Eine neue Fachzeitschrift wollte “statistisches Wissen aus ethischer und moralischer Sicht” vermitteln. Nach nur einem Jahr stellt sie nun ihr Erscheinen ein.

Vorab: das ist kein nachträglicher Aprilscherz.

Ich hatte schon seit einigen Monaten (seitdem ich diese Bemerkung eines Zentralblatt-Redakteurs mit dem Zitat

Statistical Reports is a Catholic moral and scientific journal
ISSN 1988-7825 online, Madrid, Spain.

gelesen hatte) vorgehabt, einen Beitrag über die neue Fachzeitschrift “Statistical Reports” zu schreiben. Und hatte immer wieder gezögert, weil ich schlicht nicht wußte, was von dieser Zeitschrift nun zu halten ist. Diese Frage wird sich jetzt nicht mehr klären lassen: die Zeitschrift hat letzte Woche ihr Erscheinen eingestellt1.

Der Reihe nach:

“Statistical Reports” war eine neue Fachzeitschrift für Mathematische Statistik, die sich nach eigenen Angaben “moralischen Anwendungen” der Statistik widmen wollte.

Hier geht es zur Webseite.
Meines Wissens die einzige wissenschaftliche Zeitschrift, auf deren Webseite man einen Jung-Manager mit dickem Handy gezeigt bekommt.

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Ungewöhnlich ist auch der Spendenaufruf (Nachtrag: inzwischen gelöscht).
Am skurillsten fand ich aber die List of Editors:

There is an Editorial Committee with the permanent advisers:

Mariano Ruiz Espejo and

Miguel Delgado Pineda

statrep@gmail.com

Possible referees can send his/her email address with the area of interest; the complete revisions will be paid. We will thank fraternal corrections on the published articles.

Eucharistically
The advisers

Schon sehr ungewöhnlich. Normalerweise werden nur ausgewählte Wissenschaftler, meist etablierte Professoren, mit dem Referieren eingereichter Zeitschriften-Beiträge betraut. Daß man sich bei einer Zeitschrift als Referee bewirbt, habe ich noch nie gehört.

Bisher sind 4 Artikel (plus 2 Buchbesprechungen und ein Übersichtsartikel) erschienen. Interessanterweise sind ALLE Artikel von den beiden Herausgebern geschrieben. (Die Herausgeber sind übrigens seriöse Statistiker mit einer Reihe von Publikationen in durchschnittlichen Fachzeitschriften.)

Wer nun erwartet, daß die Zeitschrift ein Forum für irgendwelche mit Statistiken unterfütterten Rechtfertigungen von Pseudowissenschaften bietet, wird allerdings enttäuscht.
Ich bin kein Statistiker und kann die inhaltliche Substanz der Zeitschrift natürlich nicht beurteilen. Aber den Abstracts und dem äußeren Anschein nach scheint es sich um stinknormale mathematische Arbeiten ohne irgendeinen Moral- oder Religions-Bezug zu handeln. Es geht um Themen wie “Optimality of srswr in the class of all ppsm designs of fixed size for sample mean estimator” oder “On the efficiency of stratified pps sampling”.

Man fragt sich, was das alles sollte. Ist das nur ein neuer Dreh, um Spenden für normal seriöse (und für Weltanschauungsfragen m.E. völlig irrelevante) Forschung einzuwerben? Oder was steckte dahinter? Man wird es wohl nicht mehr erfahren.

1: Immerhin war man so geschmackvoll, die Zeitschrift schon eine Woche vor Ostern und nicht gerade genau am Karfreitag sterben zu lassen.

Kommentare (3)

  1. #1 rank zero
    19. April 2009

    Danke, das erspart mir die Wiedervorlage – die Aufnahme der Zs war vorerst aufgeschoben. Wobei rein deskriptive Statistik ohnehin in der Regel nicht ins Zbl aufgenommen wird – aber der Scope klärt sich ja in der Regel erst nach einigen Ausgaben. Auf der anderen Seite begründete sich der Aufschub durch die ungeklärte editorial policy – von der man nun, da ja nur Artikel der beiden Redakteure hineinkamen, zumindest sagen kann, dass sie nicht ausreicht.

  2. #2 Etez
    24. April 2009

    Vielleicht war das ganze auch wieder nur ein Test von überaus humoristischen Statistikern, die sich an dem Erstellen von Listen wie den meistgelesensten Artikeln ergötzen (1.Article no. 2, 2.Article no. 1) können.

  3. #3 Georg Hoffmann
    24. April 2009

    Die beiden Editoren, die tatsaechlich eine ganz beachtliche Vita haben, kommen von in Spanien hoch angesehenen konfessionellen (i.e. katholischen) Universitaeten. Miguel zB kommt von der Universidad Pontificia Comillas deren Auftrag wie folgt beschrieben wird

    “Comillas es una Universidad de la Iglesia, dirigida desde hace más de un siglo por la Compañía de Jesús, la institución privada que cuenta con más Universidades en el mundo. En nuestra misión universitaria, siempre hemos sabido conjugar la experiencia educativa que nos proporciona nuestra tradición, con la actualización continua que los cambios sociales exigen.”

    Die Mischung von Glauben und Wissenschaft ist also irgendwie Programm. Warum das Lanzieren der Zeitschrift aber so schlecht vorbereitet wurde, weiss ich auch nicht. Die beiden haben genug Erfahrung um sowas besser zu machen (alles mal unabhaengig von der Frage, worin denn wohl der tiefere Sinn einer solchen statistiko-religioesen Hybrid Zeitschrift liegen sollte).