Dehnen und Twisten.

Wir sind hier ja seit mindestens 50 Wochen dabei, allerlei Anwendungen von Geometrisierung, vor allem der hyperbolischen Geometrie auf Flächen, durchzugehen.
Eine wichtige ‘Anwendung’. die bisher nicht vorkam, ist das Verständnis der Selbstabbildungen von Flächen, bei dem hyperbolische Geometrie sehr nützlich ist und das letztlich zu Thurston’s Klassifikation der Homöomorphismen von Flächen führt.

Es geht also darum, daß man eine Fläche F wie im Bild unten hat, und man will die Abbildungen f:F–>F verstehen, wobei man nur stetige Abbildungen betrachtet, bei denen jedem Bildpunkt ein eindeutiges Urbild entspricht und die Umkehrabbildung wieder stetig ist (sogenannte Homöomorphismen, TvF 9).

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Einfachstes Beispiel: die Identitätsabbildung f(x)=x.

Andere Beispiele von Homöomorphismen bekommt man durch Flüsse. Man hat ein Vektorfeld wie im Bild unten und kann dann die Fläche enlang dieses Vektorfeldes fließen lassen. Der Fluß des Vektorfeldes liefert zu jedem Zeitpunkt eine Selbstabbildung der Fläche.

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Die Abbildungen, die durch einen solchen Fluß entstehen, sind natürlich “homotop” zur Identitätsabbildung f(x)=x, d.h. lassen sich stetig in die Abbildung f(x)=x deformieren: Der Fluß zum Zeitpunkt t=0 ist gerade die Abbildung f(x)=x, und der Fluß liefert eine stetige Deformation (“Homotopie”) dieser Abbildung.

Wenn man sich (für einen Topologen naheliegend) auf die ‘einfachere’ Aufgabe zurückzieht, Selbstabbildungen von Flächen ‘modulo Homotopie‘ zu klassifizieren, d.h. nur zu fragen, wie viele unterschiedliche Abbildungen es gibt, von denen sich keine in eine der anderen deformieren läßt, dann geben diese vom Fluß eines Vektorfeldes erzeugten Abbildungen also ‘nichts neues’, sie sind alle homotop zu f(x)=x.

Tatsächlich gibt es auf der Sphäre ‘modulo Homotopie’ nur 2 Abbildungen, nämlich die Identität f(x)=x und die Spiegelung an einem Großkreis. (Es ist egal, welchen Großkreis man nimmt – alle diese Spiegelungen sind homotop. Man kann also z.B. die Spiegelung am Äquator nehmen.)

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Wir hatten in TvF 11 mal über die Orientierung einer Fläche geschrieben, mit der man auf der Fläche sozusagen Links und Rechts unterscheiden kann. Die Identitätsabbildung und die Spiegelung unterscheiden sich dadurch, daß die Identität die Orientierung erhält, während die Spiegelung die Orientierung umdreht (sozusagen Links und Rechts vertauscht.) Man kann beweisen (das ist natürlich nicht offensichtlich), daß auf der Sphäre jeder orientierungs-erhaltende Homöomorphismus homotop zur Identität und jeder orientierungs-umdrehende Homöomorphismus homotop zur Spiegelung am Äquator ist.

Auf Flächen mit Henkeln ist es aber komplizierter, dort gibt es viele Homöomorphismen, die nicht homotop zueinander sind.

Einfachstes Beispiel sind sogenannte Dehn-Twists eines Zylinders. Ein Zylinder ist das Produkt S1x[0,1] aus einem Kreis und einem Intervall [0,1]:

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Ein Zylinder hat eine “Kern-Kurve” S1x{0.5} und dazu senkrechte Längskurven {p}x[0,1] für p auf dem Kreis.

Wir betrachten nun folgende Selbstabbildung des Zylinders: Die grüne Längs-Kurve im Bild unten wird einmal um die rote Kern-Kurve herumgeführt. Das selbe machen wir mit allen anderen Längs-Kurven, die senkrecht zur Kern-Kurve sind. (Die Kern-Kurve wird dabei um 180o gedreht.)

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Der Zylinder ist zwar keine geschlossene Fläche. Aber man kann sich diesen Zylinder ja innerhalb einer geschlossenen Fläche denken, z.B. innerhalb des Torus im Bild unten, und man kann dann auf dem Zylinder die oben gewählte Abbildung nehmen und außerhalb des Zylinders die Identitätsabbildung f(x)=x. (Das paßt zusammen, weil man auf den Randkreisen des Zylinders ja ebenfalls die Identitätsabbildung hat – die rechte Randkurve wird um 360o gedreht.)
Die so erhaltene Abbildung nennt man Dehn-Twist (an der Kernkurve des Zylinders), nicht weil dabei etwas gedehnt werden würde, sondern nach Max Dehn.
Der Dehn-Twist des Zylinders ist zwar homotop zur Identität, allerdings wird eine der beiden Randkurven während der Homotopie verdreht. Wenn man sich den Zylinder als Teil eines Torus (oder einer Fläche mit mehreren Henkeln) denkt, dann ist der Dehn-Twist nicht homotop zur Identität.

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