von Roland Berger und Co. vorgegeben wird, komplett mit zwei Auslandsaufenthalten und einer karitativen Freizeitbeschäftigung. Möglichst schnell fertig und natürlich am Ende mit einer Eins vor dem Komma, da sonst die ganze Mühe umsonst war. Das Streben nach Wissen und die Persönlichkeitsentwicklung müssen dabei vermutlich zwangsläufig in den Hintergrund treten.

    Ein ganz schöner Verlust, der sicher auch (aber nicht nur) an Bologna festzumachen ist. Letztendlich beraubt die zunehmende Geradlinigkeit und Zielorientierung des Studiums die Studenten vieler wegweisender Erfahrungen, die – da hat Heinrich Detering vermutlich recht – Persönlichkeiten und Lebenswege positiv beeinflussen.

    Nur – wie kommen wir aus der Misere raus, wo sie nun einmal eingetreten ist?

  2. #2 rank zero
    8. April 2009

    Nur – wie kommen wir aus der Misere raus, wo sie nun einmal eingetreten ist?

    Ganz einfach: Gar nicht mehr, bis die Sache zusammengebrochen ist.

    Es gab übrigens lange vor dem Bologna-Beschluss Untersuchungen, die stets belegten, dass das deutsche Bildungssystem gemessen an seiner katastrophalen Unterfinanzierung das angelsächsische um Längen schlägt – obwohl dort die Aufwendungen pro Studi i.A. wesentlich höher und die Betreungsverhältnisse numerisch besser waren, kam am Ende bei fast allen Colleges oder Unis in den USA oder GB weniger heraus – mit punktuellen Ausnahmen so genannter Elite-Universitäten, die freilich Ausstattungen haben, von denen das gesamte deutsche System nur träumen kann.

    Das ineffiziente Bachelor-Master-Verblödungssystem – das nebenbei freilich den Effekt hat, die schon vorher zementierte Spaltung der Gesellschaft noch mal so richtig fest zu machen, weil ja nicht mehr die Gefahr besteht, dass jemand seinen Geburtsnachteil durch Talent oder Bildung wettmachen kann – konnte aber mit Bologna einen fulminanten politischen Sieg feiern: Das bessere Konkurrenzsystem wurde im Zuge der “Harmonisierung” schlicht von oben zur Kapitulation gezwungen.

    Im Ergebnis kam es so, wie es kommen musste: Nicht nur der Bildungsstand krachte zusammen, es wurden selbst die formalen Versprechungen ins Gegenteil verkehrt:

    Statt Vergleichbarkeit von Abschlüssen, Anerkennung und Flexibilität können Studis inzwischen nicht einmal innerhalb derselben Stadt eine Hochschule wechseln, und europaweit sieht es noch weit ärger aus. Man hat die englischen Mickey-Mouse-Abschlüsse in vorauseilendem Gehorsam anerkannt und wundert sich jetzt, dass sie umgekehrt den deutschen Bäähs und Maas die Akzeptanz verweigern. Dabei ist doch klar: Wenn man freiwillig bedingungslos kapituliert, muss man sich nicht wundern, dass man nackt ausgezogen, geschlachtet und durch den Wolf gedreht wird.

    Damit heißt es, sich wieder auf die Untergrund-Tugenden aus Stalinzeiten zu besinnen: Man sammle die wenigen willigen, talentierten Leute zu Seminaren a la Gelfand und erhalte so einen Restkern an echter Forschung.

    Eigentlich eine alte Situation – zu Galilei sind ja auch nicht die Massen der Theologiestudis gekommen, die nur schnell auf ihre Pfründe studiert haben.

  3. #3 Thilo Kuessner
    9. April 2009

    Daß die Forschung unter dem Ba-Ma-System leidet, glaube ich eigentlich gar nicht so sehr. Ich habe z.B. schon von Leuten gehört (an anderen Universitäten) die die Betreuung von Doktoranden jetzt ganz offiziell als Lehrveranstaltung im Master-Studium abrechnen (mit Kreditpunkten etc.) und entsprechend weniger richtige Vorlesungen halten. Das Problem ist m.E eher, daß das Durchschnittsniveau der Uni-Absolventen leidet und nicht die Spitzenforschung. Das klang ja so auch in Kaubes FAZ-Artikel an. Und ist auch nicht überraschend, wenn man mit Ländern vergleicht, die das Ba-Ma-System schon immer hatten. Die USA oder Großbritannien haben sicher genau so gute (oder bessere) Spitzenforschung wie Deutschland, aber durchschnittliche amerikanische oder australische Austauschstudenten, die ich gelegentlich in Übungsgruppen oder Seminaren hatte, hatten meist ein viel niedrigeres (fachliches) Niveau als durchschnittliche deutsche Diplomstudenten.

  4. #4 Jörg Friedrich
    9. April 2009

    Zunächst: Ich glaube, dass die Leute, die heute ihre Erfolge der Freiheit ihrers Studiums zuschreiben, auch unter Ba-Ma-Bedingungen erstklassig geworden wären (und dass die heutigen vielversprechenden Studenten sich auch unter Ba-Ma-Bedingungen ihren Weg zu Spitzen-Leistungen suchen).

    Das Problem setzt viel früher an, nämlich bei der stetigen Absenkung des Niveaus des Abiturs. Im Ba-Studium muss doch im Wesentlichen erst einmal das Niveau erreicht werden, was vor Jahrzehnten durch das Abi sicher gestellt war: Der Batchelor wird zu einer Art besserem Fachabitur. Der Master ist dann so etwas ähnliches wie ein Allgemeines Studium, und erst im Promotionsverfahren wird dann das Niveau erreicht, was man früher mit seinem Diplom nachwies.

    Ich vermute, dass in ein paar Jahren die Zahl der Promovenden etwa der der Diplomanden vor 30 Jahren entspricht – und die Erfolgsaussichten werden entsprechend sein. Nur, dass die Leute dann 5 Jahre älter sind. Aber “zum Glück” werden wir ja auch älter…

  5. #5 Jörg Friedrich
    9. April 2009

    Zunächst: Ich glaube, dass die Leute, die heute ihre Erfolge der Freiheit ihrers Studiums zuschreiben, auch unter Ba-Ma-Bedingungen erstklassig geworden wären (und dass die heutigen vielversprechenden Studenten sich auch unter Ba-Ma-Bedingungen ihren Weg zu Spitzen-Leistungen suchen).

    Das Problem setzt viel früher an, nämlich bei der stetigen Absenkung des Niveaus des Abiturs. Im Ba-Studium muss doch im Wesentlichen erst einmal das Niveau erreicht werden, was vor Jahrzehnten durch das Abi sicher gestellt war: Der Batchelor wird zu einer Art besserem Fachabitur. Der Master ist dann so etwas ähnliches wie ein Allgemeines Studium, und erst im Promotionsverfahren wird dann das Niveau erreicht, was man früher mit seinem Diplom nachwies.

    Ich vermute, dass in ein paar Jahren die Zahl der Promovenden etwa der der Diplomanden vor 30 Jahren entspricht – und die Erfolgsaussichten werden entsprechend sein. Nur, dass die Leute dann 5 Jahre älter sind. Aber “zum Glück” werden wir ja auch älter…

  6. #6 rank zero
    9. April 2009

    Kurzfristig ist das richtig – man kann auch noch argumentieren, dass ja ohnehin die Spitzenforschung in D sich immer mehr weg von den Unis hin zu den Forschungsgesellschaften verlagert, die nicht betroffen sind.

    Aber auch gute Doktoranden müssen irgendwann nachwachsen, und es ist sicher kein Zufall, dass USA und GB riesige Netto-Importeure von Nachwuchswissenschaftlern sind. D wird bald vor einem ähnlichen Loch stehen, nur dass man noch gar nicht darauf eingerichtet ist, den Bedarf zu decken – während das dort eher pragmatisch der Markt regelt, müsste hier erst einmal die Politik ihren katastrophalen Bologna-Fehler eingestehen (womit man sich erfahrungsgemäß eher schwer tut – man schaue nur mal in die Medien, wo die meisten politiknahen Journalisten alles tun, um die Pleite als Erfolg zu verkaufen – man lese z.B. mal Jan-Martin Wiarda in der ZEIT).

    Ganz unabhängig davon bin ich nach wie vor vom Ideal der Einheit von Forschung und Lehre überzeut – nicht aus Ideologie, sondern aus reiner praktischer Erfahrung heraus. Und Lehre heißt eben nicht nur Doktorandenbetreuung, sondern sollte am besten auch Raum bis runter zu Veranstaltungen schon mit interessierten Schülern haben – es hilft enorm für die geistige Flexibilität, Mathematik auf den unterschiedlichsten Niveaus zu gestalten.

  7. #7 Jörg Friedrich
    9. April 2009

    Zunächst: Ich glaube, dass die Leute, die heute ihre Erfolge der Freiheit ihrers Studiums zuschreiben, auch unter Ba-Ma-Bedingungen erstklassig geworden wären (und dass die heutigen vielversprechenden Studenten sich auch unter Ba-Ma-Bedingungen ihren Weg zu Spitzen-Leistungen suchen).

    Das Problem setzt viel früher an, nämlich bei der stetigen Absenkung des Niveaus des Abiturs. Im Ba-Studium muss doch im Wesentlichen erst einmal das Niveau erreicht werden, was vor Jahrzehnten durch das Abi sicher gestellt war: Der Batchelor wird zu einer Art besserem Fachabitur. Der Master ist dann so etwas ähnliches wie ein Allgemeines Studium, und erst im Promotionsverfahren wird dann das Niveau erreicht, was man früher mit seinem Diplom nachwies.

    Ich vermute, dass in ein paar Jahren die Zahl der Promovenden etwa der der Diplomanden vor 30 Jahren entspricht – und die Erfolgsaussichten werden entsprechend sein. Nur, dass die Leute dann 5 Jahre älter sind. Aber “zum Glück” werden wir ja auch älter…

  8. #8 Thilo
    30. April 2009

    Verschiedene Fachgesellschaften, darunter die DMV haben eine Erklärung zur Rolle der Promotion im Bologna-Prozess veröffentlicht. Die wesentlichen Punkte:

    Seit der Berlin-Konferenz 2003 wird die Promotion in den Bologna-Communiqués als „dritter Zyklus“ der akademischen Bildung bezeichnet. Diese Einordnung haben die Natur- und Ingenieurwissenschaften in Deutschland mit Sorge betrachtet und wiederholt darauf hingewiesen, dass in Deutschland und speziell in den Natur- und Ingenieurwissenschaften die Promotion nicht als dritter Zyklus der Hochschulausbildung, sondern als erste Phase eigenständiger wissenschaftlicher Berufstätigkeit verstanden wird.

    Die Natur- und Ingenieurwissenschaften in Deutschland sind erfreut, dass sich Bundesministerin Prof. Dr. Annette Schavan und die weiteren deutschen Akteure im Bologna-Prozess diese Position zueigen gemacht und sie seit der London-Konferenz 2007 in Europa vertreten haben – zuletzt im Nationalen Bericht über die Umsetzung der Bologna-Ziele vom 1. November 2008.

    Die berufsqualifizierenden Kenntnisse und Fähigkeiten werden in den Natur- und Ingenieurwissenschaften im Rahmen von Diplom- bzw. Bachelor-/Masterstudiengängen erworben.
    Die Promotion stellt darauf aufbauend eine zusätzliche wissenschaftliche Qualifikation
    im Bereich der Forschung dar. In der Tat wird ein großer Teil der Forschungsleistungen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften in Deutschland von Promovierenden erbracht. Jede Promotion erschließt wissenschaftliches Neuland, ihre Besonderheit liegt in der Eigenverantwortung und Selbständigkeit der Arbeit. An deutschen Universitäten promovierte Naturwissenschaftler und Ingenieure zeichnen sich im internationalen Wettbewerb durch diese Selbständigkeit und ihre fachlichen und außerfachlichen Fähigkeiten aus.

    Die gesamte Erklärung auf https://dmv.mathematik.de/component/content/article/507.html