Parallelverschiebung auf Flächen.

Wenn man in der Ebene Parallelverschiebung entlang eines geschlossenen Streckenzuges durchführt, bekommt man am Ende natürlich wieder den Ausgangsvektor.
Anders sieht es auf der Sphäre aus. Wenn man auf dem Bild unten einen Vektor vom Punkt A erst in den Nordpol, dann in den Punkt B und schließlich wieder in den Punkt A verschiebt, bekommt man einen anderen Vektor.

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Parallelverschiebung auf der Sphäre

Die Abweichung α vom Ausgangsvektor hat offensichtlich etwas mit der Krümmung zu tun: je größer die Krümmung, desto stärker die Abweichung.

Wie paßt dieses Beispiel in die Theorie von Prinzipalbündeln und deren Krümmungen (“Feldstärken”), die wir letzte Woche kurz angedeutet hatten?
Betrachten wir der Einfachheit halber nur Einheitsvektoren (also Vektoren der Länge 1). In jedem Punkt der Sphäre bilden die Einheitsvektoren einen Kreis in der Tangentialebene.

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Tangentialebenen in verschiedenen Punkten

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Tangentialvektor

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Einheitsvektoren in einer Ebene (aka Kreis)

Also: in der Tangentialebene jedes Punktes hat man einen Kreis von Einheitsvektoren. Die Einheitsvektoren bilden ein Bündel über der Fläche, die Fasern dieses Bündels sind Kreise. (Genau so wie in TvF 112: dort ging es um eine Faserung des Kleeblattschlingen-Komplements als Kreisbündel über der Modulfläche.)

Letzte Woche hatten wir erwähnt, daß der “Zusammenhang” eines Bündels (physikalisch: das Potential der Feldstärke, die durch die Krümmung beschrieben wird) die Projektion vom Tangentialraum des gesamten Bündels auf die Tangente der Faser ist. (Formale Definition hier.) In jedem Punkt p ist dann die Ebene Vp, entlang der projiziert wird (der Kern der Projektion) ‘vertikal’ (senkrecht) zu Hp, der Tangente der Faser.
Man kann beweisen, daß es zu jeder Kurve auf der Fläche eine “Hochhebung” gibt, d.h. eine Kurve im Bündel, deren Tangente in jedem Punkt p zu Vp gehört.
D.h. zu der Kurve bekommen wir in jedem Punkt einen (vertikalen) Tangentialvektor wie im Bild der Parallelverschiebung auf der Sphäre oben abgebildet. Das ist sozusagen die “physikalische” Definition von Parallelverschiebung auf einer gekrümmten Fläche.

Die Krümmung (“Feldstärke”) des Bündels hat zwar eine unanschauliche Definition, bekommt aber über die Parallelverschiebung doch noch eine anschauliche Bedeutung:

für ein “Parallelogramm” mit Kantenlängen s und t (soll heißen: die Kurve auf der Fläche, die Bild des von sX und tY aufgespannten Parallelogramms in der Tangentialebene bzgl. der Exponentialabbildung ist – X und Y sind hier fest gewählte Einheitsvektoren in der Tangentialebene) führe man die Parallelverschiebung entlang dieses Parallelogramms durch und bezeichne mit θ(s,t) die Abweichung eines parallel-verschobenen Vektors vom Ausgangsvektor (d.h. der Winkel zwischen beiden). Dann ist die 2.Ableitung d2θ(s,t)/dsdt gerade die Krümmung.

Diese Definition stimmt für das Tangentialbündel von Flächen überein mit der Krümmung, wie wir sie in TvF 48 definiert hatten. Allgemein, auf höher-dimensionalen Riemannschen Mannigfaltigkeiten hat man den Levi-Civita-Zusammenhang, aus dem sich der Riemannsche Krümmungstensor ergibt, aus dem man die Schnittkrümmung berecnen kann. Andererseits hat man zu der Riemannschen Mannigfaltigkeit das sogenannte Rahmenbündel (das Bündel aller orthonormalen Basen der Tangentialräume). Die Parallelverschiebung auf der Riemannschen Mannigfaltigkeit definiert natürlich auch eine Parallelverschiebung im Rahmenbündel. Diese kann man benutze, um einen “Zusammenhang” als vertikalen Unterraum des Tangentialraums zu definieren und die mit diesem “Zusammenhang” definierte Krümmung des Rahmenbündels ist dann gerade der Riemannsche Krümmungstensor.

Insbesondere ist die Krümmung 0, wenn Parallelverschiebung entlang ‘kleiner’ Parallelogramme wieder den Ausgangsvektor gibt. Auch in diesem Fall ist es aber möglich, daß die Parallelverschiebung entlang ‘großer’ Parallelogramme einen anderen als den Ausgangsvektor gibt. Solche ‘flachen’ Bündel und ihre topolgische Klassifikation sind eine weitere interessante Anwendung zur Geometrisierung von Flächen, zu der wir dann ab nächste Woche wieder zurückkehren werden.


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