Ebenso hat π2s zwei Elemente, die verschiedenen Rahmungen des Torus T2 entsprechen. Die eine Rahmung kommt von der Standard-Einbettung in den Raum, die andere von der Struktur des T2 als Lie-Gruppe oder durch nochmalige Anwendung von Koschorkes Figur-Acht-Konstruktion auf die Figur-Acht im R2.
“Anwendung der Figur-Acht-Konstruktion” im R3 bedeutet, daß man über jedem Punkt p der in der x-y-Ebene liegenden 1-Mannigfaltigkeit eine Figur-Acht (in der Ebene aus z-Achse und Normalenrichtung zu p in der x-y-Ebene) aufträgt und damit eine Fläche im R3 bekommt.
Analog zeigt man übrigens, daß π3s=Z/24Z erzeugt wird von einer 3-Mannigfaltigkeit, die man durch “Figur-Acht-Konstruktion” aus der Boy-Fläche bekommt.

Pontrjagin hatte mit seiner Konstruktion eigentlich beweisen wollen, daß π2s nur ein Element hat. Unten die Ankündigung seines ICM-Vortrags 1936 (der dann von Lefschetz gehalten wurde, weil Pontrjagin nicht nach Oslo kommen konnte), in dem er dieses falsche Ergebnis ankündigte.


https://www.math.rochester.edu/u/faculty/doug/otherpapers/pont1.pdf

Der Fehler lag letztlich darin, daß er eine bestimmte Abbildung φ für linear gehalten hatte. In Wirklichkeit war sie aber quadratisch.
Pontrjagin korrigierte seinen Fehler dann in einer 1950 auf Russisch erschienen Arbeit.


Rückseite der seit diesem Jahr gültigen 10 Lira-Note mit dem Bild von Cahit Arf

Allgemein hat man zu einem Element aus π4k+2s bzw. der entsprechenden gerahmten 4k+2-dimensionalen Mannigfaltigkeit eine quadratische (und nicht, wie Pontrjagin zunächst geglaubt hatte, lineare) Abbildung φ und die Kervaire-Invariante der gerahmten Mannigfaltigkeit ist dann, per Definition, die Arf-Invariante der quadratischen Form φ.

Die Frage, in welchen Dimensionen es Mannigfaltigkeiten mit Kervaire-Invariante 1 gibt (oder ob die Invariante immer 0 ist) hat viele Anwendungen in der Topologie, z.B. bei der Berechnung von Homotopiegruppen oder der Suche nach exotischen Sphären. Zu den exotischen Sphären kommt nachher noch ein Beitrag (hier).

Lösung

Browder hatte 1969 bewiesen, daß es Mannigfaltigkeiten mit Kervaire-Invariante 1 nur in Dimensionen 2k-2 geben kann und er hatte gezeigt, daß sich die Frage der Existenz solcher Mannigfaltigkeiten übersetzen läßt in ein algebraisches Problem in der Adams-Spektralsequenz. Es ist dieses algebraische Problem, was Hill-Hopkins-Ravenel jetzt in ihrem 99-seitigen Preprint gelöst haben.
Für Einzelheiten kann man sich die Folien verschiedener Vorträge auf Ravenels Webseite ansehen.

Man sollte noch erwähnen, daß auch Akhmetiev einen Beweis der Kervaire-Vermutung, allerdings nur für höhere Dimensionen, angekündigt hat (mit weniger algebraischen Methoden). Sein Beweis liegt bisher nur auf Russisch vor, bei Ravenel gibt es aber englische Zusammenfassungen zu seinem Beweis.

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Kommentare (10)

  1. #1 Florian Freistetter
    1. September 2009

    Ich hab das jetzt noch nicht wirklich komplett verstanden 😉 Aber solche “großen” Beweise finde ich eigentlich immer interessant. Hab mir grade ein Buch über die Poincaré-Vermutung gekauft und letzte Woche “Die Musik der Primzahlen” gelesen – da gehts ja um die Riemann-Hypothese. Kennst du dazu vielleicht noch andere, allgemein verständliche Bücher?

  2. #2 Thilo
    1. September 2009

    Es gibt zwei allgemein-verständliche Bücher zur Poincare-Vermutung, von O’Shea und von Szpiro ich weiß jetzt nicht, welches der beiden Du schon gekauft hast 🙂
    https://www.amazon.de/Poincar%C3%A9s-Vermutung-Geschichte-mathematischen-Abenteuers/dp/3100540204
    O’Shea ist wirklich SEHR zu empfehlen, wenn man am allgemein-kulturellen Hintergrund der Leute und Theorien interessiert ist, Szpiro geht dafür mehr ins mathematische Detail.

    Zur Fermat-Vermutung gibt es natürlich das bekannte Buch von Singh https://www.dtv.de/titel/fermats_letzter_satz_33052.html

    Mit den Büchern zur Riemann-Vermutung kenne ich mich jetzt nicht so aus. Sautoy ist jedenfalls ein populärer Autor und es gibt von ihm noch ein populäres Buch zur Moonshine-Vermutung, in dem es um Gruppen und Symmetrien geht.

  3. #3 Florian Freistetter
    1. September 2009

    @Thilo: Also gekauft hab ich das von O’Shea; das von Szpiro hatte ich schon vorher gelesen. Singh kenn ich natürlich auch (das les ich grad im Moment wieder) 😉 Von Sautoy hab ich außer dem Primzahlbuch noch ichts gelesen – aber ich werd mal schauen, ob ich das zur Moonshine-Vermutung finde.

  4. #4 vJD
    2. September 2009

    Eine Frage von einem interessierten Laien:

    Sind alle diese Beweise grundsätzlich so aufbereitbar, dass sie ein durchschnittlich intelligenter Mensch verstehen könnte (wenn er entsprechenden Aufwand betreibt) – oder liegen diese Beweise inzwischen in Sphären, wo überhaupt nur noch eine gewisse kleine Anzahl Menschen diese überhaupt verstehen *könn(t)en* (auch bei entsprechendem Aufwand).

    Danke für eine qualifizierte Beantwortung!

  5. #5 Thilo Kuessner
    2. September 2009

    Ehrlich gesagt – ich denke, nein.

    Die jetzt von Hill-Hopkins-Ravenel ins Netz gestellte Arbeit ist 99 Seiten lang, obwohl dort noch nicht alle Einzelheiten ausgearbeitet sind, und sie löst eigentlich ein ganz anderes Problem, dessen Äquivalenz zur ursprünglichen Kervaire-Vermutung in einer 29 Seiten langen Arbeit von Browder bewiesen worden war. Und diese Arbeiten bauen natürlich auf einer Reihe anderer Arbeiten auf, die man auch erst gelesen haben müßte.

    Und der Beweis ist (meinem ersten Eindruck nach) auch nicht so, daß man ihn irgendwie anschaulich erklären oder kurz zusammenfassen kann. Für einen Mathematiker würde man die 99 Seiten wohl ungefähr so zusammenfassen: “Es geht um Spektralsequenzen bestimmter Homologietheorien.” Aber das sagt dann natürlich auch nur jemandem etwas, der schon mit ähnlichen Themen zu tun hatte.

  6. #6 Thilo Kuessner
    27. Januar 2010

    Der im letzten Absatz erwähnte “Alternativ-Beweis” von Akhmetiev ist möglicherweise falsch. Peter Landweber gibt auf https://xxx.uni-augsburg.de/pdf/1001.4760 ein Gegenbeispiel zu Proposition 37 aus Akhmetiev’s Arbeit.

  7. #7 Thilo Kuessner
    27. Januar 2010

    Ein neuer Überblicksartikel, insbesondere auch zu den Anwendunge auf die stabilen Homotopiegruppen von Sphären, auf https://xxx.uni-augsburg.de/pdf/1001.4751

  8. #9 Thilo
    29. Juni 2014

    Inzwischen gibt es eine neue Version des Preprints: https://www.math.rochester.edu/people/faculty/doug/kervaire_061114.pdf

  9. #10 Thilo
    13. Januar 2016

    Ein heute auf dem ArXiv erschienener Preprint https://arxiv.org/pdf/1601.02184.pdf von Wang und Xu behauptet in Proposition 1.10. die Existenz einer 125-dimensionalen exotischen Sphäre.

    Die Kervaire-Vermutung im verbleibenden Fall n=126 würde folgen, wenn die sogenannte Kervaire-Sphäre eine exotische Sphäre wäre. Anscheinend ist aber nicht klar, ob die von Wang und Xu erhaltene Sphäre die Kervaire-Sphäre ist.